Neue Serie bei Disney+Erst Held, dann Räuber: Die wahre Geschichte des Vorzeige-Polizisten Samuel Meffire

Der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Sam Meffire, einst Polizist in Sachsen (Archivbild vom März 1993), hat sich nach einem Raubüberfall in der zentralafrikanischen Republik Zaire den Behörden gestellt.

Die Plakataktion „Ein Sachse“ machte Samuel Meffire in den 90ern berühmt. Er galt als Vorzeigepolizist, stürzte dann ab, geriet auf die ganz schiefe Bahn.

Sein Fall bewegte in den 90ern Deutschland: Samuel „Sam“ Meffire galt als Vorzeigepolizist, wurde kriminell, kam in den Knast. Disney+ startet am 26. April eine Serie über sein Leben. EXPRESS.de erzählt seine Geschichte.

von Andrea Kahlmeier (ak)

Die Werbekampagne Anfang der 90er war genial. Ein junger Mann, der sich eine Glatze rasiert hat, schaut streng in die Kamera. Darunter der Slogan: „Ein Sachse“. Das Bild ging um die Welt. Samuel Meffire wird auf Empfängen und Talkshows gefeiert – als Beispiel für Diversität. Meffire, der Afrodeutsche, der erste schwarze Polizist im Osten. Einer von den Guten.

Doch dann bricht der Vorzeige-Bulle plötzlich in Banken, Bars und Bordellen ein, raubt sogar ein harmloses Rentnerpaar aus. Wird als „Staatsfeind Nr.1“ rund um den Globus gejagt. Warum nur, Samuel Njankouo Meffire?

Samuel Meffire: Das bewegte Leben des einstigen Vorzeige-Polizisten

Wäre die Biografie „Ich, ein Sachse“ (Ullstein Verlag) ein Roman, würde manch Kritiker vermutlich sagen: Das Buch ist zu unrealistisch, zu dick aufgetragen. Das fängt schon mit  der Geburt an. Zwei Stunden, bevor Sam Njankouo Meffire Junior das Licht der Welt erblickt, stirbt sein Vater, Samuel Senior, schweißüberströmt, von Krämpfen geschüttelt. Sein Umfeld ist davon überzeugt, dass der Mann aus Kamerun vergiftet wurde, weil der ambitionierte Student und Ehemann einer strammen Genossin vielen ein Dorn im Auge war. Aber da es im sozialistischen System der DDR keinen Rassismus geben durfte, wird der Tod vertuscht, die Leiche schnell unter die Erde gebracht.

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Ein Trauma für Samuels Mutter, das sie fast um den Verstand bringt. „Für meine Verfehlungen gibt es keine Entschuldigungen“, sagt Samuel Meffire im Gespräch mit EXPRESS.de. „Die habe ich selbst zu verantworten“. Doch den Schlüssel müsse man – wie so oft – sicherlich schon in der Kindheit suchen.

Samuel Meffire auf einem undatierten Foto auf einer Bank sitzend.

Samuel Meffire heute: Er hilft inzwischen traumatisierten Menschen nach einem Überfall, arbeitet als Coach.

Aufgewachsen ist der kleine Sam („Samuel war den ostdeutschen Behörden zu jüdisch“) bei einer Mutter, die nach dem Tod des Mannes, emotional versteinert, zwei Kinder allein durchbringen muss, sich tagsüber für den Sozialismus abrackert, abends ihren Kummer mit Alkohol betäubt und die beiden Söhne in ihrer Wut aufs Leben grün und blau schlägt. „Mein bestimmendes Gefühl in der Kindheit war Angst“, erinnert er sich. Angst vor der Mutter, Angst vor den Mitschülern, die ihm den Ranzen stehlen, sogar reinpinkeln und vor ihm ausspucken.

Gewalt erzeugt Gegengewalt. Samuel schlägt zurück, prügelt sich durch die Schule – und schafft es nach dem Mauerfall trotzdem, Polizist zu werden. Der erste Afrodeutsche in Ostdeutschland, stets im Schlepptau des Innenministers, der ein Zeichen setzen will – in einer Zeit, als in Hoyerswerda Hunderte Bürger applaudieren, als Rechtsextreme gegen Ausländer wüten und Molotow-Cocktails werfen.

Sam Meffire: „Ich war das Vorzeigepony für die Polizei“

„Die Werbekampagne damals kam zur richtigen Zeit, war am richtigen Ort, aber ich war der falsche Mann, stand zu tief am Abgrund“, sagt Samuel Meffire heute – und schreibt in seiner Biografie: „Ich war das Vorzeigepony, stand für eine Polizei, die bunt und divers ist.“ Doch das ist schnell vergessen, wenn er sich vor Hooligans und Ultras verschanzen muss. Oder wenn neidische Kollegen über ihn lästern, weil er so in der Öffentlichkeit steht.

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Samuel Meffire quittiert den Dienst, will sich mit einer Begleitschutzfirma selbstständig machen. Er ist Anfang 20, weiß nicht, wohin in der großen, neuen Welt. Er will endlich mal Kohle machen im Kapitalismus. Die Firma floppt. Dann der Tipp, wo es wohl was zu holen gäbe. Räuber und Gendarm mit vertauschten Rollen. Und noch ein weiteres Ding, um wieder flüssig zu sein. Und noch eins. Doch Samuel zieht die Sturmmaske zu früh ab, wird erkannt, flüchtet. „Staatsfeind Nr. 1“, titeln die Zeitungen. Erst nach Paris, dann in die Bürgerkriegshölle des Kongo.

