Rassismus im kölschen AlltagShary Reeves: „Ich spüre, wer mich nicht bedienen wird“

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Die Kölner Moderatorin Shary Reeves bei einem EXPRESS-Interview 2018.

Köln – Ganz Deutschland diskutiert weiterhin über den Fall Özil und die großen Streitthemen Integration, Diskriminierung und Rassismus im Alltag. Jetzt schüttet die in Köln geborene Moderatorin Shary Reeves (43) im EXPRESS ihr Herz aus, spricht über persönliche Anfeindungen  und aktuelle Themen.

„Da ist diese permanente Unterdrückung. In der Schule wirst du unterdrückt und nicht gesehen, zu Geburtstagen auf der Einladungsliste vergessen. Wenn ich irgendwo beim Bäcker bin, spüre ich genau, wer mich da nicht bedienen wird. Du weißt genau, wenn du jetzt nichts sagst, übersehen sie dich. Das machen sie bewusst.“

„Ich sage, ich komme aus Köln“

Eigentlich empfindet Shary ihre Heimatstadt als „eher selten ausländerfeindlich“. Für sie ist Köln „der Nabel meines Universums.  Wenn mich im Ausland jemand fragt: Wo kommst Du her, sage ich: »Aus Köln!« Ich würde nie sagen, ich komme aus Deutschland.“

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Für sie sei es immer noch einer der schönsten Momente, „wenn ich aus dem Zug aussteige und ich stehe vorm Dom, gucke nach oben und weiß: Ich bin zu Hause. '

„Der Dom ist wie Familie“

Für mich hat der Dom sogar etwas Menschliches. Für mich ist er nicht nur Heimat, er ist Familie. Ich habe das Gefühl, er wacht über uns.“ Eine Kölnerin, ein Promi, ein TV-Star, ein Fußball-Ass – und doch als Dunkelhäutige oft ganz einsam mit Angst und Wut: „Es ist dieses Gefühl, alleine zu sein, anders zu sein.

„Ich habe einen Groll in mir“

Ich kann ja nichts dran ändern, dass ich diese Hautfarbe habe. Ich kann nicht meine Haut ausziehen und sie gegen eine passendere tauschen. Sie ist ja da.“ Natürlich gebe es  Phasen, in denen sie Rassismus vergisst. „Genau dann kommt einer, sagt: »Was willst du hier? Sprichst du überhaupt deutsch?« Das sind diese verletzenden Momente. Das holt dich wieder zurück.“

Auch bei vielen anderen Themen nimmt Reeves kein Blatt vor den Mund. Offen, ehrlich und schonungslos.

„Menschen mit dunkler Haut stehen ganz unten“

Ich bin ja teils in Kalk aufgewachsen und kann mich erinnern: Wenn wir Kanaken ein Problem hatten, hielten wir alle zusammen – egal, worum es ging. Dennoch gibt es eine Reihenfolge unter uns: Menschen mit dunkler Haut stehen irgendwo auf dem untersten Treppchen.

Ganz oben stehen schon die netten, die sauberen Europäer: Die Italiener, die Engländer, die Franzosen. Dann kommen irgendwann die Türken. Und du merkst, dass auch die türkischen Mitbürger gerne mal um sich treten. Man gibt es so nach unten weiter. Das spürt man schon mal deutlich. Früher hat man gerne mal rausgehauen: „Scheiß Nigger!“ Heutzutage ist das mehr eine Form von diskriminierender Benachteiligung. Ich nenne es den „leisen Rassismus“.

„Ich will auch dahin, wo meine Wurzeln sind“

Ich  verstehe Özil so gut, wenn es um die Rassismus-Erfahrung im Fußball und Umfeld geht. Ich habe etwas in mir drin, was er auch hat: Man hat zwei Herzen. Das Schlimme daran ist aber, dass man nirgendwo wirklich zu Hause ist, weil man nirgendwo als das akzeptiert wird, was man selber glaubt zu sein. Das ist immer das Problem.

