NS-GedenktagBundestag würdigt zum ersten Mal auch queere Holocaust-Opfer

Das Symbolfoto aus dem Jahr 2022 zeigt einen in eine Platte gearbeiteten Davidstern.

Am Holocaust-Gedenktag wird dieses Jahr auch den queeren Opfern gedacht.

Jedes Jahr findet am 27. Januar die Holocaust-Gedenkstunde statt. Zum ersten Mal überhaupt gedenkt das deutsche Parlament in diesem Jahr auch den queeren Opfern der NS-Zeit.

Als Tag der Befreiung ist der 8. Mai 1945 in die Geschichtsbücher eingegangen. Für Menschen wie Karl Gorath war die Verfolgung damit aber nicht zuende. 1934 war Gorath erstmals nach § 175 verurteilt worden, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte.

Es folgten Zuchthaus und KZ. 1946 verurteilte ihn derselbe Richter, der ihn bereits in der Nazi-Diktatur bestraft hatte, zu einer weiteren Haftstrafe. Als Vorbestrafter fand Gorath nur schwer Arbeit und verarmte. Er starb 2003 mit 91 Jahren in Bremerhaven.

Nationalsozialismus: Bärbel Bas setzt sich für queere Opfer ein

Über seinen Leidensweg hat Gorath einen Text hinterlassen. Am Freitag, dem 27. Januar 2023 wird der Schauspieler Jannik Schümann Goraths Worte im Plenum des Bundestags verlesen. Denn erstmals stehen in der Holocaust-Gedenkstunde, die das deutsche Parlament jedes Jahr am 27. Januar begeht, die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung unter sexuellen Minderheiten im Mittelpunkt.

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„Es ist wichtig zu zeigen: Im Nationalsozialismus hat es diese Opfer gegeben – und auch nach dem Krieg hat es noch Verfolgung gegeben“, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) der Nachrichtenagentur AFP. Der von den Nazis verschärfte Paragraf 175 galt von der Bundesrepublik zunächst unverändert fort. Homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen wurden erst 1969 entkriminalisiert. Bis dahin wurden in der Bundesrepublik rund 50.000 Menschen, meist schwule Männer, verurteilt – Karl Gorath war einer von ihnen.

In der Gedenkstunde soll ausdrücklich auch an dieses Unrecht erinnert werden, das den Opfern nach 1945 zugefügt wurde. „Wir ziehen in der Gedenkstunde eine Parallele zu dem sogenannten ‚Schwulenparagrafen‘, der erst sehr spät aufgehoben wurde“, sagte Bundestagspräsidentin Bas. „Bis es Entschädigungszahlungen gab, haben viele schon gar nicht mehr gelebt.“

Holocaust-Gedenktag: Zentralrat der Juden begrüßt Würdigung queerer Opfer

Schon seit 2018 lag dem Bundestag eine Petition mit der Forderung nach einer Würdigung für die queeren Opfer des Nationalsozialismus vor. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) wollte die Anregung nicht aufgreifen, seine Nachfolgerin Bas indes setzte sich dafür ein. „Mir persönlich sind die Anliegen der queeren Community sehr wichtig – auch weil sie heute immer noch von Diskriminierung und Anfeindung betroffen ist“, sagte Bas zu AFP.

Die Geschichte der queeren NS-Opfer wurde lange in der Forschung, der Aufarbeitung und der Erinnerung missachtet. Erst in den vergangenen Jahren hat sich die historische Forschung des Themas angenommen und schwule, lesbische und andere queere Menschen eindeutig als Opfergruppe des nationalsozialistischen Unrechts identifiziert.

Gedenkpolitisch ist dies nicht ganz einfach – es geht hier auch um die schwierige Frage der Priorisierung von Opfergruppen. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, formulierte dies gegenüber AFP so: „Wir müssen uns im Klaren sein: Die Hauptopfergruppe im Nationalsozialismus waren die Juden, aber sie waren nicht die einzige Gruppe.“ Die Gedenkstunde für die queeren Opfer am Freitag begrüßte Schuster aber ausdrücklich: Vielleicht werde durch den Schwerpunkt der Veranstaltung am Freitag „manchen Menschen klarer, dass es eben nicht nur die Juden betroffen hat“. (afp/hl)