Hilferuf der NaturUnsere Nächte sind zu hell – Kölner Himmel dramatisch „verschmutzt“

28.10.2021, Köln: Rheinboulevard bei Nacht.

Nacht in und über Köln? Was die Uhrzeit angeht, ja. Aber dank Millionen Scheinwerfern, Laternen und Lampen ist es hell. Für die Natur zu hell. Nicht umsonst zählt Köln (hier am 28. Oktober 2021) zu den Städten mit der größten Lichtverschmutzung in Deutschland.

Die Nacht hat keine Macht mehr – es ist zu hell auf der Erde. Mit fatalen Folgen für die Natur und unsere Gesundheit.

von Stefanie Monien (smo)

Die Nacht. Mystisch seit Jahrtausenden, für viele leider negativ besetzt. Menschen leiden an Nykto- bzw. Achluophobie (Angst vor der Nacht), werden vom Nachtmahr heimgesucht. Umnachtet wandelt so mancher durchs Leben, Nachtschatten gruseln uns. Dabei kann die Nacht in Wahrheit Wohltat und Wonne sein – wenn sie denn auch dunkel sein darf. Denn auf der Erde wird es immer heller – mit fatalen Folgen für uns und die Umwelt. Und nicht nur, weil der Strom rasant teurer wird, sollten wir öfter mal das Licht ausmachen.

Ein wissenschaftliches und persönliches Plädoyer für die dunklen Stunden verfasst hat der schwedische Zoologe und nachtökologische Berater Johan Eklöf. In „Das Verschwinden der Nacht“ (Droemer, 22 Euro) beschreibt er die dramatischen Folgen von Lichtverschmutzung.

Zu viel Licht trotz Energiekrise: Über Köln ist der Himmel am „schmutzigsten“

Wie bei allem im Leben gibt’s bei jeder neuen Errungenschaft Licht und Schatten – so auch bei der Glühbirne. Deren Verwendung begann in großem Stil damit, den seit Jahrmillionen bewährten Tag-/Nachtrhythmus auszuhebeln. Schaut man heute Fotos der Erde, die aus dem Weltraum gemacht wurden, an, glüht unser Planet. 24 Stunden lang an sieben Tagen in der Woche. Es gleißt und glimmert, leuchtet und strahlt – kurzum: Lichtverschmutzung ist (fast) überall.

In den USA und Europa leben 99 Prozent der Menschen unter einem lichtverschmutzten Himmel, so die Studie eines Teams um den italienischen Wissenschaftler Fabio Falchi, die 2001 erstmals veröffentlicht wurde. Am „schmutzigsten“ in Deutschland ist demnach der Nachthimmel über den Großräumen Köln, Düsseldorf und Dortmund – Städte leuchten rund 4000 Mal heller als das natürliche Nachtlicht.

Und diese „verschmutzende“ Kunsthelligkeit bringt die Hormone durcheinander. Animiert Vögel mitten in der Nacht zum Singen, stört Paarungsrituale in den Korallenriffen, tötet allein in Deutschland an jeder angeschalteten Straßenlaterne rund 150 Insekten – pro Nacht!

Schweizer Messungen zufolge sind heutzutage nur noch rund 200 bis 250 Sterne für das menschliche Auge erkennbar – vor der Industrialisierung waren es mal mehr als 2500.

Im Zuge der Energieknappheit wird aktuell darauf verzichtet, Denkmäler zu illuminieren, Schaufenster auszuleuchten – oder nachts in Büros das Licht brennen zu lassen. Natürlich fühlen sich manche Menschen unter dem Schleier der Finsternis unwohl, aber das nächtliche Kunstlicht (insbesondere das mit hohem Blau-Anteil – Stichwort: Handy-Display) hat gravierende, wenn nicht gar tödliche, Nachteile. Zum Beispiel:

  • Zu viel Kunstlicht hemmt die Produktion des Schlafhormons Melatonin. In der Folge drohen Schlafstörungen – diese begünstigen Fettleibigkeit, Diabetes und Depressionen.
  • Kunstlicht kann Krebs erzeugen! Israelische Forscher fanden heraus, dass in Gebieten mit hoher Lichtverschmutzung das Risiko für Brust- oder Prostatakrebs deutlich erhöht ist.
  • Viele Tiere kommen nicht mehr in die Nachtruhe, geraten unter Dauerstress.
  • Zugvögel werden von ihren Routen abgelenkt, nehmen lange Umwege.
  • Nachtaktive Vögel fliegen gegen illuminierte (Hoch-) Häuser, sterben erbärmlich.
  • Pflanzen, die an Straßenlaternen wachsen, werden nachts seltener bestäubt, tragen weniger Früchte. Generell gilt: Je mehr Insekten durch Kunstlicht gestört/getötet werden, desto weniger können Pflanzen natürlich bestäubt werden. Und ohne Bestäubung kein Obst, kein Gemüse!

