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Hunderte Jobs in GefahrKölner Chemie-Riese schlägt Alarm

Gemeinsam gegen die Krise: Ineos-Geschäftsführer Patrick Giefers (l.) und Betriebsrats-Vize Leonhard Huckschlag schlagen Alarm.

Gemeinsam gegen die Krise: Ineos-Geschäftsführer Patrick Giefers (l.) und Betriebsrats-Vize Leonhard Huckschlag schlagen Alarm.

Dramatische Lage bei Ineos in Köln. Der Chemie-Riese kämpft ums Überleben.

Schock-Nachricht aus dem Kölner Norden! Der Chemie-Riese Ineos, einer der größten Arbeitgeber der Stadt, kämpft ums Überleben. Wie schlimm ist die Lage wirklich?

„Noch nie“, habe es eine vergleichbar kritische Situation gegeben, sagt der kaufmännische Geschäftsführer Patrick Giefers, der seit 25 Jahren dabei ist.

Die Folgen sind hart: Erstmals seit Jahrzehnten können Auszubildende „nur in Ausnahmefällen übernommen werden“. Die Belegschaft, vor einem Jahr noch 2500 Beschäftigte, schrumpft bereits auf 2300. Bald werden es „deutlich unter 2000“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein.

Das Frustrierende für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Ineos in Köln: Die Notlage sei „hausgemacht“, aber die Schuld liege bei der Politik. Die eigenen Anlagen seien „top in Schuss“ und „durchoptimiert“, bestätigt die Führung. In den letzten zehn Jahren hat der Konzern zwei Milliarden Euro in den Standort Köln investiert, berichtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“. Technisch ist das Werk also auf dem neuesten Stand. Doch die Rahmenbedingungen machen alles zunichte.

Explodierende Kosten

Die Hauptprobleme sind explodierende Kosten! Seit dem Ukrainekrieg ist Erdgas dreimal so teuer wie in den USA oder China. Auch Strom kostet hierzulande die Hälfte mehr als für die internationale Konkurrenz. Den größten Brocken machen aber die Kosten für CO₂-Zertifikate aus. „80 bis 100 Millionen Euro jährlich“ muss Ineos dafür auf den Tisch legen. Geld, das die Produktion in Deutschland unrentabel macht.

Die Politik fordert den Umstieg auf klimafreundliche Produktion, doch die Realität sieht anders aus. Grüne Alternativen? Fehlanzeige! Würde Ineos seine Anlagen auf Strom umstellen, bräuchte der Standort fünfmal so viel Energie. „Ein Ausbau des Stromnetzes würde aber zehn bis zwölf Jahre dauern“, warnt Stephan Müller, Energy Commercial Manager bei Ineos Köln. Auch andere Alternativen wie Wasserstoff oder die unterirdische Speicherung von CO₂ sind noch in weiter Ferne. Für Ineos kommt das alles zu spät.

Die dramatische Folge: Anlagen, die früher zu 90 Prozent ausgelastet waren, laufen heute nur noch mit halber Kraft. „Die aktuelle Auslastung liegt unter 60 Prozent“, erklärt Geschäftsführer Giefers. Das ist hochgradig unwirtschaftlich. Seit Jahren muss die britische Konzernmutter die Verluste der Kölner Tochter ausgleichen. Eine Frage der Zeit, bis der Geldhahn zugedreht wird.

„Dann wird es kein Ineos in Köln mehr geben“ – mit dieser düsteren Prognose schockiert Energiemanager Stephan Müller. Er wird noch deutlicher: „Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, wird es in Deutschland keine Basischemie mehr geben.“ Ineos ist kein Einzelfall. Überall in Europa haben Konkurrenten bereits beschlossen, ihre Anlagen dichtzumachen.

Ein Aus für Ineos hätte fatale Folgen für die gesamte Region. Im Chempark Dormagen arbeiten viele Unternehmen im Verbund, teilen sich Pipelines und Infrastruktur. Fällt das Herzstück Ineos weg, könnte das ganze System zusammenbrechen. „Das ganze Verbundsystem droht zu kippen“, warnt das Unternehmen. 80 Prozent der in Köln produzierten Chemikalien gehen an Kunden und Kundinnen im Umkreis von 200 Kilometern.

Stephan Müller, Energy Commercial Manager bei Ineos Köln, zeichnet ein düsteres Bild: „Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, wird es kein Ineos in Köln mehr geben.“

Stephan Müller, Energy Commercial Manager bei Ineos Köln, zeichnet ein düsteres Bild: „Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, wird es kein Ineos in Köln mehr geben.“

Dem Klima wäre mit einer Schließung in Köln auch nicht geholfen – im Gegenteil. Die Produkte, die für unzählige Waren von Dämmmaterial bis zu Autoteilen gebraucht werden, müssten dann importiert werden, meist aus Asien. Der Haken: „Der CO₂-Fußabdruck von Ware aus China ist doppelt so groß wie der von hier hergestellten Produkten“, rechnet Müller vor. Dazu kommt der klimaschädliche Transport um den halben Globus.

Und was macht die Politik? Die NRW-Landesregierung und der Bund schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) hält am CO₂-Handel fest, fordert aber einen günstigeren Industriestrompreis vom Bund. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat diesen für Januar angekündigt, doch die Verhandlungen mit der EU laufen noch.

Für andere Ineos-Standorte in NRW kommt jede Hilfe zu spät. In Rheinberg werden zwei Anlagen geschlossen und 175 Stellen gestrichen, der Standort in Gladbeck wird bis Ende 2027 komplett dichtgemacht – 280 Jobs weg! Der milliardenschwere Ineos-Gründer Jim Ratcliffe, auch als Anteilseigner von Manchester United bekannt, findet klare Worte für die europäische Politik: Sie begehe „industriellen Selbstmord“.

Und es könnte noch schlimmer kommen. Weil die Zahl der CO₂-Zertifikate künstlich verknappt wird, wird ihr Preis weiter steigen. Analysten und Analystinnen rechnen mit einer möglichen Verdopplung der Kosten – ein Schock für die Industrie.

Das Argument, Europa müsse beim Klimaschutz Vorreiter sein, lässt Manager Müller nicht gelten. „Die anderen Nationen beobachten das ganz genau und sehen, dass wir damit unsere Industrie zerstören“, sagt er. Sein bitteres Fazit: „Niemand folgt uns.“ (red)