Hitze, Dürre, BorkenkäferNRW baut den Wald der Zukunft – auch eine giftige Pflanze gehört dazu

In Nordrhein-Westfalen leidet der Wald – wie überall in Deutschland. Aber es gibt Hoffnung, EXPRESS.de erklärt mit Hilfe eines Experten, wie der Wald der Zukunft aussehen kann.

von Stefanie Monien (smo)

Unser Wald. Geheimnisvoll. Kraftvoll. Seit jeher Symbol für Ruhe und Besinnung. Doch dem Wald, dem nimmermüden CO2-Speicher, geht’s schlecht. Ein Geheimnis ist das längst nicht mehr – dem hoch spezialisierten Ökosystem setzen Stürme, Schädlinge und Dürren zu. Folge: Der Wald ist im Wandel – einen Fingerzeig darauf liefert der Fingerhut.

Wer derzeit durch den Wald spaziert, erblickt auf Lichtungen und in Kahlschlägen häufig ganze „Kolonien“ lila leuchtender Fingerhüte, teilweise sind die Pflanzen mehr als hüfthoch. Gab’s die immer schon so zahlreich? „Der Fingerhut ist ein plakatives Beispiel für einen Teil des Waldes, der sich schlagartig verändert hat“, sagt Ökologe Michael Elmer, Teamleiter Waldnaturschutz beim Landesbetrieb Wald und Holz Nordrhein-Westfalen.

Wald in NRW: Darum ist Totholz alles andere als tot

In den letzten Jahren, insbesondere in den „Trockenjahren“ 2018 bis 2020, hat gerade die Fichte leiden müssen – generell eine Baumart, deren „Blütezeit“ vorbei ist. „Sie wird nicht komplett verschwinden, aber bei weitem nicht mehr in dem Maße wie noch vor einigen Jahren zu sehen sein“, sagt Elmer.

Auf so mancher Waldfläche ragen nur wenige dürre, ausgebleichte Baumgerippe in den Himmel, auf dem Boden liegt zerfallendes Holz. Drum herum kündigen Pionierpflanzen – das sind extrem genügsame Vertreter wie Birken, Kleinblütige Königskerze – und eben auch der Fingerhut – eine neue Ära an.

Denn „tot“ ist Totholz keinesfalls, wie der Experte erklärt: „Egal, ob stehend oder liegend – Totholz hat positive Auswirkungen auf die Entwicklung des nachfolgenden Waldes und wirkt auf das Mikroklima.“ Heißt: Die Stämme, die stehen bleiben, werfen ein bisschen Schatten, das am Boden liegende Holz ist ein guter Wasserspeicher.

Aber wie bitte baut man aus Totholz und Pionierpflanzen – also aus ein paar „Resten“ – einen neuen Wald? Einmal durchpflügen, neue Bäumchen setzen wie Spalierobst und fertig? „Die flächige Befahrung, wie das Beschriebene im Fachjargon heißt, ist im landeseigenen Wald in NRW komplett untersagt“, so Elmer. „Genau wie die Bodenbearbeitung.“ Es gibt vielmehr im Wald rund vier Meter breite „Rückegassen“, gut zu erkennen an zwei waagerechten Doppelstrichen an den „Eingangsbäumen“ links und rechts, wo schwere Maschinen einen Teil der abgestorbenen oder gefällten Bäume aus dem Wald holen.

Wald in NRW: Die Baumarten Buche, Eiche, Kiefer und Fichte prägen ihn

In NRW, wo Stürme, Dürren und Schädlinge rund zehn Prozent der Waldflächen erhebliche Schäden zugefügt und die wichtige, auch klimaregulierende Funktion beeinträchtigt haben, greift ein zertifiziertes Waldbaukonzept (abrufbar übrigens unter umwelt.nrw.de). „Vier Baumarten haben das Gesicht unserer Wälder bestimmt“, sagt Michael Elmer, „Fichte, Kiefer, Eiche und Buche.“

Fichten-Monokulturen bestimmten jahrzehntelang das Bild: Gepflanzt, gewachsen, geschlagen – dieser Kreislauf ging dann alle 60 bis 80 Jahre von vorne los. Heute setzen die Forstexperten auf Behutsamkeit, orientieren sich am heimischen (!) Mischwald.

