Kölner Biografie als RomanSüdstadt-Oma: Gold in der Wand, 1000er unterm Teppich

Copyright: Peter Rakoczy
Autorin Annette Wieners: Im Hintergrund die Severinstorburg
Köln – Zu Beginn wollte die Kölner Autorin Annette Wieners (55) ihrer Kölner Großmutter, die in der Südstadt lebte, ein literarisches Denkmal setzen: „Ihr Leben sah für mich wie ein toller Roman-Stoff aus“, schwärmt sie im EXPRESS-Gespräch. „Sie war eine Frau, die unbedingt Fotomodell werden wollte und es mit eigenem Künstlernamen Mary Mer sogar schaffte - aber nur für ganz kurze Zeit.“
Für das schnelle Ende der Karriere sorgte ihr Vater: „Er war dagegen und hatte es ihr strengstens verboten.“ Damals – in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts - ging so etwas noch.
Ein anderes faszinierendes Erlebnis im Leben der Großmutter ereignete sich dann rund 60 Jahre später, Anfang der 80er: „Als wir gemeinsam ihr Haus in Forsbach räumten, fanden wir etwas Gold in den Wänden und unter einem Teppich viele Geldscheine, sogar 1000er. Und keiner wusste, wie es dahin gekommen war.“

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Annette Wieners mit EXPRESS-Reporter Horst Stellmacher
Klingt so einfach für eine gute Story, wurde aber immer verwickelter. Denn zwischen Model-Traum und plötzlichem Reichtum traf Großmutter Maria ihren späteren Mann Heinrich. Annette Wieners schrieb schon an der Geschichte, recherchierte aber weiter, und dabei stellte sie fest, dass ihr Großvater - wie viele in seiner Generation - mit dem Kölner Nazi-Geschehen zu tun hatte. Aber wie genau? Die Frage ließ ihr keine Ruhe!
Kölner Unternehmen in der Zeit des Nationalsozialismus
Ihre Neugierde ist der Grund, dass ihr Roman „Das Mädchen aus der Severinstraße“ etwas anders als ein „normaler Roman“ geworden und als eine der ungewöhnlichsten und wichtigsten Neuerscheinungen dieses Bücherherbstes gilt. Dazu kommt, dass Annette Wieners auch beschreibt, wie sich Kölner Unternehmen in der Nazi-Zeit und danach verhielten.
Bei ihren Recherchen stieß die Autorin auf dunkle Geheimnisse – zum Beispiel auf die Vergangenheit des ehemaligen Rüstungsunternehmens „Kurt Postel Spritzguss“ aus Höhenberg, das 1938 als Vorzeigebetrieb mit nationalsozialistischer Gesinnung ausgezeichnet wurde: „Die Firma wurde nach Kriegsende von den Alliierten stillgelegt, Herr Postel erhielt Berufsverbot, arbeitete aber wohl weiter und entwarf offenbar auch die später berühmten Kölner Spritzguss-Modellautos, die zum Teil noch in seiner alten Firma produziert und von einer neu gegründeten Handelsgesellschaft, der Prämeta, auf den Markt gebracht wurden.“
NS-Dokumentationszentrum half bei Recherche
Die Enkelin wusste, dass ihr Großvater in der Nachkriegszeit bei Prämeta gearbeitet hatte, wollte es aber genauer wissen: „Ich habe mich an das NS-Dokumentationszentrum gewandt und nach Informationen gesucht. Die Recherche schaukelte sich auf, es kamen immer neue Details hinzu.“
Als sie erfuhr, dass ihr Großvater bereits 1933 in der NSDAP eingetreten war, war es für sie ein Schreck: „Natürlich ahnte ich inzwischen, dass er in der Partei war. Aber so früh? Das fand ich krass. Ich mochte ihn sehr, er war ein einfallsreicher, unterhaltsamer Mensch. Aber über die Nazi-Zeit hat er nie gesprochen.“
Das Geld, das Gold und die Party zum 80sten Geburtstag
Und was ist aus dem gefundenen Geld und Gold geworden? „Wir konnten nie herausfinden, woher es kam. Meine Großmutter war nur entsetzt, dass ihr Heinrich ihr das verschwiegen hatte und beschloss deswegen, alles auf den Kopf zu hauen. Das letzte Geld davon gab sie auf einer Megasause zu ihrem 80. Geburtstag in einem Luxushotel mit der ganzen Familie aus. Danach war sie pleite und wunderte sich, dass ihr Leben noch nicht endete. Sie ist fast 90 Jahre alt geworden.“
Für den Buchtitel „Das Mädchen aus der Severinstraße“ hat Annette Wieners die Adresse allerdings verändert: „Die echte Maria ist in der Mainzer Straße aufgewachsen, wohnte ab 1937 am Alteburger Wall. Da ich mit dem Roman ihr Leben nicht eins zu eins abbilden, sondern mich nur von ihr inspirieren lassen wollte, siedelte ich das Geschehen in der Severinstraße an. Dadurch bekam ich die nötige schriftstellerische Freiheit und konnte gleichzeitig eine Anbindung an die Realität erhalten.“
(„Das Mädchen aus der Severinstraße“, Blanvalet Verlag, 20 Euro)