Der Jäger wird zum Gejagten – und schwer krank. Er springt dem Tod mehr als einmal von der Schippe, bis er sich schließlich freiwillig stellt. Zurück in Deutschland. Der Richter kennt keine Gnade. Neun Jahre und neun Monate soll er in den Knast gehen, gut sieben Jahre werden es. Danach nimmt er jeden Job an – als Müllsortierer, Sterbebegleiter, Pfleger, Fitnesstrainer …

Mit gesenktem Kopf erwartet Sam Meffire (vorn) am Mittwoch (2.10.96) das Urteil der 3. Strafkammer des Dresdner Landgerichtes. Der frühere sächsische Polizist ist wegen mehrerer Raubdelikte zu neun Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt worden. Sam Meffire war 1992 als erster farbiger Polizist Sachsens auch überregional bekannt geworden.

Mit gesenktem Kopf erwartet Sam Meffire 1996 das Urteil des Dresdner Landgerichtes: gut neun Jahre Haft.

„Die Auflistung würde seitenlang sein“, sagt Meffire. Längst geht es nicht mehr nur um das nackte Überleben. Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass er der Gesellschaft etwas zurückgeben möchte. Er ist davon überzeugt, mit seinem Wissen als Polizist, Räuber und Ex-Knacki vielleicht eher Gehör zu finden bei sogenannten Systemsprengern als manch anderer. Meffire arbeitet viele Jahre mit verhaltensauffälligen Jugendlichen in Bootcamps, später auch in Geflüchtetenheimen.

Heute ist der erfolgreiche Krimiautor gefragt als Coach im Öffentlichen Dienst, insbesondere, wenn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen brutal angegangen oder übergriffig behandelt wurden. Themen wie Gefahrenlagen einschätzen, reagieren und Traumata bewältigen bringt der große Mann mit der ruhigen Samtstimme kompetent rüber.

Samuel Meffire: Disney+ zeigt seine Lebensgeschichte vom Helden zum Räuber und zurück 

Auch heute noch gehen ihm nachts nicht die Bilder des Rentnerehepaares aus dem Kopf, das er einst überfallen hatte. „Ich versuche, seit mehr als 20 Jahren ein sinnhaftes, rechtschaffenes Leben zu führen“, sagt er. Kein Wunder: Sein ältester Sohn Samuel (heute 31) musste sich als Kind auf dem Schulhof immer anhören, was sein Vater, das einstige Idol, doch für Mist gebaut habe. Seinen Sohn so verletzt zu haben, schmerzt den Mann, der sich als Kind so sehr nach Liebe, Aufmerksamkeit und echten Freunden gesehnt hat, besonders. Mit seinem Sohn habe er sich ausgesöhnt, sagt er.

Sachsen hat er längst den Rücken gekehrt, ist für die „Liebe meines Lebens“ vor vielen Jahren nach Bonn gezogen, heute ist er stolzer Vater von zwei kleinen Töchtern. Wenn sie älter sind, werden sie seine Biografie lesen. Ein Buch, das schon vor der Veröffentlichung auf riesiges Interesse stieß. Samuel Meffire kann sich vor Interviewanfragen kaum retten. Der Streamingdienst Disney+ startet am 26. April sogar mit einer Serie über sein Leben mit dem einprägsamen Titel „Sam“.

Aktenzeichen XY

Bewegende Fälle aus 55 Jahren

1/6

Held und Halunke, Action und Crime, ein Stoff, gemacht für Top-Aufrufe beim Streamen. Samuel Meffire möchte sich mit seiner Biografie nicht reinwaschen oder seine Taten entschuldigen. Aber manches einfach nur klarstellen: „Über mich ist so viel geschrieben worden, auch viel Mist. Dass mein Vater bestimmt Drogen genommen habe. Dass ich ein Waffenfetischist sei … Solche Verleumdungen möchte ich mit dem Buch geraderücken – vor allem für meine Töchter.“

Aber er kann auch die Opfer verstehen, die ihm nicht verzeihen. Wie etwa der Sohn eines Barbesitzers, den er einst überfallen habe, der öffentlich die Frage stelle, „warum schon wieder so eine große Welle um einen Verbrecher gemacht wird“. Doch dies ist nun mal auch die Geschichte eines Mannes, der vom Saulus zum Paulus mutierte, zu einem besseren und glücklicheren Menschen wurde. Eine Geschichte mit Happy End. Ist „Sam, der Sachse“ heute eher „Sam, der Rheinländer“? Er lacht: „Nein, im Herzen bin ich Sachse. Aber die Rheinländer könnte ich jeden Tag umarmen. In all den Jahren bin ich hier, zumindest von Einheimischen, noch nicht einmal übergriffig behandelt worden.“ Extremistische Tendenzen habe er im Rahmen seiner Jugendarbeit vielmehr bei jungen Männern aus dem arabischen oder deutsch-türkischen Raum ausmachen müssen, vor allem, was Frauen oder Homophobie angehe.