Im Juli 2010 starben 21 Menschen in der Loveparade-Todesfalle von Duisburg. Damals mittendrin, eine Redakteurin des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und entkam dem Horror nur durch einen Zufall. Ein persönlicher Rückblick auf einen Tag, der ihr Leben veränderte.
Gänsehaut-Moment nach 15 JahrenRedakteurin überlebte Loveparade-Hölle – „Rampe hat uns das Leben gerettet“

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Auf der Treppe am Unglücksort stehen 21 Holzkreuze, für jede verstorbene Person ein Kreuz.
Ich war bei der Loveparade dabei. Ja, bei DER Loveparade 2010 in Duisburg. Wenn ich das erzähle, blicke ich oft in ungläubige Gesichter. 21 junge Leute sind damals gestorben, mehr als 650 wurden verletzt – und ich bin einer Tragödie entkommen, von der ich während der Parade noch nicht einmal etwas wusste.
Ich war 20, Studentin in Dortmund, und mit Freunden zum Feiern hingefahren. Es war brechend voll, die Menschen schoben sich vom Bahnhof auf das Festivalgelände. Ich hatte mir eine Blase gelaufen und wollte meinen Fuß kurz mit einem Taschentuch verarzten. Doch die Menge war viel zu dicht, meine Freundin sagte nur: „Steh' bloß auf, sonst kommst du hier nicht mehr hoch.“
Also gingen wir weiter, immer mit dem Strom. Wir waren kurz vor dem Tunnel. Da öffnete ein Ordner links von uns einen Seitenzugang – ein Weg, der nicht durch den tödlichen Tunnel führte, sondern über eine Rampe am Rand des Geländes. Dieser Weg hat uns wohl das Leben gerettet.
Wir haben die Parade verfolgt, hatten Spaß, haben getrunken. Irgendwann wollten meine Freundin und ich zurück zum Bahnhof. Wir sind den „Exit“-Schildern gefolgt. Um uns rum hörten wir plötzlich Sirenen. Polizisten und Polizistinnen hatten eine Absperrung geöffnet – ein Notausgang, durch den so viele Menschen drängten, dass er direkt vor meiner Nase wieder dicht gemacht wurde. Ich musste heulen, wurde aber zum Glück noch durchgelassen.
Dann sahen wir Rettungswagen, Leute mit Erste-Hilfe-Koffern, ein Hubschrauber kreiste am Himmel. Überall lagen Müll, Klamotten, irgendwelche Gegenstände. Die Verkaufsstände, wo es kurz vorher noch Brezeln gab, lagen demoliert am Rand. Da wussten wir: Hier ist etwas Schreckliches passiert.
Auf dem Gelände ging das Handynetz nicht, aber auf dem Weg zum Bahnhof sahen wir die ersten Eilmeldungen. Der Bahnhof war komplett gesperrt. Also sind wir mit der Straßenbahn nach Mülheim gefahren. Dort haben wir dann das ganze Ausmaß des Schreckens erfahren – und dass die Rampe uns wohl das Leben gerettet hat.
Ich habe sofort meine Eltern angerufen. Die hatten zum Glück noch nichts davon mitbekommen. Wir wollten unsere Freunde erreichen, die noch auf dem Gelände waren. Auch mein heutiger Mann war noch am Feiern.
Er kam mitten in der Nacht nach Hause, sein Vater hatte schon bei der Notfallnummer der Stadt Duisburg angerufen. Vier von uns sind heute immer noch eng befreundet, und am Wochenende, wenn wir gemeinsam unseren fünften Hochzeitstag feiern, werden wir sicherlich sagen: Die Rampe hat unser Leben gerettet. (red)