„Schädlicher Irrweg”Experten checken brandneue Schiffe, es gibt ein riesiges Problem

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Die „Costa Smeralda” ist nach der AIDAnova das zweite Schiff der Helios-Klasse. Die Schiffe können mit Flüssigerdgas betrieben werden.

Hamburg – Bislang galt verflüssigtes Erdgas LNG in der Schifffahrt als die beste Antriebsenergie für die nächsten Jahre und darüber hinaus. Doch nun wachsen die Zweifel. Mit Milliardenaufwand sucht die Branche den Weg in eine klimaneutrale Zukunft.

Erst ein gutes Jahr ist vergangen, seitdem die Kreuzfahrt-Reederei Aida ihr Schiff „Aidanova“ von der Papenburger Meyer Werft übernommen hat.

„Wir sind ungemein stolz darauf, das derzeit umweltfreundlichste Kreuzfahrtschiff zu betreiben“, sagte Aida-Präsident Felix Eichhorn damals in Bremerhaven. Die „Aidanova“ war das erste Kreuzfahrtschiff, das im Hafen und auf See ausschließlich mit dem flüssigen Erdgas LNG betrieben wird.

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Mehr als 350 Schiffe fahren schon mit LNG oder werden gebaut

Nicht nur Kreuzfahrtschiffe, auch Fähren, Tanker und selbst riesige Containerschiffe sind künftig mit dem Gastreibstoff unterwegs. Mehr als 350 Schiffe fahren mit LNG oder werden demnächst gebaut – bei einer Weltflotte von rund 60.000 größeren Schiffen. Das sind noch wenige LNG-Schiffe und es fehlt auch noch an einer flächendeckenden Infrastruktur für die Versorgung mit dem tiefgekühlten Gas.

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2018 ging mit AIDAnova das weltweit erste LNG-Kreuzfahrtschiff auf Reisen.

Doch die Zukunft gehört LNG, dachte man bisher in der Schifffahrt. Kaum Stickoxide, kein Schwefel, fast kein Feinstaub und immerhin 20 Prozent weniger CO2 – sollte das kein Fortschritt für die Umwelt sein?

Nabu: „LNG ist ein schädlicher Irrweg”

Doch nun werden kritische Stimmen lauter. „Das Flüssigerdgas entpuppt sich als schädlicher Irrweg“, meint die Umweltorganisation Nabu. Sie beruft sich auf einen Bericht des renommierten Internationalen Rats für sauberen Transport (ICCT), der zu alarmierenden Ergebnissen kommt.

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Auf Deck 7 der „Costa Smeralda” befinden sich runde Cabanas, die von Wasser umgeben sind. 

Danach führt ein LNG-Antrieb zu 70 bis 80 Prozent höheren Treibhausgasemissionen im Vergleich zu herkömmlichem Schiffsdiesel. Grund ist das aggressive Klimagas Methan, das beim LNG-Betrieb austritt. Über einen Zeitraum von 20 Jahren seien die LNG-Schiffe deshalb klimaschädlicher als herkömmliche Frachter. „LNG ist gut für die Luftqualität, aber nicht für das Klima“, sagt Sönke Diesener vom Nabu.

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Die „Kairos” liegt im Hafen Rostock, um sie von der Seeseite aus mit dem Flüssiggas LNG zu betanken.

Die Maritime LNG Plattform, eine Lobby-Organisation, hält dagegen. Die ICCT-Studie spiegele weder den aktuellen Stand der Motorenentwicklung und die damit verbundene Reduzierung des Methanschlupfs, noch die Realitäten des LNG-Marktes wider.

Lobby: „Einstieg kriegen wir nur mit LNG hin”

„Die maritime Energiewende muss kommen“, sagt Geschäftsführerin Tessa Rodewaldt. „Den Einstieg kriegen wir aber nur mit der LNG-Technologie hin.“ Zunehmend werde auch synthetisch hergestelltes, klimaneutrales LNG zum Einsatz kommen. Auf deutschen Schiffen soll es schon in diesem Jahr getestet werden.

Tatsache ist: Mit irgendeinem Treibstoff müssen die Schiffe fahren. Und wenn es nicht Diesel sein soll und nicht LNG, was dann?

Nabu: Schifffahrt soll besser auf Methanol oder Ethan setzen

Der Nabu verweist auf höhere Effizienz, Windunterstützung, Batterien, Brennstoffzellen und synthetische Kraftstoffe. Anstatt eine Infrastruktur für einen Hightech-Treibstoff wie das minus 162 Grad kalte LNG aufzubauen, solle die Schifffahrt besser auf klimaneutral erzeugtes Methanol oder Ethan setzen.

Das Problem: Die meisten dieser Kraftstoffe und Antriebssysteme gibt es noch nicht in großem Maßstab oder sie sind nicht wirtschaftlich oder gänzlich ungeeignet. Keine Batterie wäre groß genug, um allein ein Containerschiff anzutreiben. Es würde schon wegen des Gewichts untergehen.

Die Schifffahrt ist verantwortlich für rund zwei Prozent der weltweit durch Menschen verursachten CO2-Emissionen und will ihren Ausstoß bis 2050 halbieren.

Auch die Reeder betrachten LNG als eine Übergangstechnologie, die nur für einige Jahrzehnte angewandt werden soll. Um zu erforschen, was danach kommen könnte, bringen die Reeder weltweit über einen Fonds einen Betrag von fünf Milliarden Dollar für die nächsten zehn Jahre auf. Für eine Branche, die jahrelang tief in der Krise steckte, ist das eine ziemliche Kraftanstrengung.

Brennstoff der Zukunft: „Schifffahrt allein kann die Herausforderung nicht lösen”

Dabei sind die Reeder noch nicht einmal Spezialisten für Schiffsmotoren und Antriebstechnik – das sind die Maschinenbauer und die Öl- und Gasindustrie. „Die Schifffahrt allein kann die Brennstoff-Herausforderung nicht lösen“, sagt der Präsident des Reederverbandes, Alfred Hartmann. „Das liegt außerhalb unserer Möglichkeiten.“

Aber die Branche wolle auch nicht die Hände in den Schoß legen und abwarten. Immerhin habe die Schifffahrt es geschafft, ihre CO2-Emissionen von 2008 bis 2018 um 18 Prozent zu reduzieren, bei einem gleichzeitig um 35 Prozent gestiegenen Transportvolumens.

Trotz Kritik: LNG wird immer größere Rolle spielen

LNG wird wohl trotz der Kritik der Umweltschützer in den nächsten Jahren in der Schifffahrt eine größere Rolle spielen, weil es gegenwärtig die einzige marktfähige Alternative zu Schiffsdiesel ist.

Die Infrastruktur in Europa wird gerade aufgebaut, auch auf Druck der USA, die gern LNG nach Europa verkaufen wollen. Gegenwärtig arbeiten bereits 36 LNG-Terminals im europäischen Ausland, die allerdings erst zu 40 Prozent ausgelastet sind, meldet der Verband BDEW.

In Deutschland planen private Investoren mit Rückendeckung aus Berlin LNG-Terminals in Brunsbüttel, Stade, Wilhelmshaven und in kleinerem Maßstab in Rostock.

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Die Investitionsentscheidungen sind überfällig, aber noch nicht getroffen. Gegen die Projekte hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bereits Widerstand angekündigt, weil sie wegen der von ihnen ausgehenden Gefahren gar nicht genehmigungsfähig seien. Bis der erste LNG-Tanker an einem deutschen Kai anlegt, dürften deshalb noch einige Jahre vergehen. (dpa)