Aber was können wir tun? Schon eine ganze Menge! Um die  Lichtverschmutzung einzudämmen, gibt es unter anderem folgende vergleichsweise unkomplizierten Maßnahmen:

  • Beleuchtung im Außenbereich möglichst vermeiden, bzw. auf Zeitschaltuhren und Bewegungsmelder setzen
  • Lampen in flachem Winkel montieren, so strahlt weniger Licht in den Himmel ab
  • Leuchtmittel mit geringen Lumen-Werten (Lm) wählen
  • Auf warmweiße LEDs setzen, max. 2700 Kelvin (K). Je niedriger dieser Wert, desto geringer der fiese Blau-Anteil.

Lichtverschmutzung: Amseln werden „hyperaktiv“

Noch im 18. Jahrhundert lebte die Amsel am liebsten in feuchten, schattigen Wäldern, ihr dunkles Federkleid tarnte sie perfekt. Dann aber kam die Industrialisierung – und mehr Licht. Die Amsel wurde zum Stadtvogel, immer weniger Tiere zogen im Winter gen Süden. Die Amseln sangen lauter – und länger.

Eine Amsel sitzt vor dem aufgehenden Mond.

Eine Amsel sitzt am 27. April 2021 vor dem aufgehenden Mond. Die immer heller werdenden Nächte machen Flora und Fauna schwer zu schaffen.

Ein Experiment aus Leipzig, so berichtet es Johan Eklöf, ergab, dass Amseln, je heller es war, desto länger aktiv waren. Während Waldamseln in Lichtverhältnissen ähnlich einer Herbstnacht die Nacht verbringen, haben Stadtamseln dank Dauerbeleuchtung immer volles „Vollmondlicht“.

Das Max-Planck-Institut in Radolfzell veröffentlichte 2013 eine Untersuchung, derzufolge Amseln, die „Stadtlicht“ ausgesetzt sind, früher zur Fortpflanzung bereit sind: Ihr Testosteronspiegel steigt und ihre Hoden reifen früher im Jahr. Außerdem beginnen sie früher zu singen und zu mausern. Lichtverschmutzung in den Städten kann, so die Wissenschaftler, den Rhythmus der Vögel durcheinander wirbeln. So können „Stadtamseln“ mehrmals im Jahr Junge hervorbringen, die sie dann aber auch versorgen müssen. Im Winter ist das nicht ganz leicht.

Dramatisch! Insektenkollaps durch zu viel Licht

Es gibt weltweit immer weniger Insekten – einer der Gründe ist die zunehmende Helligkeit. Nicht nur Motten umkreisen das Licht, rund 70 Prozent aller in Deutschland vorkommenden Insektenarten sind laut Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) nachtaktiv.

Auch Lampen, die neben dem sichtbaren auch UV-Licht ausstrahlen, werden zur Todesfalle. Denn haben Insekten eine künstliche Lichtquelle entdeckt, umfliegen sie diese bis zur Erschöpfung (können sich in der Nacht also weder paaren, noch Eier ablegen oder fressen) oder sie kollidieren mit der Lampe, werden angesengt.

„Ganze Insektenpopulationen können so in der Stadt in kurzer Zeit zusammenbrechen. Das Massensterben der vom Licht gelockten Tiere kann nicht wettgemacht werden. Selbst scheinbar naturnahe Lebensräume in der Stadt verarmen so“, sagt Professor Dr. Kai Frobel, Artenschutzexperte des BUND.

Wegen Kunstlicht: Schildkrötenbabys krabbeln in den Tod

Wenn in einer Mondscheinnacht tausende Schildkrötenbabys an südlichen Stränden schlüpfen, wollen sie nur eins: schnell ins Meer und unter Wasser, weg von Fressfeinden wie Fregattvögeln, Möwen oder Waschbären.

70 junge Schildkröten machen sich auf den Weg in die Freiheit.