„Es gibt etablierte Waldgesellschaften, die sich bewährt haben. Sie sind gut austariert, haben sich über lange Zeit entwickelt und sind gut angepasst“, beschreibt Michael Elmer und nennt ein Beispiel für den Bereich Kottenforst:

  • Häufigste Waldform: Eichen- Hainbuchenwälder; sind gerade im Winter etwas feuchter
  • Tiere: z. B. Mittelspecht, Hohltaube, Kleiber, Schmetterlinge, Käfer. In, an und um unsere heimischen Eichen tummeln sich mehr als 1000 Insektenarten.
  • Pflanzen: z.B. Sternmiere, Buschwindröschen, Schlüsselblume, Hexenkraut und Hahnenfuß.

Darauf baut der „verjüngte“ Wald auf, in dem durchaus neue Bäume gepflanzt oder gesät werden, was sich hölzern „Bestandesbegründung“ nennt. Heißt: Forstfachleute konzentrieren sich auf mindestens vier Baumarten, die gruppenweise gepflanzt werden.

Tschö, Monokultur: So könnte der neue Wald in NRW aussehen

Das können in einem für unsere Region typischen Buchen-Eichen-Mischwald sein:

  • Hauptbaumart (ca. 50-70 Prozent): Buche
  • Nebenbaumart (ca. 20-40 Prozent): Eiche/Roteiche
  • Begleitbaumarten (ca. 10-30 Prozent): z.B. Ulme, Ahorn, Esche, Linde, Vogelbeere, Douglasie
  • Experimentierbaumarten (max. 10 Prozent): Esskastanie, Baumhasel

 „Wir fangen beim Waldbau nicht bei null an“, sagt Elmer, „bei den meisten Baumarten kennen wir die Ansprüche“. Der Weg zur Wiederbewaldung führt neben Fingerspitzengefühl über einen breiten Weg – den der Geduld.

„Bei den Experimentierbaumarten wird man erst in einigen Jahren sehen, welche es geschafft haben, welche nicht. Die, die sich durchsetzen, haben auch zukünftig eine Chance.“ Eine Chance, unseren Wald auch lebendig und vielfältig zu erhalten. Doch auch für den Wald gilt: Nichts ist so beständig wie der Wandel.

Frass-Alarm im Wald: Das Reh, der „verbissene“ Gourmet

Es springt leichtfüßig durch den Wald, knabbert hier einen jungen Eichentrieb, nascht dort eine Knospe: Rehwild weiß, was gut schmeckt – und die Vorliebe für zartes, frisches Grün kann dem Wald im Wandel zum Verhängnis werden. Dann, wenn es zu viele Rehe, beziehungsweise generell zu viel Schalenwild (dazu gehören u.a. auch Rot- und Damwild) gibt.

Das Thema ist ewiger Zankapfel zwischen manchen Waldbesitzern und Teilen der Jägerschaft. „Wiederbewaldung funktioniert in Vielfalt nur, wenn es angepasste Schalenwildbestände gibt“, sagt Ökologe Elmer. „Letztlich gibt es die Verbissgutachten, die anzeigen, ob die Bestände angepasst sind oder nicht – diese Gutachten orientieren sich an der Waldvegetation. Eichen werden vom Reh übrigens besonders gern verbissen.“

Fazit des Experten von Wald und Holz NRW: „Für eine erfolgreiche Wiederbewaldung und die Umsetzung des Mischbaumprinzips ist es unerlässlich, dass die Bäume auch wirklich groß werden können. Wild ist ein Faktor, den man bedenken muss.“