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Sinan SelenNeuer Spionage-Chef ist ein Kölner

Sinan Selen (l.) ist von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU, rechts) zum Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz ernannt worden.

Sinan Selen (l.) ist von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU, rechts) zum Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz ernannt worden.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Sitz an der Merianstraße in Köln-Chorweiler bekommt einen neuen Chef. Die Top-Personalie für Deutschlands Sicherheit hat es in sich. 

Für den deutschen Verfassungsschutz ist es eine Premiere: Erstmals wird der Inlands-Nachrichtendienst von einem Präsidenten mit türkischen Wurzeln geleitet werden. Sein Name: Sinan Selen.

Wer ist der 53-Jährige, den Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) zum Chef einer der wichtigsten Sicherheitsbehörden des Landes macht? EXPRESS begab sich auf die Spuren des Spionagechefs in Köln – in der Dommetropole ist Selen aufgewachsen.

Die wichtigen Fakten und Stationen im Leben des Anti-Terror-Experten.Herkunft Sinan Selen wurde 1972 in Istanbul geboren. Im Alter von vier Jahren kam er mit seiner Familie nach Köln. Er hat noch eine Schwester. Vater und Mutter, beide säkular geprägt, arbeiteten bei der Deutschen Welle in Köln-Raderberg. Die Mutter Mine Selen war in ihrer Heimat Moderatorin beim türkischen TV-Sender TRT. Die Familie wohnte in Köln-Zollstock, später in Bayenthal.

Schule und Ausbildung: Sinan Selen besuchte das Hildegard-Bingen-Gymnasium in Sülz. Ein Mitschüler aus dem Abi-Jahrgang 1991 erinnert sich auf EXPRESS-Anfrage gut an den „in vielen Bereichen sehr engagierten“ Schüler. Er schrieb für die Schülerzeitung und ließ sich bei den Johannitern zum Sanitäter ausbilden. „Hatte er Bereitschaft, trug er im Unterricht einen Pieper“, erzählt der Stufenkamerad.

Sinan Selen studierte später Rechtswissenschaften an der Universität Köln mit dem Schwerpunkt Innen- und Justizpolitik in Europa/Europarecht. Der Stufenkamerad, ebenfalls Jurist, ergänzt noch, er sei erschrocken gewesen über stupide Kommentare zu Selens Ernennung, die aufgrund der türkischen Migrationsgeschichte nun einen „Handlanger Erdogans“ in zentraler Position fürchten. Im Gegenteil, seien gerade im Bereich der Sicherheitsarchitektur heute Menschen mit internationalem Hintergrund gefragt und gefordert.

Gebäude und Eingang des Hildegard-von-Bingen Gymnasium in Sülz.

Der Eingang zum Hildegard-von-Bingen Gymnasium in Sülz, das Sinan Selen (Abijahrgag 1991) besuchte.

Der langjährige türkischstämmige WDR-Journalist und Vorstand des Kulturforums Türkei/Deutschland Osman Okkan erinnert sich, dass er in den 1990ern ein Radiointerview mit Selen zu dessen Engagement als Sanitäter geführt hatte – auf Türkisch.

„Für mich erfüllte er mit seinem selbstlosen Engagement bei den Johannitern eine Vorbildfunktion. Sein soziales Gewissen und seinen aktiven Einsatz für hilfsbedürftige Menschen habe ich sehr geschätzt.“ Nachdem Selen einen für Auslandstürken obligatorischen und kurzen Grundwehrdienst in der Türkei abgeleistet hatte, ließ er sich aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlassen. Er ist ausschließlich deutscher Staatsbürger.

Karriere: Nach dem Jurastudium begann Selen seine Laufbahn bei den deutschen Sicherheitsbehörden. Beim Bundeskriminalamt (BKA) durchlief er von 2000 an verschiedene Abteilungen wie den Staatsschutz in Meckenheim und die Sicherungsgruppe in Berlin, wo er unter anderem für den Personenschutz des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) mitverantwortlich war. Sein Arbeitsschwerpunkt war der internationale Terrorismus.

Jagd auf die Attentäter vom 11. September und die Kölner Kofferbomber

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gehörte Selen im BKA einer Sonderkommission an, die zu den Attentätern aus Hamburg ermittelte. Im Jahr 2006 – Selen war da erst 34 – leitete er nach dem Fund von zwei Kofferbomben in Regionalzügen die Fahndung nach den Tätern, die in Köln-Neuehrenfeld lebten und identifiziert wurden. Die Süddeutsche Zeitung schrieb über ihn: „ Sein Team studierte Tausende Stunden Überwachungsvideos sowie einen zerknüllten Einkaufszettel mit libanesischem Joghurt, am Ende stand ein großer Erfolg.“

2006 ging Selen ins Bundesinnenministerium (BMI) und wurde Leiter des Referats „Ausländerterrorismus und Ausländerextremismus“. Unter Mitwirkung Selens konnten laut BMI zwischen 2000 und 2016 elf Terroranschläge in Deutschland vereitelt werden. Nach der Flüchtlingskrise 2015 wurde Selen zum Türkeibeauftragten der Bundesregierung ernannt. Im Sommer 2016 verließ Selen vorübergehend den Staatsdienst und wechselte zum Tourismuskonzern TUI, für den er ein umfassendes Sicherheitskonzept entwickelte.

Der Verfassungsschützer: Seit dem 21. Januar 2019 ist Sinan Selen Vizepräsident beim Bundesamt für Verfassungsschutz mit Hauptsitz in Köln-Chorweiler (4500 Bedienstete, es gibt noch einen Sitz in Berlin). Jetzt kommt der 53-Jährige an die Spitze des Inlandsgeheimdienstes und folgt damit Thomas Haldenwang.

Umstritten war Haldenwangs Vorgänger Hans-Georg Maaßen, der aus der CDU austrat und Mitglied der sogenannten Werteunion wurde. Der vorherige Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, war 2012 zurückgetreten, nachdem bekannt geworden war, dass ein Referatsleiter wenige Tage nach Aufdeckung des NSU Akten zu V-Personen im NSU-Umfeld hatte vernichten lassen.

In seinen aktuellen Einschätzungen sieht Sinan Selen ausdrücklich die Gefahr aus Russland. Putin betrachte Deutschland als „zentrale Zielfläche in Europa“. Der künftige Präsident warnt: „Unsere Gegner gehen immer aggressiver und komplexer vor.“