Kuschel-Knast oder knallharte Realität? In Köln sitzen Frauen ihre Haftstrafe ohne Gitter ab. Tagsüber gehen sie normalen Jobs nach, doch abends wartet die JVA. Eine Inhaftierte erzählt von ihrem Leben zwischen zwei Welten.
Knast ohne Gitter in KölnFrau (59): Leben zwischen JVA und Bäckerei-Job

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Blick auf die Rückseite des Gebäudes, in dem der Offene Vollzug der JVA Köln für Frauen untergebracht ist.
03.09.2025, 07:04
Angelica Berger (59, Name geändert) kommt gerade von der Arbeit. Sie ist fit, obwohl sie früh raus musste. In einer Kölner Bäckerei verkauft sie Brötchen. Freundlich lächelnd bietet sie eine Tasse Kaffee an.
Doch das Gespräch findet nicht bei ihr zu Hause statt, sondern in der JVA Köln-Ossendorf. „Ich habe richtig Mist gebaut“, sagt sie und schließt für einen Moment die Augen. „Sorry, ich muss mich erstmal sammeln.“
Angelica Berger sitzt ihre Strafe im Offenen Vollzug für Frauen ab. Keine Mauern, keine Gitter, keine Uniformen. Das rote Backsteingebäude mit dem großen Garten wirkt eher wie ein Studentenwohnheim. „Ich bin jetzt seit zwei Jahren hier“, erzählt sie. Wegen räuberischen Diebstahls wurde sie zu vier Jahren Haft verurteilt. „Ich schäme mich jedes Mal, wenn ich daran denke. Und man hat hier viel Zeit zum Nachdenken.“
Die meisten der inhaftierten Frauen gehen tagsüber draußen einer geregelten Arbeit nach. Sie arbeiten im Supermarkt, in der Gastronomie oder als Reinigungskräfte. Für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind sie ein Glücksfall. „Niemand kommt so zuverlässig wie wir zur Arbeit“, erklärt Berger. „Da fällt keine aus, weil sie am Vorabend zu viel gefeiert oder getrunken hat.“ Ab 22 Uhr gilt für alle Nachtruhe.

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Blick in eine von einer Inhaftierten selbst eingerichtete Stube im Offenen Vollzug der Frauen-JVA Köln.
Doch der Weg in den Offenen Vollzug ist steinig. Von den 300 Plätzen im Kölner Frauengefängnis gibt es nur 36 im offenen Bereich, aktuell sind 27 belegt. „Für den Offenen Vollzug sind nur die Wenigsten geeignet“, erklärt Anstaltsleiterin Angela Wotzlaw. Viele Verurteilte bringen einen Rucksack voller Probleme mit: Drogensucht, psychische Leiden, Gewaltbereitschaft.
Wer hier eine Chance will, muss absolut vertrauenswürdig sein und darf keine Fluchtgefahr darstellen. Die Regeln sind extrem streng. „Wenn da mal eine KVB ausfällt, muss ich sofort die Pforte darüber informieren, dass ich später komme“, sagt Angelica Berger. Ihr Handy muss sie bei der Ankunft abgeben.
Die Drohung, zurück in den geschlossenen Vollzug zu müssen, wirkt. Die Zimmer werden regelmäßig durchsucht, es gibt Urinproben gegen Drogen- und Alkoholkonsum, die Post wird gelesen und alle Kontobewegungen werden überwacht. Wotzlaws Ansage ist knallhart: „Im Offenen Vollzug verlangen wir von den Inhaftierten absolute Transparenz. Wenn eine Gefangene meint, sie könnte uns linken, kommt sie sofort zurück in den geschlossenen Vollzug.“
Wer das Ticket in die Freiheit auf Zeit bekommt, entscheidet ein Expertenteam aus Abteilungsleiterinnen, Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen. Pro Jahr gibt es 70 bis 80 Anträge. Bei einer Konferenz wird der Fall der Gefangenen S. besprochen. Sie sitzt schon zum zweiten Mal, hat gegen Bewährungsauflagen verstoßen und soll Mitgefangene abgezockt haben. Die Entscheidung fällt schnell. „Wer ist dafür, dem Antrag zuzustimmen?“, fragt die Vize-Bereichsleiterin. Keine einzige Hand hebt sich.
NRW-Justizminister: Offener Vollzug ist kein Kuschelvollzug
NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) ist von dem Konzept überzeugt. „In Köln wird geeigneten weiblichen Gefangenen die Chance gegeben, sich auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorzubereiten“, sagt der Politiker. Wissenschaftliche Studien würden den Erfolg belegen.
Dem Vorwurf des „Kuschelvollzugs“ tritt Limbach entschieden entgegen. „Der offene Vollzug ist kein ‚Kuschelvollzug‘“, betont der Minister. „Es geht darum, Gefangene schrittweise wieder in ein verantwortliches Leben in Freiheit zu führen durch Arbeit, soziale Einbindung und durch Struktur.“ Es sei ein Weg, der Mut von allen Beteiligten erfordere.

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NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne), aufgenommen bei einer Pressekonferenz.
Dass Häftlinge aus dem Offenen Vollzug abhauen, ist selten, aber es kommt vor. So kehrte in Euskirchen ein 31-Jähriger nach einem Weihnachtsurlaub nicht zurück. Trotzdem liegt NRW mit einem Anteil von 32 Prozent an Plätzen im offenen Vollzug weit vor anderen Bundesländern.
Angelica Berger ist froh über ihren Job in der Bäckerei. „Tagsüber verkaufe ich Brötchen, nachts bin ich Gefangene - das weiß von den Kunden und Kundinnen aber niemand“, sagt die Mutter von zwei erwachsenen Kindern. An Flucht hat sie nie gedacht. Sie zeigt ihr kleines Zimmer, das sie mit eigenen Möbeln einrichten durfte, mit Blick auf den idyllischen Garten. „Das ist noch für zwei Jahre mein Zuhause“, sagt sie und lacht. „Wer hier abhaut, muss doch blöd sein.“ (red)