Eine Richterin, die mit Händen und Füßen eine Zeugenaussage nachspielt, eine Mutter, die ihren eigenen Sohn belastet, und ein Angeklagter, der sein Verhalten selbst als „total asozial“ bezeichnet. Dieser Prozess am Amtsgericht Leverkusen hatte es in sich!
Suff-Drama vor GerichtMutter packt im Zeugenstand aus: „Wir waren voll wie die Haubitzen“

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Das Amtsgericht Leverkusen in Opladen.
Es ist ein seltener Anblick: Amtsrichterin Anika Menger muss ihr ganzes pantomimisches Talent aufbieten, um einem Zeugen eine Frage zu stellen. Der Mann aus Vietnam, der kaum Deutsch spricht, hatte den Angeklagten Adriano L. (27) nach einem Ladendiebstahl von hinten umklammert.
Um sich loszureißen, beugte sich der Angeklagte ruckartig vor – der viel leichtere Vietnamese machte einen unfreiwilligen Salto und knallte so hart auf den Hinterkopf, dass er ins Krankenhaus musste. Dank der Turneinlage der Richterin in ihrer Robe verstand der Zeuge endlich, was sie von ihm wissen wollte.
Der Salto-Vorfall ist nur eine von vielen Taten, die Adriano L. vorgeworfen werden. Das Leben des 27-Jährigen, der oft auf der Straße lebt, ist völlig aus den Fugen geraten. Immer wieder soll er zugeschlagen haben: Einem Sozialarbeiter verpasste er im Obdachlosen-Bunker eine so heftige Ohrfeige, dass dessen Trommelfell riss.
Selbst vor seiner eigenen Familie machte er nicht halt. Auch seine Mutter und seine Freundin soll er mit der Faust ins Gesicht geschlagen oder getreten haben. Doch als Zeuginnen vor Gericht waren beide Frauen plötzlich keine große Hilfe mehr. Die Mutter (48) redete sich laut Anwalt Frank Bayer derart „um Kopf und Kragen“, dass sie schnell wieder aus dem Zeugenstand entlassen wurde. Offenbar kann sie die Freundin (43) ihres Sohnes nicht ausstehen.
Klar wurde aber: Alkohol und Drogen spielten immer eine Rolle. An dem Tag, als Adriano L. seine Mutter in einer Wohnung in der Kolonie II schlug, seien alle Anwesenden „voll wie die Haubitzen“ gewesen, gab die 48-Jährige zu. Auch die Freundin erinnerte sich, dass „auch Hochprozentiges“ getrunken wurde. Obwohl sie damals die Polizei riefen, wollte nun niemand mehr den Sohn und Freund belasten.
Leverkusen: Angeklagter zeigt sich von Beweis-Video peinlich berührt
Zum Prozesstag erschien Adriano L. nüchtern. Als die Richterin ihm ein Überwachungsvideo seines Diebstahls in Opladen zeigte, auf dem er den Ladeninhaber heftig zur Seite stößt, war ihm das sichtlich peinlich. Trotz der 1,3 Promille, die damals gemessen wurden, rannte er geschickt zwischen den Kleiderständern hindurch.
Im Zuschauerbereich saßen drei Freunde und Freundinnen des Angeklagten. Sie sind für das Gericht keine Unbekannten. Adriano L. selbst wurde aus dem Gerichtskeller vorgeführt – er saß bereits 18 Tage in Haft, weil er eine alte Geldstrafe nicht bezahlt hatte. Im Gefängnis gilt der Leverkusener mit Schweizer Pass als Exot.
Am Ende reichte es für den Schweizer für eine Bewährungsstrafe. Acht Monate Haft, ausgesetzt für zwei Jahre. Leistet er sich in dieser Zeit auch nur die kleinste Dummheit, muss er sitzen.
Einer seiner Freunde im Saal lächelte erleichtert. Sofort griff er in seine Bauchtasche, zog 30 Euro heraus und gab sie seinem Kumpel. Damit konnte sich Adriano L. aus den letzten zwei Tagen seiner Haft freikaufen. Die Bewährung begann sofort – mit dem Schritt durchs Gefängnistor. (red)