FC muss erneut ins RisikoWehrle: „Ein Abstieg ist teurer als alles andere“

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Geschäftsführer Alexander Wehrle erlebt die schwierigsten Herausforderungen, seit er beim 1. FC Köln ist.

von Alexander Haubrichs (ach)Jürgen Kemper (kem)

Köln – Der FC in der Corona-Falle: Die Einnahmen sinken, trotzdem sind Investitionen in den Kader dringend nötig. FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle (45) plädiert für ein maßvolles Risiko.

Was er über die Zuschauerrückkehr und die Situation in der Liga denkt, sagt er im EXPRESS-Interview.

Corona trifft die Wirtschaft hart, aber auch den Fußball. Alexander Wehrle, müssen sich die Mitglieder Sorgen um den Verein machen?

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Es ist sicher eine der schwierigsten Herausforderungen in der Geschichte des Vereins. Wir müssen zwei Ziele verfolgen: Einerseits die Liquidität für die nächsten beiden Spielzeiten sichern. Auf der anderen Seite steht das Thema Rentabilität. Wir arbeiten an Lösungen, damit wir am 30. Juni 2021 ein positives Eigenkapital haben. Aber es gibt viele Unwägbarkeiten. Die Situation mit den Zuschauern. Der Transfermarkt. Das Worst-Case-Szenario mit 17 Geisterspielen. Das würde uns ein Drittel aller Einnahmen kosten. Stand jetzt wird es glücklicherweise nicht so weit kommen.

Am Samstag waren erstmals wieder Zuschauer im Stadion.

Ja, und über diese 300 haben wir uns richtig gefreut. Das war natürlich Galaxien entfernt von einem ausverkauften Rhein-Energie-Stadion. Armin Laschet hat am Freitag angekündigt, dass in dieser Woche weitere Schritte folgen werden. Das ist ein absolut positives Signal. Wir gehen davon aus, dass gegen Hoffenheim bis zu 10.000 Zuschauer dabei sein werden.

Wie erleichtert sind sie über den Sinneswandel in der Landesregierung?

In einigen anderen Bundesländern waren die Corona-Verordnungen ja schon entsprechend geändert worden, jetzt folgt Nordrhein-Westfalen. Die Entwicklung, in kleinen Schritten zur Normalität zurückzukehren, geht in die richtige Richtung. Darauf haben wir uns vorbereitet: Mit dem Gesundheitsamt Köln haben wir drei Hygiene-Konzepte besprochen. Eins über 9000, eins über 15.000 und eins über 23.000 Zuschauer. Alle drei wurden als tragfähig eingestuft.

Wie wird das funktionieren?

Wir werden ausschließlich an Heimfans personalisierte Tickets vergeben. Das Ticket funktioniert über unsere Handy-App. Damit bekommt man auch ein Zeitfenster zugewiesen, wann man da sein muss. So werden Menschenansammlungen beim Zutritt vermieden. Es wird einen äußeren Ring rund um das Stadion geben, ab dort sind Masken zu tragen. Auf den Plätzen dürfen sie abgenommen werden – ab Anpfiff gilt dann wieder Maskenpflicht.

Warum das?

Sobald das Spiel läuft, lebt man es ja mit – man singt, man ruft, man freut sich. Natürlich ist dann die Aerosol-Produktion wesentlich höher. Um die Menschen um sich herum zu schützen, sind die Masken wichtig. In der Pause kann man sie abnehmen.

Trotzdem bleibt der wirtschaftliche Schaden immens. Ist das Corona-Loch schon zu beziffern?

Bisher reden wir von 11 Millionen Euro bis zum Sommer, ging es unverändert so weiter könnten wir auf Mindereinnahmen von bis zu 35 Millionen Euro kommen.

Damit wäre das mühsam angesammelte Eigenkapital nahezu aufgebraucht.

