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„Dieses Gefühl darf nie verloren gehen“Toni Kroos: Tipps für B-Jugend des 1. FC Köln

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Toni Kroos beim Treffen mit der B-Jugend des 1. FC Köln 2019.

Köln – Florian Wirtz (17) startet bei Bayer Leverkusen durch, Jamal Musiala (18) steht vor seinem ersten Länderspiel für Deutschland. Welcher junge Fußballer träumt nicht von einer Karriere als Profi? Bundesliga spielen, mit und gegen die ganz Großen. Der Weg dorthin verlangt allerdings neben viel Disziplin, mentaler Stärke und Talent vor allem die Fähigkeit, mit Rückschlägen umzugehen und dem andauernden Druck standzuhalten.

  • Diese Tipps gab Toni Kroos der B-Jugend des 1. FC Köln
  • Auszüge aus dem Buch „Kicken wie die Profis“
  • Kai Psotta zeigt Tipps und Tricks auf dem Weg zum Bundesliga-Star

Sportjournalist und Spielerberater Kai Psotta (40) hat sich zu dem Thema mit zahlreichen Experten unterhalten. Was erwartet Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg zum Fußballprofi? Wie läuft es in den Nachwuchsleistungszentren der Bundesliga-Vereine ab? Wie arbeiten die besten Trainer? „Kicken wie die Profis“ (Heyne, Taschenbuch, 288 Seiten, 10,99 Euro) gibt einen tiefen Einblick.

EXPRESS dokumentiert exklusiv Auszüge daraus. Ein Kapitel widmet sich Martin Heck (38), der 2019 mit der B-Jugend des 1. FC Köln Deutscher Meister wurde. Weltmeister Toni Kroos (31) hatte mitbekommen, dass die Mannschaft den Titel geholt hatte – und er kam auf die Idee, das Team von Heck einzuladen und die Spieler zu treffen.

Alles zum Thema Toni Kroos

Toni Kroos traf die B-Jugend des 1. FC Köln im Hotel zum Plaudern

In einem Hotel im Mediapark gab es einen Raum, in dem Kroos, der Weltmeister und viermalige Champions-League-Sieger, die Jungs empfing. Nachdem die Scheu sich gelegt hatte, nutzten Heck und die Spieler ihre Chance, Karrieretipps von Kroos zu bekommen und ihn mit entsprechenden Fragen zu löchern. Kroos mag solche Termine. Er freut sich immer, wenn er jungen Talenten mit Rat und Tat zur Seite stehen kann.

Welche Ratschläge Toni den Jungs geben könne, fragte zunächst Trainer Heck ganz generell. Und Kroos, der erfolgreichste deutsche Fußballer aller Zeiten, antwortete: „Das A und O in meinen Augen ist, dass ihr immer in Erinnerung behaltet, warum ihr ursprünglich mit dem Fußball angefangen habt – und das ist der Spaß. Das ist ganz wichtig und etwas, was ich mir selber immer sage. Wir alle hier haben ja nicht angefangen Fußball zu spielen, weil wir das beruflich machen wollten, sondern weil wir einfach verdammt viel Lust darauf hatten. Mit sechs, sieben, acht Jahren habe ich nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, wie sich Fußball anfühlt oder was er für mich bedeutet. Es war einfach nur ein überragendes Spiel und hat mich erfüllt. Und dieses Gefühl darf – ganz gleich in welcher Altersklasse und auf welchem Leistungsniveau – nie verloren gehen.

Der Spaß sollte immer die entscheidende Grundvoraussetzung sein, warum man Fußball spielt. Wenn es bei mir irgendwann losgehen sollte, dass ich mir den Kopf über Fußball zerbreche, ihn als Druck empfinde und mich davon negativ beeinflussen lasse, ab dem Moment ist Fußball nicht mehr das Richtige für mich. Ich habe für mich festgelegt: Wenn ich keinen Spaß mehr an dem Spiel habe, dann höre ich auf. Auch aus Respekt dem Fußball gegenüber, weil er mir echt viel gegeben hat. Ich will nie das Gefühl haben, Fußball arbeiten zu müssen. Mich dazu zwingen zu müssen, ein Trikot anzuziehen.“

Toni Kroos spricht über seine Erfahrungen als junger Spieler

Natürlich sei nicht jede einzelne Trainingseinheit immer spaßig gewesen. „Es wäre ein Märchen zu behaupten, dass alles in den vergangenen dreizehn Jahren immer nur Spaß gemacht hat. Es gab Dutzende individuelle Trainingseinheiten, die genervt haben. Sei es, weil man etwas zum tausendsten Mal wiederholt hat. Oder weil es verdammt anstrengend war. Aber diese Momente des Genervt-Seins oder der Lustlosigkeit dürfen nie den Spaß am Spiel, den Spaß insgesamt rauben. Sonst beraubt man sich seiner eigenen Leichtigkeit und ist nicht mehr richtig auf dem Platz aufgehoben.“

