Nackt-Attraktion in ParisWas Sie bisher noch nicht über das „Moulin Rouge“ wussten

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Das Wahrzeichen erstrahlt in der Nacht im Vergnügungsviertel Pigalle: Das „Moulin Rouge“ hatte die erste elektrifizierte Fassade in Frankreichs Hauptstadt, ist ein absoluter Touristenmagnet in Paris. 

Paris – Was ist eigentlich das Besondere an dieser Roten Mühle in Pigalle? Einem Varieté im Pariser Vergnügungsviertel, das gerade mit Feuerwerk und Cancan seinen 130. Geburtstag feierte.

Warum ist im „Moulin Rouge“ jede Vorstellung ausverkauft, während andere Tanzpaläste schließen? Warum gilt es neben Eiffelturm und Louvre als eines der bekanntesten Wahrzeichen Paris?

Weil das „Moulin Rouge“ ein Gesamtkunstwerk ist und sich wie ein Chamäleon immer wieder neu erfunden hat: Vom Cabaret mit turbulenten Tanzveranstaltungen, bei denen jeder jeden champagnerselig über die Tanzfläche schob, bis hin zum feinen Theater.

„Moulin Rouge“: Kino, Music-Hall, Tanzpalast

In mauen Zeiten war es ein schlichtes Kino, dann wieder eine Music-Hall mit Tänzerinnen, die gigantischen Torten entstiegen. Es überlebte zwei Weltkriege, eine Brandkatastrophe und einige wirtschaftliche Krisen.

In den 50er Jahren ist man wieder zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt: Cabaret, Cancan und Gesang in Belle-Epoque-Ambiente.

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Die Tänzerinnen haben einige Weltrekorde aufgestellt. Sie schaffen es zum Beispiel, in 30 Sekunden 29 Mal Beine in die Höhe zu werfen.

Und dabei wurde natürlich wieder mal nicht gekleckert, sondern geklotzt. Wie bereits zur Geburtsstunde der Roten Mühle: Sie war das erste Gebäude in Paris mit einer elektrifizierten Fassade, strahlte nachts wie ein Leuchtturm am Place Blanche.

„Pigalle, Pigalle, das ist die große Mausefalle mitten in Paris“ heißt es in einem Song von Bill Ramsey – und das „Moulin Rouge“ ist ihr Speckwürfelchen.

Eintrittspreise im dreistelligen Bereich

Auch die Ausstattung war schon immer üppig – zum Beispiel ein im Garten aufgestellter Elefant. Der Champagner floss früher wie heute in Strömen, der Eintrittspreis fängt mittlerweile im dreistelligen Bereich ein.

Nein, das „Moulin Rouge“ ist kein Mauerblümchen, sondern eine schillernde Diva, die verwöhnt und gehätschelt werden will.

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Die Rheinländerin Fiona Notaras gehörte viele Jahre zur Tanzgruppe.

Ähnliches gilt auch für seine Tänzerinnen und Tänzer, die glitzernden Juwelen des Luxustempels. Sie werden wie VIPs behandelt, wenn sie nachts gemeinsam um die Häuser ziehen. Nein, das sind keine Nackttänzer, das sind in Paris Stars, handverlesen, die besten der Welt. Und sie machen einen knallharten Knochenjob.

Fünf Stunden Training am Tag

Die Tänzer müssen täglich fünf Stunden trainieren, dürfen niemals mehr als zwei Kilo zu- oder abnehmen. Von ihnen wird absolute Pünktlichkeit und Disziplin erwartet, jede Frisurenveränderung muss genehmigt werden, schreibt der Vertrag vor.

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Jasper Hanebuth aus Niedersachsen schaffte das Vortanzen.

Wenn man sich nicht gerade das Bein bricht, etwas ausrenkt, verstaucht oder zerrt, tanzt man weiter, verraten die Akteure hinter vorgehaltener Hand. Und dennoch freuen sie sich, wenn es nach einer Saison »à bientôt« (auf bald) heißt.  

Deutsche ließ die Puppen tanzen

Es ist einfach, große, schlanke und hübsche Mädchen zu finden, aber die können meistens nicht tanzen“, stöhnte Doris Haug (87) gerne. Die Stuttgarterin, die früher selbst Tänzerin war, erneuerte in den 60er Jahren den verblassenden Ruhm des Moulin Rouges, erfand ihre „Doriss Girls“, wie die Tänzerinnen nach ihr benannt wurden – und brachte den legendären Cancan auf die Bühne. Auch lange nach ihrem Ruhestand feilte sie noch an neuen Choreografien.

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Doris Haug aus Stuttgart erfand die legendäre Cancan-Choreografie.

