Boeing 737 MAX 8Die dramatischen Details des Absturzes

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Das große Bild zeigt die Wrackteile von Ethiopian Airlines Flug ET 302, einer Boeing 737 MAX 8, die kurz nach dem Start am vergangenen Sonntag bei Addis Abeba verunglückte. 157 Menschen starben.

von Marie Schäfers (mjs)

Addis Abeba – Zwei Totalverluste innerhalb von fünf Monaten haben dazu geführt, dass die Boeing 737 MAX 8 vorerst bis 12. Juni 2019 „gegroundet“ wurde. Doch was genau sind die Probleme bei den Fliegern? Eine Übersicht.

Nachdem am 29. Oktober 2018 eine Boeing 737-MAX-8 der Lion Air wenige Minuten nach dem Start in Jakarta abgestürzt ist und 189 Menschen starben, verunglückte am 10. März 2019 Flug ET302 von Ethiopian Airlines. 157 Tote gab es bei dem Absturz.

Seither wird vor allem über das Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) diskutiert. Experten vermuten, dass dieses System eine entscheidende Rolle bei den Abstürzen der Boeing 737 MAX 8 gespielt haben könnte. 

Der Aktienkurs von Boeing rasselte in den Keller, Airlines wollen Schadenersatz, einige kündigen schon die Umstellung auf eine komplette Airbus-Flotte an, Ersatzmaschinen müssen nun für die nagelneuen „Brot-und-Butter“- Flieger gefunden werden. Ein Desaster, das wahrscheinlich auf einen Konstruktionsfehler zurückgeht.

Elmar Giemulla, Luftfahrtexperte und Honorarprofessor für Luftverkehrsrecht an der TU Berlin, vermutet gegenüber welt.de, dass es sich um einen „offensichtlichen Designfehler“ handle.

Was hat die Auswertung des Flugdatenschreibers bei ET302 ergeben?

Der Pilot der ET302 soll - laut New York Times - bereits eine Minute nach dem Start Probleme bei der Kontrolle der Boeing 737 MAX 8 gemeldet haben. Der Flieger stieg auch nicht so schnell höher wie es sollte. Als sich dann zwei Minuten später die Maschine auf 14.000 Fuß befand, gab es wieder Probleme. Die Boeing 737 MAX 8 bewegte sich auf und ab, erbat noch um umgehende Rückkehr zum Airport, machte noch eine Rechtskurve, stürzte dann aber ab. Eine genaue Auswertung der Flugschreiber dauert an. Die Veröffentlichung eines vorläufigen Untersuchungsberichts soll bis Mitte April erfolgen.

Gibt es Parallelen zum Absturz der Lion Air?

Auch wenn der Flug ET302 nur rund halb so lang dauerte wie JT610 erkennen Ermittler Parallelen zwischen den Unglücken. Nach ersten Ermittlungsergebnissen ähneln die Flugschreiber-Daten der abgestürzten Ethiopian-Airlines-Maschine denen der Lion-Air-Passagiermaschine. Die „eindeutigen Ähnlichkeiten“ würden noch näher untersucht, sagte die äthiopische Verkehrsministerin Dagmawit Mogesam.

Zur Erinnerung: In einem vorläufigen Untersuchungsbericht kommt die indonesische Flugaufsichtsbehörde KNKT zu dem Schluss, dass die Boeing 737 des Billigfliegers bereits bei einem Flug am Vortag des Unglücks „nicht flugtüchtig“ gewesen sei. Die Lion-Air-Piloten hätten von Beginn an gegen einen Absturz gekämpft. 26 Mal haben sie innerhalb von elf Minuten versucht, die Boeing 737 MAX 8 aus einem Sinkflug nach oben zu ziehen. Vergeblich. Elf Minuten nach dem Start zerschellte die Lion Air auf dem Wasser. Zwei Störungen traten beim Lion-Air-Flug auf: Die Luftdrucksensoren auf der linken und rechten Seite des Fliegers widersprachen sich, was Auswirkungen auf die Funktion der Bordsysteme hatte. Der Anströmwinkel - also ob die Tragfläche im richtigen Winkel zur Luftströmung steht - wurde somit fehlerhaft gemessen.

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Eine 737 MAX 8 der indonesischen Fluggesellschaft Lion Air stürzte am 29. Oktober 2018 kurz nach dem Start ab, 189 Menschen starben.

Ist der jüngste Absturz ein Zeichen dafür, dass die Boeing 737 MAX 8 unsicher ist?