Das wäre schon bitter. Dieses Polster konnten wir in den letzten Jahren mit klugen Transfers und vorausschauendem Wirtschaften bilden. Und dann kommt Corona – und im schlimmsten Fall wäre alles weg.

Als DFL-Präsidiumsmitglied sind Sie auch für die ganze DFL verantwortlich. Werden Klubs in die Knie gehen?

Das wird davon abhängen, inwieweit wir sukzessive und dauerhaft wieder Zuschauer in den Stadien haben werden. Ansonsten würde es für einige Vereine sicher schwierig werden. Positiv ist, dass alle Anzeichen aktuell in die richtige Richtung gehen. Es wäre einfach schön, wenn wir möglichst schnell eine einheitliche Lösung für alle Bundesliga-Standorte haben, immer in Einklang mit der pandemischen Entwicklung. Niemand fordert volle Häuser, aber wir müssen eine Perspektive haben, zwanzig, dreißig, fünfzig Prozent der Stadien zu füllen.

Wie erleben Sie die angespannte Lage persönlich? Wie geht man mit so Extremsituationen um?

Ich bin jemand, der Herausforderungen annimmt, ich habe noch nie schlecht geschlafen wegen der Arbeit. Dass ich mich mal mit pandemischen Leveln, R-Werten oder Aerosolen beschäftigen würde, hätte ich auch nicht erwartet. Aber es macht viel Spaß, ich lerne jeden Tag dazu und nehme das an.

An vielen Orten bricht das Virus gerade wieder aus. Das kann jederzeit auch hier passieren. Die Lage wird wohl dynamisch bleiben…

Ja, wir müssen hellwach sein, es kann nur in kleinen Schritten gehen. Wir müssen weiter Erfahrungswerte sammeln, gegenseitiges Vertrauen spüren und liefern. Aber wir haben das in Deutschland bislang gut hinbekommen, auch der Re-Start der Bundesliga war beispielhaft. Deshalb bin ich guter Dinge, dass wir das auch in der neuen Saison meistern werden.

Die Mannschaft muss verstärkt werden. Wie kann sich der FC das leisten?

Zum einen gehen mit den Spielern, die wir abgegeben haben, Einsparungen einher. Für den Rest gibt es zwei Möglichkeiten: Transfereinnahmen, etwa durch den Verkauf von Jhon Cordoba, und die Aufnahme von Fremdkapital.

Also braucht man Kredite, um konkurrenzfähig zu sein?

Wir haben schon in der letzten Saison ganz bewusst in die Mannschaft investiert, um die Chance zu erhöhen, in der Liga zu bleiben. Ohne Sebastiaan Bornauw und Ellyes Skhiri, die wir im Wissen um unser hohes Eigenkapital verpflichtet haben, wäre es sicher sehr schwer geworden. Jetzt kam die unvorhersehbare Situation mit Corona. Wir wissen aber, dass ein Abstieg teurer ist als alles andere und uns über Jahre schwächt. Deshalb müssen wir ein überschaubares Risiko eingehen, um in der Bundesliga zu bleiben.

Gibt es Konflikte zwischen sportlicher Leitung und Ihnen? Schließlich können Sie sicher nicht alle Wünsche erfüllen.

Nein. Horst Heldt hat großes Verständnis für die Situation des Klubs und die Zwänge. Es geht immer um den sportlichen Erfolg, ohne die Existenz des Vereins zu gefährden. Wenn wir ein vernünftiges Risiko eingehen, dann bin ich immer dabei.

Viele Experten haben den FC als Abstiegskandidaten auf dem Zettel, in manchen Portalen reiht man Sie sogar ganz hinten ein. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Das hängt sicher auch mit dem misslungen Saisonfinale zusammen, der Eindruck wirkt noch nach. Trotzdem hat der Kader eine gute Substanz. Und wir werden die Qualität durch Neuzugänge erhöhen, damit wir unser Ziel erreichen und in der Liga bleiben.