Ansonsten gibt es wenig Deutsche, die es bis dato auf die Bühne geschafft haben. Der einzige Mann war bisher Jasper Hanebuth, den es aber nicht lange in Paris hielt. Und die gebürtige Düsseldorferin Fiona Notaras, die vor zehn Jahren ihr Kostüm an den Nagel hängte.

Ob sie kein Problem mit der Nacktheit habe, wurde sie einst in einem Interview gefragt. „Wir haben schon was an, aber eben kein Oberteil“, sagte sie. „Wir tragen Strass, Kopfbedeckungen, Kostüme.“

Der Körper werde extrem zur Geltung gebracht. „Das ist weder vulgär noch erotisch. Vielleicht wirkt er sehr verführerisch, ästhetisch, glamourös. Die Kunden kommen, um einen Traum zu sehen.“ 

Der Maler, der keine Show verpasste

Er mochte kein Wasser, trank nur Absinth und Wein. Er liebte die Frauen, aber nicht etwa die standesgemäßen Blaublüterinnen, sondern Pariser Prostituierte, Tänzerinnen mit geschürzten Röcken und grell geschminkten Lippen. Ihnen und dem „Moulin Rouge“ setzte Henri de Toulouse-Lautrec Ende des 19. Jahrhunderts ein Denkmal.

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Das Bild „Moulin Rouge“ von Henri Toulouse-Lautrec.

Der „Gnom auf Kinderbeinen“, dessen Beine nach zwei Knochenbrüchen in der Jugend nicht mehr wuchsen, fühlte sich eben von der Halbwelt des Montmartre magisch angezogen.

Für das „Moulin Rouge“, entwarf er das erste Plakat (siehe Foto), das ihn schlagartig berühmt machte. Seine Farblithografien werden heute als Meilenstein der Werbung angesehen. Kein Wunder, dass er außergewöhnliche Momente im Saal genau wiedergeben konnte.

Toulouse-Lautrec war jeden Abend bei den Aufführungen des „Moulin Rouge“ anwesend – und zeichnete ohne Unterlass, was er um sich herum wahrnahm. Der Maler starb mit 36 Jahren – an Suff und Syphilis, wie böse Zungen behaupten.

Sie schrieben mit Strumpfband Geschichte

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Die französische Varietee-Künstlerin Mistinguett zusammen mit Maurice Chevalier.

Ihre Beine, „die schönsten Beine der Welt“, versicherte Mistinguett (1875 – 1956) für drei Millionen Dollar bei Lloyds. Denn sie waren ihr Kapital, wenn der Liebling des „Moulin Rouge“ die Treppe heruntertänzelte. 

Eigens für diese Beine wurden immer höhere Treppen gebaut, denn das Publikum liebte die vermeintliche Engländerin Miss Tinguette (Miss Tingeltangel).

Dabei hatte sich Jeanne Bourgeois den Namen nur zugelegt, weil sie hoffte, dass die Pariser einer Engländerin eher nachsehen würden, was ihr ihrer Meinung nach fehlte: Stimme und Eleganz. Sie war nicht die einzige Tänzerin im „Moulin Rouge“, die mit derbem Charme ganz Paris den Kopf verdrehte.

Die rothaarige „La Goulue“ („die Gefräßige“), bürgerlich Louise Weber, ein einfaches Wäschereimädchen aus Clichy, trank den Gästen beim Tanz die Champagnergläser leer und hatte keine Angst vor großen Tieren. Sie rief zum Beispiel Prinz Edward, dem späteren König vom England, bei seinem Besuch 1890 zu: „He, Prinz, der Champagner geht auf dich?“

Nackte Zahlen zum „Moulin Rouge“

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Nicole Kidman und Ewan McGregor in dem Hollywood-Musical „Moulin Rouge“.

  • 60 Doriss Girls (Mindestgröße 1,75 Meter) und 20 Doriss Boys (ab 1,85 Meter) stehen auf der Bühne.
  • Es gibt 455 Mitarbeiter, darunter fünf Python-Schlangen.
  • Derzeit sind 14 Nationalitäten vertreten.
  • Der Fundus umfasst 1000 Kostüme und 800 Paar maßgefertigte Schuhe.
  • Mit rund 600.000 Zuschauern pro Jahr (täglich gibt’s zwei Vorstellungen) liegt die Auslastung bei 97 Prozent.
  • Es gibt 900 Sitzplätze.
  • Jährlich knallen 240.000 Champagnerkorken.
  • Der Film „Moulin Rouge“ (2001) mit Nicole Kidman spielte umgerechnet 163 Millionen Euro ein.