Was genau die Absturzursache bei ET302 von Addis Abeba nach Nairobi war, muss noch geklärt werden. Aber es gibt viele Parallelen zum Absturz einer Lion-Air-Maschine in Indonesien vor fünf Monaten. Beides waren 737 Max 8, bei beiden meldeten Piloten gleich nach dem Start Probleme, dass die Maschine die „Nase“ nach unten ziehe. Beide stürzten mit dem Bug voran ab. In beiden arbeitete das umstrittene System MCAS, mit dem Piloten schon öfter Probleme meldeten.

Wurde das MCAS-System der Boeing 737 MAX 8 nicht richtig zertifiziert?

Das MCAS (Maneuvering Characteristics Augmentation System) ist ein Programm, das dem Effekt des möglichen Strömungsabrisses im Steigflug entgegenwirkt. Das Programm drückt die Nase nach unten. Gibt es aber gar keinen Strömungsabriss (es arbeiten z.B. nur Sensoren falsch), agiert das System gegen die Piloten, die die Maschine ja hochziehen wollen. Im Zusammenhang mit dem Zulassungsverfahren der Boeing 737 Max 8 gibt es offenbar schwere Vorwürfe gegen den US-Flugzeugkonzern und die zuständige US-Luftfahrtbehörde FAA. Das berichten das Wall Street Journal und die Seattle Times. Demnach soll das relativ neue Flugzeugmodell nicht nach den üblichen Standards überprüft worden sein.

Boeing 737 MAX 8 - wo fliegt die Maschine noch?

Nirgendwo mehr auf der Welt, die USA verhängten nach langem Zögern auch ein Flugverbot. Ausgeliefert wurden mehr als 350 Maschinen. Es kann Monate dauern, bis das Verbot aufgehoben wird. Boeing hat angekündigt, schnellstmöglich ein Software-Update zu liefern, damit das Grounding beendet werden kann. In Deutschland hatte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) direkt nach dem zweiten Unglück den Luftraum für die Boeing 737 MAX 8 für drei Monate bis zum 12. Juni 2019 gesperrt.

Wie viele Boeing 737 MAX 8 wurden bisher ausgeliefert?

Weltweit wurden 371 Boeings ausgeliefert. 54 Fluggesellschaften haben das Muster im Programm. Welche genau, kann man auf der Boeing-Website nachlesen. Besonders betroffen sind die nordamerikanische Airlines wie Southwest Airlines (31 Stück), GECAS (22), American Airlines (22) oder auch Air Canada (20). In Europa hat Norwegian Air Shuttle (18) die meisten Boeing 737 MAX 8 im Betrieb. Tui ist mit 14 Flugzeugen betroffen, die bis zum Grounding allerdings in den Benelux-Staaten oder Großbritannien zum Einsatz gekommen waren.

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Der Boeing-737-Prototyp bei seinem Erstflug am 9. April 1967. Das Flaggschiff (weltweit meistgebautes Modell) hat damit schon über 50 Jahre auf dem Buckel, wurde natürlich immer wieder modifiziert, zuletzt als Version MAX.

Was ist besonders an der Boeing 737 MAX 8?

Die 737 ist das weltweit meistgebaute Flugzeug. Die Konstruktion stammt aus den 60ern, wurde immer wieder modifiziert. Im Kern ist es aber von 1967. Alles drumherum hat sich aber verändert, vor allem die Triebwerke – das stellt den „alten“ Flieger vor Probleme.

Warum baut man nicht ein neues Modell für die Kurz- und Mittelstrecke?

Das würde Milliarden verschlingen, sowohl Boeing als auch Airbus haben sich zuletzt mit Neu-Konstruktionen auf Langstreckenflieger konzentriert, die „Kleinen“ liefen einfach auch so noch zu gut.

Was unterscheidet die Boeing 737 MAX 8 von anderen 737-Modifikationen?

Die Airlines fordern schon seit vielen Jahren sparsamere Kurz- und Mittelstreckenmaschinen. Boeing bekam mit der A320 neo von seinem europäischen Konkurrenten Airbus einen echten Gewinner vorgesetzt. Boeing musste nachziehen, konnte aber nicht (wie Airbus) mal eben Spar-Triebwerke unter seine Konstruktion hängen.

Warum klappt die Ausrüstung mit Spritspar-Triebwerken nicht so einfach?

Die „Öko“-Triebwerke (LEAP-Triebwerke des Herstellers von CFM International) sind deutlich größer (Durchmesser: 1,80 Meter). Airbus-Maschinen sind höher, bei der 737 hat man weniger Bodenfreiheit unter den Flügeln, muss tricksen.

