Ex-DFL-Boss mit scharfer KritikRettig schlägt Alarm gegen Länderspiel-Wahnsinn

Engländer-DFB

Die Premier-League-Profis Antonio Rüdiger, Timo Werner, Bernd Leno, Ilkay Gündogan und Kai Havertz bei ihrer Ankunft am Teamhotel in Düsseldorf.

Köln – Die Nationalmannschaft startet in dieser Woche in die Qualifikation für die WM 2022 in Katar. In Duisburg geht es am Donnerstag (25. März) gegen Island und am darauffolgenden Mittwoch gegen Nordmazedonien. Zwischendurch reist der DFB-Tross nach Bukarest, um dort am Sonntag gegen Rumänien anzutreten - ein Land, das das Robert-Koch-Institut seit Oktober als Corona-Risikogebiet einstuft.

  • Nationalmannschaft beginnt Reise-Wahnsinn zur WM-Qualifikation
  • Andreas Rettig schlägt Spielplan-Reform vor und kritisiert DFB- und DFL-Funktionäre
  • Auch die U21-EM stellt ein großes Risiko dar

Zudem beginnt am Mittwoch auch die U21-Europameisterschaft mit 16 Nationen und acht Spielorten in Ungarn (Sieben-Tage-Inzidenzwert von 570, einen der höchsten weltweit) und Slowenien (Inzidenzwert 272, Tendenz steigend). Deutschland ist auch dort vertreten.

Für den früheren DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig (57) eine problematische Gemengelage, die einmal mehr verdeutlich, dass sich im Fußball auch ein Jahr nach Pandemie-Beginn kaum etwas verändert hat.

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„Eine Branche, die mit und durch die Öffentlichkeit ihr Geld verdient, benötigt gesellschaftliche Akzeptanz. Wenn – wie jetzt – der Eindruck entsteht, als würde man sich vom realen Leben abkoppeln, schwindet diese“, sagt Rettig im EXPRESS-Gespräch.

Rettig-Garten

Ex-DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig kritisiert die aktuellen Länderspiel-Ansetzungen.

Dass niemand flexibel auf die Pandemielage reagiert, sieht er kritisch. „Der Spielbetrieb kann genau wie Wirtschaftsaktivitäten nicht von aktuellen Corona-Zahlen abgekoppelt werden. Warum kann man nicht den Modus der WM-Qualifikation ändern und statt Hin- und Rückspiel nur ein Spiel absolvieren, so wie es sich in der Endrunde der Champions League bewährt hat? Statt bis zum Jahresende zehn Quali-Spiele durchzuziehen, könnte man fünf freie Termine schaffen“.

Andreas Rettig: DFL hätte Spieltag auf Ostersonntag verschieben sollen

Mehr Pausen im dicht getakteten Kalender sind für den früheren Liga-Boss dringend vonnöten. „Das würde der Gesundheit der Spieler mit Blick auf die Regeneration Rechnung tragen und das Infektionsrisiko deutlich minimieren, weil es weniger Reisetätigkeit und Spiele gibt. Da fehlt mir das Verständnis.“ Was Rettig auch kritisiert, ist die starre Terminplanung der DFL: „Es gibt Länderspiele am 31. März um 20.45 Uhr. Die Spieler kommen am 1. April nicht vor dem Nachmittag zurück zu ihren Vereinen. Dennoch sind am Samstag, 48 Stunden später, sieben Bundesliga-Spiele angesetzt. Warum war die Liga nicht so flexibel, den Spieltag komplett auf den Ostersonntag, teils vielleicht sogar Ostermontag zu verlegen?“

Lediglich die beiden Champions-League-Teilnehmer könnten am Samstag spielen, um wiederum genug Pause vor ihren nächsten Spielen zu haben. „Dadurch würde die Regeneration verbessert und die Ansteckungsgefahr verringert. Da am Sonntag keine Amateurspiele stattfinden, zieht auch dieses Argument nicht. Es wird einfach nicht aus Sicht des Sports gedacht sondern in Vermarktungsszenarien“, sagt Rettig.

Andreas Rettig: DFB-Funktionäre denken an ihre eigene Karriereplanung

Vom DFB-Präsidium oder anderen hochrangigen Funktionären ist hinsichtlich des Spiele- und Reise-Irrsinns nichts Kritisches zu hören. Für den 57-Jährigen nicht verwunderlich. „Verbandsvertreter sollten sich stärker an der inhaltlichen Diskussion beteiligen. Allerdings sind viele mehr mit ihrer eigenen Karriereplanung beschäftigt. Da will sich niemand unbeliebt machen, weil bald beispielsweise Wahlen zum FIFA-Council und UEFA-Exekutivkomitee anstehen“.

U21-EM im Hochrisiko-Gebiet Ungarn

Mit Blick auf die U21-EM wird dem früheren Macher von Freiburg, Köln, Augsburg und St. Pauli Angst und Bange: „Beim jüngst durchgeführten Fecht-Weltcup in Budapest wurde auch eine sichere Blase vorgegaukelt, doch diese war löchrig. Mindestens 30 Sportler haben sich am Ende dort infiziert. Und in dieser Region wird nun die U21-EM durchgeführt. Da bin ich gespannt, welche Folgen diese Entscheidung haben wird“.

Für Rettig sind alle diese Fälle deutliche Belege, dass es trotz aller Beteuerungen zu neuer Demut im Millionen-Business Fußball, weiterhin allen nur um Gewinnmaximierung geht.