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Meint der Düsseldorfer das wirklich?Achenbach: „Ich wollte länger im Knast bleiben"

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Helge Achenbach ist zurück bei seinen Skulpturen

von Volker Geissler (vog)

Kaarst – Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass Helge Achenbach (67) vorzeitig aus der Haft entlassen wurde. Seine Festnahme 2014 wegen Betrugs war ein tiefer Einschnitt in sein Leben. Nach seiner Entlassung gründete er den Verein „Künstler ohne Grenzen“, der sich für inhaftierte und in Not geratene Künstler einsetzt. Im großen Interview auf dem Hof des Vereins in Kaarst spricht er über seine Vergangenheit und spricht über seine Gefühlslage und Pläne für die Zukunft.

Würden Sie sich als glücklich bezeichnen?

Ich bin heute auf anderer Ebene sehr glücklich. Ich glaube, dass ich mich von dieser materiellen Welt verabschieden musste, zwangsläufig, das angenommen habe und heute in einer völlig anderen Form lebe. Dieses Leben gibt mir sehr viel Kraft, da ist sehr viel an Wahrhaftigkeit.

Jetzt hast du nur noch Freunde, die auch Freunde sind. Die keine Lutscher sind. Die Klatscher, die hinter einem gelaufen sind, sind alle weg. Gott sei Dank. Jetzt geht es an das Eingemachte, an das Wahrhafte. Insofern bin ich glücklich. Das ist auch das letzte Kapitel in meinem Buch, das im Oktober erscheinen wird: Helge im Glück. Da erzähle ich die Geschichte von Hans im Glück als Parallelgeschichte zu Helge im Glück.

Wird Ihr Buch eine Abrechnung? Ihre Ex-Frau Dorothee hat ja auch ein paar nicht so nette Dinge über Sie geschrieben.

Nein, genau das Gegenteil. Es ist kein Buch der Rache, das fände ich völlig unangemessen. Warum soll ich mich rächen? Für was? Ich bin derjenige, der Scheiße gebaut hat. Es ist ein Buch, in dem es darum geht, eine Analyse zu schaffen: Wie kommt ein Mensch wie ich dazu, eine solche Scheiße zu bauen? Und am Ende soll es ein Zeichen für Menschen werden, warum man aufpassen muss.

Also ein Ratgeber?

Nein, ich werde natürlich auch einige Dinge enthüllen. Ich werde Geschichten erzählen, die ich mit Künstlern erlebt habe. Ich werde natürlich auch erzählen, wie es war mit einem Milliardär unterwegs zu sein. Ich werde natürlich auch einiges über seine Witwe erzählen. Aber nicht so, wie es die meisten erwarten, nämlich boshaft. Sondern mit Respekt und Anstand. Insgesamt würde ich sagen: Es wird Zündstoff geben, aber gemütlich.

Mit welcher Auflage geht los?

Da bin ich sehr entspannt. Da es Doro aber in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft hat ist ja klar, dass das auch mein Ziel ist. Natürlich muss ich das packen (lacht).

Zum Alltag: Wie muss man sich Ihren Tagesablauf heutzutage vorstellen?

Unsere Bürozeit startet um 10 Uhr. Entweder starte ich ganz gemütlich um 9 Uhr von Köln aus, wenn die Rush Hour vorüber ist, oder hab vorher hier übernachtet. Wie lange es geht, ist offen. Manchmal dauert es bis 22 Uhr, weil hier ja Künstler betreut werden müssen, Projekte entstehen. Es gibt alle möglichen Sachen: Künstler, denen es schlecht geht, die im Gefängnis sitzen. Da versuchen wir Gelder aufzutreiben. Dazu versuche ich den Kontakt zu westlichen Künstlern herzustellen.

Es hilft ja nichts wenn ein Syrer hier sitzt und in seinem eigenen Saft schmort. Der muss in die weite Welt, den muss man irgendwie einbinden. Dann kommen Besucher, Vereinsmitglieder. Das ist ein richtiger Full-Time-Job, der mich zwölf Stunden einbindet - ehrenamtlich.

Und wovon leben Sie?

Ich bekomme von einem befreundeten Unternehmer knapp 2000 Euro brutto. Das Schöne ist, dass ich bei Günter Wallraff keine Miete bezahle. Darauf hat er bestanden. Ich habe hier einen VW-Bus, der dem Unternehmer gehört. Von ihm habe ich eine Tankkarte für den Verein. Alles was hier infrastrukturell nötig ist, wird von einem ganz tollen Menschen bezahlt. Der Hof kostet uns auch nichts, den hat uns ein Unternehmer aus Düsseldorf zur Verfügung gestellt.

Wieviel geben Sie selbst aus?

Wenn ich auf den Punkt komme, wie viel Geld ich zum Leben brauche, sind das 500 bis 600 Euro im Monat. Mehr brauche ich nicht, damit komme ich klar. Ich habe aber glücklicherweise auch noch meine Klamotten von früher, aus alten Zeiten.

Was passiert mit dem restlichen Geld?

Davon zahle ich meine Krankenversicherung. 850 Euro privat, weil die gesetzliche mich nicht nimmt. Ich bin zu alt. Dann bleibt noch etwas übrig. Damit unterstütze ich meine Kinder beim Studium, der Rest ist für mich. Aber das ist cool, das geht.

Aber Sie müssen wegen der Betrugsgeschichte doch auch noch zahlen, oder?

Ja klar, 30 Jahre lang. Mein guter Freund, der Obergerichtsvollzieher von Köln, hat mir gerade einen Eintrag in mein Schuldenregister über 19,4 Millionen von den Erben Albrecht geschickt. Das heißt, auch wenn sie über Firmen etwas zurückbekommen, durch Auktionen sind ja rund 15 Millionen reingekommen, haben sie die 19,4 erst mal an mich rangetragen. Das sind 16 Millionen aus dem Urteil und 3,4 Millionen Nebenkosten. Das wird an mir 30 Jahre wie mit Wackersteinen an mir hängen. Das würde bedeuten, ich wäre 97 und schuldenfrei.

Nur zum Verständnis: Wenn 15 Millionen überwiesen wurden, dürften es doch „nur“ noch 4,4 Millionen sein.

Das hätte ich auch gedacht. Dann kommen aber wieder zusätzliche Dinge wie Prozesskosten, Gerichtskosten, dann hast du schon wieder 800.000 an der Backe. Dazu habe ich als Unternehmer Helge Achenbach immer von einem Unternehmen aufs andere Darlehen gegeben. Jetzt sind die aber alle insolvent gegangen und ich muss privat dafür haften, dass ich den Firmen untereinander Geld gegeben habe. Das ist so, dann kommen da nochmal zehn Millionen um die Ecke. Irgendwann schlagen die einen tot.

Klingt ausweglos. Oder gibt es eine Idee?

Klar habe ich eine Idee (lacht). Es gibt immer wieder kleinere Hoffnungen.

Sollten sich diese erfüllen: Können Sie sich vorstellen, wieder da zu machen, was Sie früher gemacht haben?

Nein. Was ich mir vorstellen könnte wäre das hier noch viel üppiger zu machen. Und dass ich dann den einen oder anderen Rat für Sammler gebe, aber nicht mehr als Tagesgeschichte.

Nach Ihrer Geschichte dürften viele Menschen Ratschläge von Ihnen aber eher mit Skepsis begleiten…

Ich bekomme jeden Tag Anfragen, das ist ganz interessant. Ich nenn das mal so: Etablierte Reiche rümpfen die Nase, so ein bisschen verächtlich. Aber es gibt ja die nicht etablierten Reichen, die sozusagen die nächste Stufe gehen wollen. Und da bekomme ich Anfragen ohne Ende. Ich könnte jeden Tag irgendwo unterwegs sein, mache ich aber nicht. Sondern nur ganz, ganz reduziert – weil ich mich da auch nicht mehr reinbewegen will. 90 Prozent des Handelns läuft unbewusst ab. Und wenn du wieder in deine alte Reflexzone gerätst, finde ich das in meiner Situation gefährlich. Ich möchte das nicht mehr. Ich sitze hier und habe meine Zufriedenheit.

Zurück zur Idee: Wie könnte die aussehen?

Sagen wir mal so: Ich warte auf ein spannendes Angebot, wo ich mit all meinem Knowhow noch einmal als Berater einsteigen kann. Wenn dann nur ein einer bestimmten Größe. Die Schlagzeile „Achenbach schuldenfrei“ würde ich natürlich schon gerne lesen. Ob es dazu kommt? Heute würde ich sagen 50:50.

Sie haben eine neue Freundin, die wesentlich jünger ist. Wie realistisch ist es, dass Sie noch einmal heiraten?

Ich weiß nicht, ob ich das mit fast 70 Jahren einer 40-Jährigen zumuten soll. Die Liebe braucht kein Papier. Ich habe ja schon dreimal geheiratet, und es hat nichts genützt. Ich muss diesen Schein nicht mehr haben. Sie ist eine fantastische junge Frau, mit der ich jetzt seit einem Jahr zusammen bin. Meine Kinder haben zu mir gesagt, dass das zum ersten Mal eine Frau ist, die richtig zu mir passt. Das ist doch herrlich, das hilft auch für die Psyche.

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In der litauischen Malerin Evelina Velkaite hat Helge Achenbach eine neue Liebe gefunden

Und wenn sie möchte?

Ich würde das nur machen, wenn wieder alles klar wäre. Das muss sich alles auch erst mal bestätigen, es sind nun mal 30 Jahre Altersunterschied. Aber meine Freundin sagt, dass sie eine alte Seele hat. Und weil sie eine alte Seele hat, findet sie das mit den alten Männern gut. Sie hat mir gesagt: ‚Wegen des Geldes habe ich dich nicht genommen. Und deine Vorgeschichte ist auch düster.‘

Sie sagen, dass Sie wieder glücklich sind. Wie lange hat es nach der Haft gedauert, sich zurechtzufinden?

Da müssen wir beim Sommer 2014 anfangen. Das war rückwirkend die größte Katastrophe, die man überhaupt erleben kann. Stellen Sie sich vor, Löw und Bierhoff sagen zu dir: Du kannst selbstverständlich in der Mannschaftsmaschine mitfliegen, wir wohnen ja in der Nähe. Ich hatte neben dem Campo Bahia für sieben Wochen eine geniale Villa gemietet, für die Künstler und mich. Und dann kommst du anstatt die Spiele zu erleben in die Kiste und bekommst so ein kleines Schwarz-Weiß-Gerät in die Zelle gestellt. Was meinen Sie, wie ich mich beim 7:1 gegen Brasilien gefühlt habe? Ich dachte nur: Das darf nicht wahr sein. Das war ein Horror-Szenario in einer Potenz, wie ich sie mir nie habe ausmalen können.

Haben Sie in der Nacht danach schlafen können?

Ich habe im Knast eigentlich nie schlafen können. Du bist 24 Stunden eingesperrt wie ein Tier, bis auf die eine Stunde wo sie dich rauslassen. Das ist schon brutal. Dann gibt es anfangs auch diese Reflexe: Ich bin unschuldig, ich bin verraten worden. Das sind so Gedanken, die du hast. Du sammelst alles an Hass und Wut. Irgendwann kommt dann der Punkt, an dem man einsehen muss dass man einen Fehler gemacht und dafür bezahlen muss. Das braucht seine Zeit.

Was passierte, als diese Zeit gekommen war?

Dann überlegt du dir, wie du damit umgehst, was die nächste Stufe ist. Bei mir was es so, dass ich mit dem Pfarrer im Knast sehr gut klar kam und er mir beim Überstehen der Situation geholfen hat. Da gibt es zum Beispiel beim Vater unser die Stelle: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Normalerweise redest du das einfach und denkst gar nicht darüber nach. Plötzlich wird dir die Bedeutung klar. Nach drei, vier Monaten war ich an den Punkt gekommen, wo mir klar war, dass ich das annehmen muss. Dass ich mich von der alten Welt verabschieden und Verantwortung übernehmen musste. Daraus ist eine Befreiung geworden und hinterher war es großartig.

Im Knast?

Nach einem halben, dreiviertel Jahr merkte ich, wie ich sogar in diesem Essener Knast, der einer der härtesten in NRW ist, mit den Menschen klarkam. Ob das nun die Beamten waren oder die Knackis. Irgendwie fühlte ich mich akzeptiert und habe dann angefangen Kunstgeschichtsunterricht vor dem Knackis zu geben. Dann war ich im Bibelkreis, im Chor, ich habe bei jedem Gottesdienst eine kleine Geschichte vorgetragen und wurde irgendwann sogar Sportwart. Als ich dann nach zwei Jahren von der Anstaltsleitung von meinem Abschied erfuhr, rollten mir die Tränen. Weil ich eigentlich gar nicht weg wollte.

Ist das Ihr Ernst?

Ich habe denen gesagt, dass ich eigentlich bis zu meiner Entlassung bleiben möchte. Da haben die gesagt: „Nix da, Achenbach, du gehst jetzt in den offenen Vollzug.“ Das ist verrückt, aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Du kommst auch im Knast klar, ohne rauszukommen. Du musst die Kraft haben, dir die Welt dort zu bauen und das hatte ich gemacht. Es funktionierte. Im Nachhinein muss ich sagen: Das war eine Zeit, die ich nicht mal mehr missen möchte. Das klingt bescheuert, aber es ist so. Es war auch eine Challenge, ich musste mir beweisen, dass ich auch das überstehe. Es hat mich stark gemacht. Mich kann heute nichts mehr erschüttern.

Beschreiben Sie mal Ihren ersten Tag als freier Mann.

Ich kam raus und standen da die altbekannten Journalisten (lacht). Aber natürlich war das herzzerreißend, wieder nach Hause zu kommen, in die alte Heimatstadt. Wir haben gefrühstückt, dann bin ich zu meinem Arzt, der mich kostenlos untersucht hat. Anschließend war ich beim Friseur, da haben sie mir die Haare umsonst geschnitten. Dann wurde ich zu essen beim Italiener im Kö-Bogen eingeladen. Ich hatte ja kein Geld, in meiner Tasche waren 50 Cent. Der Gastgeber hat mir dann angeboten, bis ans Lebensende umsonst essen kommen zu dürfen, aber das konnte ich nicht annehmen.

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Helge Achenbach füttert seine Tiere

Klingt sehr positiv. Aber hatten Sie keine Befürchtungen, dass die Leute negativ auf Sie reagieren?

Doch, total. Und ich wurde bestätigt. Am übernächsten Tag hatte mich ein Freund in Roberts Bistro eingeladen. Ich ging da rein, die ganze Kneipe hat sofort geglotzt. Fürchterlich. So fühlst du dich wahrscheinlich, wenn du wirklich berühmt bist. Ich bin ja nur ein Lokal-Promi. Dann stand der erste Mann auf, kam an den Tisch und begrüßte mich. Nebenan stand ein zweiter Mann auf, der wurde von seiner Frau festgehalten und beschimpft: „Wenn du da jetzt hingehst, kriegst du Ärger mit mir!“ Dabei schoss sie so giftige Blicke in meine Richtung. Dann sahen mich drei Frauen an, wie Hexen. Die hätten mich am liebsten umgebracht.

Im Anschluss kam ein Ehepaar, Kunden von mir. Sie machte so eine ganz lange Krallenhand und ich habe mir gedacht: Der gebe ich keine Hand. Sie hatte schlecht über mich erzählt, das wusste ich. Und er war so ein Doofkopp, den habe ich auch nicht begrüßt. Und dann habe ich folgendes gemacht: Ich bin zur Toilette, habe die Hand unter dem Wasserhahn schön nass gemacht, bin dann zum Tisch von denen und hab gesagt: Ich wollte euch noch begrüßen. Das waren die ersten Erfahrungen.

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Blieb es so schwierig?

Wenig später hatte mich der Veranstalter zu einer Dinner-Party in Berlin eingeladen. Da waren hunderte Promis und ich dachte, dass ich gegen eine Mauer schaue. Als wäre ich unsichtbar. Von diesen 300 Lutschern, die früher an mir dranhingen, haben sich vielleicht fünf zu mir gewandt. Der Rest hat mich ignoriert, das war schon brutal. Ich bin froh, dass sich alles geklärt hat und ich weiß, wo meine Freunde sind.