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Bis zu 210 Passagiere passen in eine Boeing 737 MAX 8.

Man „bockte“ das Fahrwerk auf, schrägte die Triebwerke unten ab, platzierte sie weiter vorne an den Flügeln, das brachte Bodenfreiheit. Das Bugfahrwerk wurde zum Beispiel um 20 Zentimeter verlängert. Diese Maßnahmen veränderten die Aerodynamik, im Steigflug tendiert die Maschine jetzt dazu, die Nase so weit zu heben, dass ein Strömungsabriss riskiert wird. Dagegen soll die das Programm MCAS anarbeiten.

Was passiert, wenn ein Flieger zu steil steigt?

Wird bei einem Flugzeug die Nase zu steil „in den Wind gestellt“ (also steigt die Maschine zu steil), besteht die Gefahr eines Strömungsabrisses. Das heißt, dass die Tragflächen keinen Auftrieb mehr erhalten. Dann kippt die Maschine vornüber nach unten. Sensoren melden einen drohenden Strömungsabriss, auch bei der 737 Max 8. Wenn diese Sensoren aber fehlerhaft arbeiten, kommt es zu falschen Messwerten – mit verheerenden Folgen.

Was läuft falsch mit dem MCAS der Boeing 737 MAX 8?

MCAS greift ein, sobald es von den Sensoren eine instabile Fluglage gemeldet kommt. Dass das System dies tut, hat Boeing zwar ins Handbuch geschrieben, die Piloten vor dem Lion-Air-Absturz aber nicht drauf hingewiesen. Sie könnten das System manuell abschalten, sollte es sich auf falsche Daten berufen. Aber das müssen sie schnell tun (im Sekundenbereich). Nach dem ersten Absturz wurde die Software upgedatet, in Trainings sollten auch Piloten geschult werden. Die Probleme bestehen weiterhin.

Nach dem 737-MAX-8-Desaster: Was sind die Folgen für Boeing?

Sind dramatisch, noch nie hatte eine neue Version eines Modells so einen verheerenden Auftakt mit so vielen Toten (wenn sich der Ursachenverdacht erhärtet). Der Aktienkurs von Boeing schmierte ab, allein am ersten Tag um etwa zwölf Prozent ein. Einen Kursverlust in dieser Größenordnung gab es das letzte Mal kurz nach dem 11. September 2001.

Boeing hat die Auslieferung weiterer Flugzeuge aus der Boeing 737-Max-Reihe ausgesetzt. Die Produktion werde allerdings fortgesetzt, pro Monat können bis zu 50 Stück produziert werden. Nach Angaben von Boeing haben mehr als 100 Kunden rund 5000 Flugzeuge bestellt. Nach den Abstürzen von Lion Air Flug 610 und Ethiopian Airlines Flug ET 302 könnten Kunden Bestellungen auch stornieren und stattdessen auf Modelle des Herstellers Airbus wechseln.

Völlig unklar ist zudem, inwiefern Boeing Vertragsstrafen zu zahlen hat oder Entschädigungen an Airlines zahlen muss. Air Canada zum Beispiel hat infolge des Flugverbotes für die Boeing 737-MAX-8 sogar die Gewinnziele für das Kalenderjahr 2019 korrigiert.

Für Elmar Giemulla, Luftfahrtexperte und Honorarprofessor für Luftverkehrsrecht an der TU Berlin, ist die Sache dagegen klar: Boeing hätte schon nach dem ersten Absturz anders reagieren müssen, so dass es jetzt eine empfindliche Strafe geben wird. „Sie haben riskiert, dass ein weiterer Absturz passiert, und da sind US-Gerichte ganz ungnädig“, sagte er welt.de. Und: „Die Besonderheit der tragischen Abstürze ist der offensichtliche Designfehler und damit eine Produkthaftung des US-Herstellers Boeing. Ich gehe davon aus, dass ‚punitive damage‘ zur Anwendung kommt.“ Im Raum steht aufgrund des Todes von 350 Menschen eine Strafe in Multimilliardenhöhe.

Technische Daten zur Boeing 737 MAX 8

In dem Flieger stehen grundsätzlich 162-178 Sitzplätze zur Verfügung, maximal sind es 210 Sitzplätze. Die Reichweite beträgt 6570 Kilometer. Die Länge der Boeing 737 MAX 8 beträgt 39,52 Meter, die Spannweite 35,9 Meter. Die Triebwerke sind vom Typ LEAP-1B von CFM International. Die technischen Daten aller Boeing 737-Muster auf der Boeing-Homepage.