Einer der Jungs fragte, was Kroos alles gemacht habe, um Profi zu werden. „Ich habe akzeptiert, dass der Weg nach oben auch mal wehtut. Vor allem, weil man auf Dinge verzichten muss. Freunde kommen viel zu kurz. Man willigt ein, eine andere Jugend als die Mehrzahl zu erleben. Man muss bereit sein, fleißig zu sein. Ich weiß noch, wie es mir irgendwann aus den Ohren rauskam, wieder und wieder und wieder und wieder die Ballannahme und Ballmitnahme zu üben. Das musste ich ja nicht einmal, nicht zehnmal, nicht tausendmal, sondern ein paar zehntausend Mal machen, obwohl ich anfangs dachte: Das kann ich doch jetzt. Obwohl mir nachgesagt wurde, großes Talent zu haben, musste ich vor allem sehr, sehr viel Arbeit und sehr, sehr viele Extrastunden investieren. Das ist elementar notwendig auf dem Weg zur Perfektion.

Alle diese Extraschichten lassen mich heute in diesem schnellen Fußball bestehen, weil mir die perfekte Ballannahme diese extra Zehntelsekunde Zeit vor meinem Gegner verschafft. Ich habe es zum Glück irgendwann kapiert, dass es unabdingbar ist, viel trainieren zu müssen. Und ich habe es dann gemacht, weil ich diese Perfektion auch erlangen wollte. Der Wille muss von einem selber kommen. Wenn euch jemand dazu zwingen oder überreden muss, mehr zu tun, wird es nicht funktionieren. Ihr müsst für euch ganz allein entscheiden, ob ihr wirklich bereit seid, mehr zu machen. Euer Kopf muss bereit für ständige Extras sein. Wenn ihr euch irgendwann nur noch fragt: „Warum schon wieder? Warum noch mal?“ Wenn ihr überzeugt seid: „Das kann ich jetzt. Besser geht es nicht mehr“, dann habt ihr ein Problem. Weil ihr eigentlich im Kopf haben solltet: „Okay. Noch mal. Das geht noch schneller. Noch enger. Noch druckvoller.“

Toni Kroos: Ballan- und -mitnahme immer und immer wiederholt

Ihr müsst bereit für Wiederholungen, Wiederholungen, Wiederholungen sein. Ich wusste, dass ich nur eine normale Schnelligkeit habe, dass es unfassbar viele Spieler gibt, die physisch schneller sind als ich. Daher habe ich es mir zum Ziel gesetzt, vor allem im Kopf schneller zu sein als die anderen. Und dann auch in der Bewegung. Heute sieht das manchmal so simpel aus, ist es aber nicht bei der Geschwindigkeit des Spiels. Ich habe die Ballan- und -mitnahme durch jahrelange, auch nervige, Wiederholungen so automatisiert, dass es mir in vielen Situationen diese kleine Millisekunde Vorsprung gibt, um meine Aktion zu machen.“

Kaum hatte Kroos ausgesprochen, schnellten mehrere Hände in die Luft in der Hoffnung, nun drangenommen zu werden. Heck musste kräftig schmunzeln und kommentierte die Wissbegierigkeit seiner Jungs trocken: „Wenn ihr mal so in der Schule mitmachen würdet.“ Aber während es dort um punische Kriege oder Sinuskurven geht, ging es hier und jetzt um den Sprung von Toni Kroos zu den Profis. „Irgendwann, es muss im Oktober 2006 gewesen sein, war ich beim Training mit der A-Jugend, als plötzlich Mehmet Scholl zu uns auf den Platz kam. Er kam gerade aus einer Verletzung zurück, wegen der er auch nicht mit den Profis zum Champions-League-Spiel nach Lissabon geflogen war.“

Mehmet Scholl kämpfte bei Uli Hoeneß um Toni Kroos

Scholl, der heute den meisten als TV-Experte bekannt ist, war damals sechsunddreißig Jahre alt. Seine Gegenspieler fürchteten sich vor seinen Dribblings und seinen flinken Haken. Er war einer, dem man in jeder Sekunde auf dem Platz seine Verliebtheit in den Fußball anmerkte. Scholl hatte die Champions League, den Weltpokal und den UEFA-Cup gewonnen und fünf Pokalsiege geholt. Acht Mal gewann er die Deutsche Meisterschaft. 1996 war er Europameister geworden. Und nun trainierte er einfach unter Nachwuchstrainer Kurt Niedermayer bei den Talenten des FC Bayern mit. Aus Freude am Spiel – und weil er keine Lust auf ödes Regenerationstraininig hatte.

