Das blutige Ende einer FreundschaftMord in der Kathedrale von Canterbury

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Der Mord in der Kathedrale von Canterbury war ein beliebtes Motiv von Malern. Das Bild zeigt, wie die Ritter Hugh de Merville, William de Tracy, Reginald Fitzurse und Richard le Breton Thomas Becket töten.

von Maternus Hilger (hil)

Canterbury – Es war ein Beben, das vor 850 Jahren die christliche Welt bis ins Mark erschütterte: die Ermordung von Thomas Becket, des Erzbischofs von Canterbury. Einer der mächtigsten Männer seiner Zeit, eiskalt gelyncht an geweihter Stätte, in seiner Kathedrale.

Seine Mörder waren Ritter des englischen Königs, mit dem der Kirchenfürst einst eng befreundet war. Den Mordauftrag soll Heinrich II. selbst erteilt haben...

Es ist der 29. Dezember 1170. Vier schwer bewaffnete Ritter stürmen mit gezückten Schwertern in die Kathedrale von Canterbury. Ein Mönch, der sich ihnen in den Weg stellt, wird mit einem Schwerthieb niedergestreckt. „Wo ist Thomas Becket, wo ist der Verräter?“, brüllen die Männer.

Kathedrale von Canterbury: Erzbischof verblutet vor dem Altar

Der hat sie längst bemerkt – er ahnt, dass sie gekommen sind, um ihn zu töten. Furchtlos steigt er die Stufen vom Altar herab und fügt sich in sein Schicksal. „Ich nehme den Tod hin, im Namen Christi und seiner Kirche“, sollen die letzten Worte des 52-Jährigen gewesen sein, wie der Mönch, der die Attacke überlebt, später berichten wird. Von Schwerthieben getroffen, verblutet Becket vor dem Altar.

Der Mord ist der blutige Schlussakt eines acht Jahre andauernden Duells zwischen Becket und König Heinrich II. (1133-1189) – aus Freunden waren längst Todfeinde geworden. Es ist auch eine Geschichte von Treue und Verrat und dem Machtkampf zwischen Krone und Kirche – mit dem Papst in Rom an der Spitze, der das ganze Mittelalter prägen sollte.

Heinrich II. ließ den Erzbischof ermorden

Heinrich II. ist einer der mächtigsten Monarchen seiner Zeit, dessen Reich durch die Heirat mit der ehemaligen französischen Königin Eleonore von Aquitanien (1122-1204) bis an die Pyrenäen reicht. Ein Mann mit eisernem Willen, der zu Tobsuchtsanfällen und Willkür neigt, absoluten Gehorsam verlangt und keinen Widerspruch duldet.

Sein Gegenspieler Thomas Becket, ist ebenso machtbewusst wie er. Geboren 1118 in London als Spross einer Kaufmannsfamilie, hatte er im Laufe der Jahre eine steile Karriere im Dienste der Kirche hingelegt, die ihn als Nichtadeligen bis an den Hof des Königs führte, der den Emporkömmling schätzt.

1155 befördert ihn Heinrich zum Lordkanzler von England. Er ist damit nach dem König der mächtigste Mann in England. Das Zusammenspiel zwischen Becket und seinem Herrn funktioniert zunächst gut, sie sind ein Herz und eine Seele, wie Zeitgenossen berichten.

Doch das ändert sich, als Heinrich die Macht der Katholischen Kirche brechen will, die sich in puncto Gehorsam in erster Linie Rom verpflichtet fühlt. Die Gelegenheit sieht er gekommen, als 1162 der Erzbischof von Canterbury stirbt, das Oberhaupt der englischen Kirche. 

Heinrich II. und Thomas Becket – Duell um die Macht

Indem er seinen Freund Becket zum Nachfolger macht, so glaubt der König, könne er die Kirche endlich an die Kandare nehmen. Er täuscht sich. Nur wenige Tage nach seiner feierlichen Amtseinführung kommt es zum Bruch. Becket legt sein weltliches Amt nieder und gibt dem König das Siegel des Lordkanzlers zurück! Er könne nicht zwei Herren gleichzeitig dienen, sagt er zur Begründung.

Was für ein Skandal, was für eine Provokation! Heinrich ist außer sich, zumal Becket keinen Hehl daraus macht, dass er die Rechte der Kirche kompromisslos verteidigen werde. Und das tut er auch, doch der König sitzt am längeren Hebel.

Weil er einen Hochverratsprozess fürchtet und Angst um sein Leben hat, flieht Becket schließlich 1164 nach Frankreich. Sechs Jahre bleibt er dort, bis er glaubt, dass sich die Wogen geglättet haben und er in seine Heimat zurückkehren könne.

Mord in Canterbury: Rätsel um den Mordbefehl

Doch er macht einen Fehler. Er exkommuniziert die Bischöfe, die Heinrichs gleichnamigen Sohn zum Mitregenten gekrönt haben – ein Privileg, das er, der Erzbischof von Canterbury, für sich beansprucht. Als Heinrich davon erfährt, soll er wütend ausgerufen haben: „Will mich denn keiner von dem aufrührerischen Priester befreien?“ War das der Befehl, Becket zu töten, der im Triumph nach Canterbury zurückgekehrt war?

Heinrich selbst schwört später alle Eide, dass er unschuldig sei und tut sogar öffentlich in Canterbury Buße. Also liegt die Schuld bei Rittern, die seinen Ausspruch allzu wörtlich genommen haben? Das bleibt bis heute mysteriös und bietet Stoff für Legenden um die Hintergründe des Mordes im Dom. Becket aber wird über Nacht zu einer Ikone des Christenheit.

Blitz-Heiligsprechung für ermordeten Erzbischof

Denn schon kurz nach seinem Tod und seiner Bestattung in der Krypta der Kathedrale kursieren wundersame Geschichten, Menschen pilgern von nah und fern nach Canterbury, das zu einem der größten Wallfahrtsorte wird. Und auch der Papst zeigt sich beeindruckt. Schon im Februar 1173 spricht Alexander III. den Märtyrer heilig – eine der schnellsten Heiligsprechungen überhaupt.

Der Schrein Beckets allerdings existiert nicht mehr. König Heinrich VIII. (1491-1547), der wegen seiner Frauengeschichten mit Rom und dem Papst gebrochen und die Anglikanische Kirche begründet hatte, lässt ihn 1538 zerstören. Die Erinnerung an einen Mann, der es gewagt hatte, der Krone die Stirn zu bieten, sollte getilgt werden.

Wie Heinrich II. kannte auch Heinrich VIII. kein Pardon, wenn Geistliche und Höflinge nicht nach seiner Pfeife tanzten. In seinem Fall hieß der Widersacher Thomas Morus, wie Becket einst Lordkanzler, der am 6. Juli 1535 im Tower seinen Kopf verlor. Erhalten geblieben ist aber Beckets blutbefleckte Tunika, die er in der Stunde seines Todes trug – aufbewahrt wird sie seit 500 Jahren in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore.