„Ziegenfickerei”Politikerin öffnet widerlichen Brief, der nicht zu ertragen ist

Brief_Meinung

Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) postet den Inhalt eines Hassbriefes, der an sie adressiert ist.

von Martin Gätke (mg)

Köln/Berlin – Wird der Hass in unserer Gesellschaft jetzt normal? Gehören Gewaltandrohungen, Todesdrohungen, Aggression und Sexismus jetzt zum Alltag von Politikern? Der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (41, SPD) wurde nicht nur mit Gewalt, sondern auch mit dem Tod gedroht. Ein aktueller Hass-Brief, den sie auf Twitter postet, zeigt nur ein Bruchstück dessen, was Politiker ertragen müssen. Doch die Wut bricht sich auch außerhalb des Internets immer öfter Bahn. Wann müssen die Hass-Autoren endlich echte Konsequenzen fürchten? Ein Kommentar.

Es sind Zeilen, die kaum zu ertragen sind: „Wir würden ja empfehlen, mal einen Schlachter aufzusuchen, damit du hässliche Schminkfratze dir die Kamelscheiße zwischen den Ohren entfernen und dir mal ein Gehirn einpflanzen lassen kannst. Bei euch Kanacken ist doch die Ziegenfickerei mode.“ So beginnt der Brief, der Sawsan Chebli (SPD) erreichte. „Morgenlektüre aus der Postmappe“ schreibt sie lakonisch dazu. Kein Wunder, derlei „Lektüre“ gehört mittlerweile zu ihrem Alltag.

Erst Anfang Dezember machte sie – ebenfalls in einem Tweet – eine Morddrohung publik, die sie erreichte: „Auch du Negerliebhaberin hast es auf unsere Todesliste geschafft und hast hiermit offiziell den dritten Platz eingenommen. Keine Regierung dieser Welt wird dich vor unserem Attentat bewahren können, denn dein Leben ist ihnen nichts wert.“

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Hass gegen Sawsan Chebli: „20 bis 30 Strafanzeigen pro Woche“

Im Juni 2019 erklärte sie bereits, dass sie „20 bis 30 Strafanzeigen pro Woche“ erstatte, um wenigstens gegen die „übelsten Beleidigungen und Drohungen“ vorzugehen. 

Hass im Netz – spätestens die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zeigt, wie ernst derlei Drohungen zu nehmen sind. In vielen Winkeln des Internets herrscht eine toxische Atmosphäre, die nicht nur die Demokratie vergiftet. Sondern auch unsere Gesellschaft außerhalb des Internets. Andere Meinungen werden immer weniger akzeptiert, eine Diskussion ist offenbar nur noch mit martialischen Worten möglich.

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Sawsan Chebli (SPD), Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales

Und der Hass kommt meistens von rechts: Ein Großteil (77 Prozent) lässt sich laut Zahlen vom BKA dem rechtsextremen Spektrum zuordnen. Knapp 9 Prozent der Kommentare sind linksextrem, die verbleibenden 14 Prozent sind ausländischen oder religiösen Ideologien beziehungsweise keiner konkreten politischen Motivation zuzuordnen.

Dass Hassparolen zu hasserfüllten Taten werden können, zu Anschlägen auf Wohnungen und Büros, zeigte jetzt auch Cem Özdemir (Grüne): Sein Berliner Wohnhaus wurde mit einem Stein beworfen. Er postete ein Foto von einer zerborstenen Scheibe in seiner Haustür. „Die Botschaft galt wohl mir“, schreibt der Grünen-Politiker dazu. Er wolle sich nicht einschüchtern lassen. Auch Özdemir hatte Anfang November 2019 Morddrohungen bekommen, zusammen mit Parteikollegin Claudia Roth. Er erhält seit längerem Personenschutz durch das Bundeskriminalamt.

Justiz muss unsere Freiheit im Netz endlich besser schützen

Es sind untragbare Zustände. Digitaler Hass führt zu Hass in echtem Leben. Aber wann müssen die Urheber endlich ernsthafte, schwerwiegende Konsequenzen in ihrem Leben fürchten? Wann gehen Strafverfolgungsbehörden endlich hart gegen Bedrohungen im Netz vor?

Die Justiz muss unsere Freiheit hier viel besser schützen. Denn längst werden nicht nur Politiker Opfer dieser feigen Attacken.

Seit Monaten wird zwar in der Politik über das Problem debattiert. Doch passiert ist noch wenig. Rechtskräftige Urteile gegen Hass, die ein echtes Exempel statuieren und die ein wirksames Zeichen setzen, sind noch nicht gefallen.

Im Gegenteil: Das Landgericht Berlin hatte entschieden, dass die Grünen-Politikerin Renate Künast Beleidigungen im Internet hinnehmen müsse. „Stück Scheisse“ und „Drecks Fotze“ seien Meinungsäußerungen.

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Wir brauchen endlich eindeutige Urteile mit klarer Haltung gegen Hass

Zwar hat Künast Anfang Dezember in einem der 22 Fälle (!) einen Teilsieg erlangt: Das Landgericht verpflichtete Twitter, Namen und E-Mail eines anonymen Nutzers herauszugeben, der Künast das falsche Zitat „Ja zu Sex mit Kindern“ in den Mund gelegt hatte. Doch das kann nur der Anfang sein.

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Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) setzt sich vehement gegen Hate Speech ein.

Wir brauchen endlich mehr eindeutige Urteile mit klarer Haltung gegen den Hass. Nicht nur, um ein Zeichen zu setzen für all jene, die sich für Demokratie und zivilisierten Umgang einsetzen. Sondern auch, um den Bürgern zu zeigen, dass sich der Staat im Notfall zwischen sie und den Hass stellt – egal, woher er kommt. Damit wir weiter angstfrei streiten und diskutieren können.