Nach der Einheit griff Scholl dann, was Kroos erst Jahre später erfuhr, zum Telefon und rief Uli Hoeneß an. „Wir haben da einen, der muss zu den Profis“, sagte der Spieler zu seinem Manager und Ziehvater. Toni Kroos könne, so berichtete Scholl weiter, „Pässe spielen, schießen, sich wehren“. Statt eines Dankeschöns für den Hinweis bekam Scholl zunächst ein Donnerwetter in typischer Hoeneß-Manier ab. Von jetzt auf gleich ging der Puls hoch und die Worte purzelten nur so, ein wenig unkontrolliert, aus seinem Mund. „Kümmere dich um deinen Scheiß“, schimpfte Hoeneß und fragte, was Scholl überhaupt damit zu tun habe. Er kenne den Kerl, der solle erst mal bei den Amateuren spielen. Doch Scholl, beeindruckt und überzeugt, ließ nicht locker und kämpfte weiter. „Nein, der ist sechzehn. Der muss zu den Profis.“

Felix Magath sprach kein Wort mit Toni Kroos

Eine Woche später war es dann so weit. Felix Magath, dem damaligen Cheftrainer, fehlten zwei Mann, sodass er Kroos kommen ließ. „Ich bin da wirklich klein mit Hut in die Kabine gegangen, weil ich wusste, da sind Spieler wie Oliver Kahn. Vor dem hatte ich einen Höllenrespekt. Wobei ich dann irgendwann erfahren habe, dass der zu meiner Zeit schon deutlich ruhiger war als früher.“

Das Training unter Magath sei zwar „irgendwie cool, aber auch verdammt komisch gewesen“. Kein einziges Wort sprach er während der gesamten Zeit. Mit niemandem. Sodass Kroos sich nach der Einheit ein wenig verwirrt verabschiedete und erst mal wieder zur A-Jugend zurückging.

Wenig später sorgte Kroos bei der U17-Weltmeisterschaft in Korea für Aufsehen. Fünf Tore und eine Vorlage steuerte er schließlich zu Platz drei für die deutsche Mannschaft bei. „Inzwischen war Ottmar Hitzfeld Trainer, und ich war regelmäßig bei den Profis dabei. Miroslav Klose und Mark van Bommel haben ein bisschen auf mich Acht gegeben. Die haben mich immer unterstützt. Damals war es ja noch was anderes, in eine Profi-Kabine zu kommen. Da war die Hierarchie eine ganz andere als heute. Als junger Spieler warst du erst einmal nichts. Da galt es, nicht zu vorlaut zu sein und sich ganz langsam den Respekt der Älteren zu verdienen. Der Jüngste ging auch dann häufiger mal beim Kreisspiel in die Mitte, wenn er gar nicht unbedingt den Fehler gemacht hatte. Da hieß es: „Klappe halten, akzeptieren.“

Heutzutage sind die meisten sehr schnell komplett integriert. Sie haben teilweise ein ganz anderes Selbstbewusstsein und fangen manchmal beim Training auch an zu diskutieren, was ich früher definitiv nicht gewagt hätte. Deshalb sage ich: Heute ist es für junge Spieler viel, viel einfacher, oben aufgenommen zu werden. Das kann vieles einfacher machen und ist auch gut fürs Selbstvertrauen. Die einzige Gefahr, vor der ich warne: Ich habe schon ein paar Jungs erlebt, die durchgedreht sind, weil sie sich vollkommen überschätzt haben. Die dachten, weil die Integration so einfach war, dass sie schon was erreicht hätten. Die dachten, sie könnten jetzt mit gestandenen Profis auf Augenhöhe diskutieren. Dabei haben sie überhaupt nicht verstanden, was es bedeutet, oben zu bleiben.“

Der nächste Spieler wollte wissen, ob es auch schwierige Momente gab, als Kroos noch Jugendfußballer war. „Ich hatte nie Probleme mit einem Trainer oder längere Phasen, in denen ich nicht gespielt habe. Ich war auch fast nie verletzt. Meine Jugendzeit lief relativ glatt durch. Das erste Mal, dass es schwieriger wurde, war, als Jürgen Klinsmann mir bei Bayern nicht die Einsatzzeit gab, die ich mir selber gewünscht hätte.

Heute habe ich ein anderes Verständnis für seine Entscheidung und verstehe es auch total. Aber damals war es völlig neu für mich, nicht gefragt zu sein. Ich kannte das Gefühl nicht, vermeintlich noch nicht gut genug zu sein, um zu spielen. Ich habe das damals auch anders gesehen als der Trainer, und dementsprechend groß war natürlich auch die Frustration. Womöglich war ich mit siebzehn, achtzehn Jahren ein bisschen zu ungeduldig. Wobei es auch schwer ist, geduldig zu sein, wenn alle rundherum einen als Supertalent bezeichnen. Da möchte man selbst ja auch beweisen, was in einem steckt. Und dann darf man es nicht. Das war verdammt hart zu akzeptieren.“

Über eine halbe Stunde hörten die Kölner Jugend-Meister Toni Kroos begeistert zu. Dann gab es Fotos. „Danke“, sagte Heck zum Schluss. „Ich bin sicher, dass viele Jungs diesen Nachmittag ganz lange in Erinnerung behalten. Und sich vor allem an deine offenen Worte erinnern werden, wenn sie hoffentlich selbst zum ersten Mal in eine Profi-Kabine kommen oder mal daran zweifeln, ob sie eine Übung noch mal wiederholen sollen.“