„Wie früher auf dem Bolzplatz“FC-Coach Gisdol über veränderten Fußball und neue Stars

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FC-Coach Markus Gisdol auf dem Trainingsplatz. Er vermisst den Wettkampf.

von Jürgen Kemper (kem)Martin Zenge (mze)

Köln – Er führte den 1. FC Köln aus dem Bundesliga-Keller und wurde als erster Trainer seit Peter Stöger mit Fan-Sprechchören gefeiert: Markus Gisdol (50) ist voll und ganz beim FC angekommen! Nur die Corona-Krise konnte seine unfassbare Erfolgsserie mit acht Siegen in elf Spielen stoppen.

EXPRESS traf Gisdol zum Exklusiv-Interview über seine FC-Pläne und die Folgen der Pandemie für den Fußball. Lesen Sie hier den ersten Teil.

Markus Gisdol: „Würde die Jungs gerne mal wieder in den Arm nehmen“

Markus Gisdol, mehr als eineinhalb Monate sind seit dem letzten Spiel und einem normalen Bundesliga-Alltag vergangen. Was vermissen Sie am meisten?

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Den Wettkampf, das ist das Salz in der Suppe – im Spiel, aber auch im Training. Und ich vermisse den Kontakt, die Nähe zu meinen Spielern. Ich würde die Jungs einfach gerne mal wieder in den Arm nehmen. Diese Distanz, die herrschen muss, ist sehr unpersönlich. Daran möchte ich mich gar nicht gewöhnen.

Diese Woche gab es positive Signale aus der Politik, was das DFL-Konzept und Geisterspiele betrifft. Wie optimistisch sind Sie, dass es im Mai weitergeht?

Es lohnt sich nicht, eine Prognose abzugeben. Wir haben im Trainerteam mindestens schon zehn verschiedene Szenarien durchgeplant und sie hinterher allesamt wieder verworfen. Wir müssen uns auf den Tag X vorbereiten. In den letzten Wochen wurde über verschiedene mögliche Starttermine diskutiert, dementsprechend mussten wir auch die Belastung der Spieler immer wieder anpassen. Ich merke in dieser Zeit so sehr wie noch nie, wie unglaublich wertvoll mein Trainerteam ist. Die Jungs schuften von morgens bis abends und machen alle einen sensationellen Job.

Es gab bereits erste Corona-Tests. Vor der Fortsetzung der Liga soll zudem eine Quarantäne-Situation in Form eines Trainingslagers hergestellt werden. Was halten Sie davon?

Wir sollten alles machen, was notwendig ist, damit wieder gespielt werden kann. Wenn dafür Quarantäne notwendig sein sollte, sind wir gerne dazu bereit. Um die Bundesliga fortzusetzen, müssen wir Kompromisse eingehen. Wir sind alle gewillt, an die Schmerzgrenze zu gehen – und darüber hinaus. Ich sage: Wenn ein vertretbares Konzept vorliegt, dann lasst uns wieder anfangen. Es geht hier nicht vordergründig um die 400 Bundesliga-Profis oder die Trainer, uns geht es gut. Es hängt so viel mehr an einer Fortsetzung. Es sind Tausende Menschen im Hintergrund betroffen, für die es existenziell ist, dass es weitergeht. 

Markus Gisdol: Coaching mit Maske funktioniert nicht

Können Sie sich vorstellen, an der Seitenlinie mit Maske zu coachen? Auch das gilt als mögliche Maßnahme. 

Als Trainer kommuniziere ich permanent mit meinen Spielern auf dem Feld – das stelle ich mir mit Maske äußerst schwierig vor. Ich glaube eher nicht, dass es so kommen wird. Die Durchführung der Spiele sollte den Fußball nicht zu sehr verfremden. Das Spiel muss es wert sein, gespielt zu werden.

Für Sie als Trainer wird sich dennoch einiges ändern – die gegnerische Bank hört mit. Coachen Sie jetzt anders?

Mein Coaching werde ich trotzdem nicht großartig ändern. Es wird allerdings noch wichtiger sein, dass wir bestimmte Mechanismen schon in der Kabine besprechen. Ich mache mir gerade viele Gedanken darüber, was passiert, wenn wir wegen der Gruppengröße zum Beispiel in zwei verschiedene Kabinen müssen. Für diesen Fall muss ich mir ganz genau überlegen, wie meine Ansprache am besten bei jedem ankommt.

Derzeit wird nur diskutiert, ob und wie es weitergeht. Geht der Fokus auf die sportlichen Ziele verloren?

Wir denken permanent an unsere Ziele. Die Herausforderung ist die: Wir haben 25 Spieltage absolviert und dabei ein für uns gutes Zwischenergebnis erzielt. Das Spiel wird sich jetzt aber verändern, der Rest der Saison wird unter außergewöhnlichen Rahmenbedingungen stattfinden. Nur: Das wird in der Endabrechnung niemanden interessieren – es gibt am Schluss keine zwei Tabellen, keine Corona-Wertung. Dieser Challenge müssen wir uns stellen, um in der Gesamtabrechnung eine gute Position zu haben.

Markus Gisdol: „Fußball wird extrem ehrlich“

Wie genau wird sich das Spiel unter Geister-Bedingungen verändern?

Es wird extrem ehrlich werden. Wir kommen zurück zu den Wurzeln, zur Basis. Ich stelle es mir vor wie früher auf dem Bolzplatz: Dort wurden wir auch nicht angefeuert – sondern wir haben alles gegeben, weil wir das Spiel lieben. Man trifft sich Elf gegen Elf und die Mannschaft, die es mehr will, gewinnt. Es wird viel darauf ankommen, sich selber zu motivieren. Ohne Fans müssen die Spieler das aus sich herauskitzeln, was sie einst zum Bundesliga-Profi gemacht hat.

Es gibt Spieler, die brauchen dabei keine Hilfe, die kommen mit dieser außergewöhnlichen Situation sehr gut klar. Es gibt aber auch Profis, die sich schwerer tun. Diese Jungs werden wir daran erinnern, wofür sie Fußball spielen und warum sie dieses Spiel so lieben. Wir arbeiten gerade intensiv daran und nehmen uns viel Zeit, genau diese Themen zu besprechen.

Kann die Zwangspause ein Neustart für die Spieler sein, die bisher hinten dran waren?

Ich sage: Es wird auch neue Stars geben. Es ist nämlich gar nicht so leicht, sich von einem vollen Stadion mit einem irren Lärmpegel auf 90 Minuten Stille umzustellen. Ich bin überzeugt, dass in dieser Phase in jedem Team neue Spieler in den Fokus rücken werden, die man im Moment noch nicht so auf dem Zettel hat. Auch bei uns wird es Überraschungen geben.

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Was halten Sie vom Vorschlag, dass ein Team künftig fünfmal wechseln darf?

Eine super Idee! Das würde uns enorm helfen. Wir hatten es noch nie, dass wir uns auf eine Wettkampfperiode von neun Spielen in sechs Wochen vorbereiten mussten. Das ist ja eher ein Turniermodus. Wir starten von Null auf Hundert und bleiben die ganze Zeit über am Limit. Das sind enorme Belastungen. Wenn fünf Wechsel pro Spiel erlaubt wären, könnten wir vernünftig rotieren und jedem Spieler die nötigten Pausen geben.