Meine Mutter kommt aus Tansania, mein Vater kam aus Kenia. Ich will auch  dahin, wo meine Wurzeln sind. Und das kann man nicht abstellen, nur weil man hier geboren und aufgewachsen ist. Das geht nicht. Gefühle richten über uns, nicht wir über sie. Özils Kommentar „ich bin Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Migrant, wenn wir verlieren“ – das ist  leider so. Ich habe Ähnliches auf dem Fußballplatz erlebt.

„Die Nationalhymne hat im Sport nichts verloren“

Bei der Nationalhymne ist echt das Problem: Mir fallen die Strophen so schwer, weil diese Hymne einfach so eckig ist. Das sind so Wörter und Sätze, die spricht man ja im normalen Deutsch gar nicht so. 70 Prozent der Menschen wissen doch nicht mal, was beispielsweise „Unterpfand“ bedeutet.

Zum Zweiten frage ich mich: Was hat eine Nationalhymne im Sport zu suchen? Ich finde, die hat da nix verloren. Die Hymne zu singen – das  interessiert die meisten Spieler gar nicht. Deswegen singen auch so viele Spieler nicht mit. Die konzentrieren sich, die sind im Tunnel. Die sind so fokussiert in dem Moment, die haben doch oft schon Pipi in der Hose. Die Zuschauer können die Hymne gerne singen, sollen aber die Jungs in Ruhe lassen.

„Ich nenne es Deutsches Weißes Fernsehen“

Ich mag die Talkshow „Anne Will“ und bin ein Riesenfan. Aber da wird bei ihr über Schwarze diskutiert, Rassismus und Boateng – und da sitzt eine Türkin und der Rest ist Deutsch. Worüber reden die eigentlich? Über uns? Auch das ist für mich Rassismus, zumindest Diskriminierung – da bin ich ganz ehrlich.

Ich kann in einer solchen Situation nicht die Arroganz besitzen und sagen: Wir suchen mal den und den Politiker raus – und das reicht uns schon. Dafür gibt es von unserer Sorte genügend in Deutschland. Ich ärgere mich massiv: Ich gucke mir Sendungen an, ich gucke deutsche Filme und frage mich:  „Entschuldigung, Leute, wir finden statt da draußen!“

Ich nenne es Deutsches Weißes Fernsehen. Weil es leider so ist. In den Nachrichten gibt es zwar schon mehr Sprecher und Moderatoren mit Migrationshintergrund, aber das sind die „Quoten-Kanaken“.

So hat es mir eine Marktforscherin mitgeteilt, die für einen Sender  Marktforschung gemacht hat. Sie hat gesagt: Das nennt man intern  „Kanaken-Casting“. Das ist kein Witz. Das ist heftig.

Das sagt ARD-Programmdirektion zu den Vorwürfen

Die ARD weist die Vorwürfe als unzutreffend zurück. „Die Wahrnehmung von Frau Reeves entspricht nicht der programmlichen Realität“, so eine Sprecherin.

„Um nur einige Beispiele für Das Erste zu nennen: Michail Paweletz ist »Tagesschau«-Sprecher und Yared Dibaba moderiert ab 3. September 2018 um 20:15 Uhr »Der beste Deal«, das neue Verbrauchermagazin im Ersten. Peter Marton spielt eine Hauptrolle in der neuen Vorabendserie »Watzmann ermittelt« ebenso wie Jane Chirwa in »In aller Freundschaft – Die jungen Ärzt«“. Florence Kasumba wird an der Seite von Maria Furtwängler im NDR-»Tatort« ermitteln, Denise M'Baye gehört zum Hauptcast von »Um Himmels Willen«. Und der Traumprinz im Märchen »Die Salzprinzessin« wurde von Elvis Clausen dargestellt.

Es bleibt aber auch festzuhalten, dass das Können und nicht die Hautfarbe das entscheidende Kriterium bei der Besetzung von ModeratorInnen und SchaupielerInnen ist.“ Auf die Kritik an der Besetzung der Talkrunden bei „Anne Will“ angesprochen, sagt die Sprecherin: „Die Gästeauswahl bei unseren Gesprächsrunden ist eine redaktionelle Entscheidung, die nach journalistischen Kriterien erfolgt.“