Gerade geschlüpfte Schildkröten krabbeln am Strand von George Town in Malaysia am 22. März 2019. Kunstlicht an Strandpromenaden führt dazu, dass die Kleinen in die falsche Richtung krabbeln – weg vom rettenden Meer ...

Doch statt wie seit Jahrmillionen in ihrer DNA verankert Richtung Westen und zum vom Mond beschienenen Meer zu robben, bewegen sie sich an vielen Ständen in die falsche Richtung: Weil Strandpromenaden beleuchtet sind, Wohnungen, Werbetafeln oder Cafés hell erleuchtet sind, werden die Schildkröten in die Irre geführt. Wie Johan Eklöf berichtet, erreichten an einem Strand in der Türkei, der nahe an Touristenorten und Industrieanlagen liegt, nur zwei Fünftel der Tiere das rettende Wasser.

Drei Milliarden (!) Euro schwer: Wirtschaftsfaktor Fledermaus

Jeder, der Fledermäuse für „Teufelswerk“ hält, sollte sich vor Augen führen, dass ein einziges Tier pro Nacht bis zu 3000 Insekten (gerne Mücken!) vertilgt.

ARCHIV - Fledermausexperten mit Lampen lesen am 15.01.2010 im Kellergewölbe der alten Brauerei in Frankfurt (Oder) bei einer Fledermaus die Ringnummer ab. Foto: Patrick Pleul/dpa (zu dpa-KORR lbn «Tierische Inventur in Frankfurts alter Brauereiruine» vom 01.02.2016) +++ dpa-Bildfunk +++

Fledermäuse könnte man in Gold aufwiegen, so groß und wichtig ist ihr Nutzen für die Landwirtschaft. Das Symbolfoto von 2016 zeigt eine Fledermaus in Frankfurt.

In den Südstaaten der USA erspart der Appetit der Fledermäuse den Mais- und Baumwollbauern umgerechnet rund 3 Milliarden Euro im Jahr – die sonst für Insektizide u.a. gegen den schädlichen Eulenfalter ausgegeben werden müssten.

Mehr als 500 Pflanzen weltweit sind auf Fledermäuse als Bestäuber angewiesen, darunter Agave und Mango. In Thailand und Malaysia wurde der Wert der Bestäubungsarbeit von „Chiroptera“ bei der Durian („Kotzfrucht“) mit rund 90 Millionen Euro pro Jahr angegeben. Und die Idee, Fledermäuse in Gebieten mit hoher Population der malariaübertragenden Anophelesmücke anzusiedeln, nimmt mehr und mehr Gestalt an.

Magisch und zum Träumen schön: Hier gibt es Sternenreservate

In seinem Buch schreibt Johan Eklöf den wunderbaren Satz „Die Lichtverschmutzung am Himmel löscht ganze Galaxien und entlegene Sonnensysteme aus, als hätte jemand mit einem schmutzigen Lappen das Fenster zum Universum verschmiert.“

Sternenhimmel über dem Roque de los Muchachos auf der Insel La Palma (Spanien)

Sag’ mir wie viel Sternlein stehen: Das Lichtschutzgebiet am Observatorium auf dem Roque de los Muchachos auf der Kanareninsel Insel La Palma auf einer undatierten Aufnahme.

Nach einem Erdbeben 1994 in Los Angeles, in dessen Folge der Strom ausfiel, gingen mehrere Anrufe verängstigter Bürger ein, die eine seltsame Lichterscheinung am Himmel gesehen hatten: Es war die Milchstraße – wegen der hellen Großstadtlichter sonst eigentlich nicht zu sehen. Die Nicht-Regierungsorganisation International Dark Sky Association schätzt, dass in den USA jede Nacht etwa ein Drittel der gesamten Außenbeleuchtung ohne Nutzen brennt. Kosten: umgerechnet mehr als drei Milliarden Euro pro Jahr.

Es gibt mehr und mehr Lichtschutzgebiete verschiedener Kategorien auf der Welt, in dem nächtliche Dunkelheit quasi unter Naturschutz steht. Dazu zählen u.a. die kanarische Insel La Palma, Torrance Barrens in Kanada, Meteora in Griechenland, der Sibiloi-Nationalpark in Kenia oder der „Sternenpark“ im Naturpark Westerhavelland sowie der „Sternenpark Rhön“. (smo)