„So hatte ich Köln nicht in Erinnerung“Stadt macht FC-Sportchef Heldt fassungslos

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FC-Sportchef Horst Heldt im Rhein-Energie-Stadion

von Jürgen Kemper (kem)Martin Zenge (mze)

Köln – Erst der Traumstart mit einem Erfolg nach dem nächsten, dann der Klassenerhalt mitten in der Corona-Krise, ein komplizierter Transfer-Sommer und die anhaltende Sieglos-Serie. Hinter Horst Heldt (51) und dem 1. FC Köln liegt ein bewegtes Jahr.

Im exklusiven EXPRESS-Interview blickt der FC-Sportboss auf 2020 zurück, spricht über seine Highlights, Trainer Markus Gisdol, Investoren – und macht seinem Ärger über den stockenden Geißbockheim-Ausbau Luft!

Horst Heldt: 1. FC Köln hat sich 2020 wacker geschlagen

Horst Heldt, konnten Sie das Weihnachtsfest und die kurze Pause trotz der besonderen Umstände genießen?

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Ja, definitiv. Normalerweise ist Weihnachten ja auch mit vielen Verabredungen verbunden, mit positivem Stress. Dieses Jahr war alles ein bisschen ruhiger, da wir natürlich auch unsere Kontakte reduziert haben. So hatte ich Zeit, mit meiner Familie abzuschalten. Um sich wirklich zu erholen, waren es allerdings zu wenige Tage. Nach so einem Jahr könnte man ein bisschen Pause gebrauchen, das Gegenteil ist der Fall: Das erste Halbjahr 2021 wird noch intensiver als die bisherige Saison.

War 2020 ein gutes Jahr für den FC?

Das ist schwierig zu beantworten. Man ist natürlich auf die aktuelle Saison fokussiert. Wenn wir mal auf das gesamte Kalenderjahr blicken, haben wir mit dem Klassenerhalt ein großes Ziel erreicht. Ja, das war schleppend und wir hätten es schon früher festzurren können – aber gerade am Anfang hätte keiner einen Pfifferling auf den Klub, die Mannschaft oder uns Verantwortliche gesetzt. Dass auch die laufende Saison eine schwierige wird, war klar.

Ihr Fazit?

Aus meiner Sicht hat der Verein 2020 viel bewegt, viel erlebt und sich in dieser noch nie da gewesenen Situation wacker geschlagen. Unter den außergewöhnlichen Umständen ist vieles in die richtige Richtung gelaufen, auch wenn wir uns einige Dinge anders vorgestellt hatten.

Gab es ein Highlight, an das Sie sich besonders gerne zurückerinnern?

Da fallen mir zwei ein. Das 5:0 in Berlin an Karneval in unserer erfolgreichen Phase war sicher ein Highlight, so etwas erlebt man nicht jeden Tag. In der zweiten Hälfte des Jahres war der Sieg in Dortmund ein absoluter Höhepunkt. Dieses Spiel hatte bis in die letzte Sekunde hinein alles, was ich von unserer Mannschaft sehen möchte.

Und Ihre größte Enttäuschung? Die 18-Spiele-Sieglos-Serie?

Das Negativ-Highlight gab es nicht für mich. Diese Serie hat uns lange begleitet und jede einzelne Niederlage hat uns geärgert, vor allem wenn sie vermeidbar war wie in Bielefeld. Das mussten wir abschütteln und hinter uns lassen.

Ein bitterer Moment war auch der endgültige Verlust von Florian Wirtz im Januar.

Der Klub muss aus diesem Abgang lernen. Es ist hart – aber wir können das nicht mehr rückgängig machen, Florian Wirtz ist nicht mehr Spieler des 1. FC Köln. Es gehört dazu, mit solchen Situationen umzugehen. Wir alle gehen davon aus, dass Florian eine tolle Karriere machen wird und wünschen ihm nur das Beste. Damit ist das Thema für mich abgehakt.

Während der Sieglos-Serie standen Sie immer hinter Trainer Markus Gisdol. Hatten Sie nie Zweifel an Ihrem Weg?

Zweifel würde ich das nicht nennen. Es gehört zu einem funktionierenden System, sich und alles permanent zu hinterfragen – aber ich war immer vom Trainerteam überzeugt und bin das auch weiterhin.

Wie haben Sie den Trainer während der Krisen-Monate erlebt?

Markus hat immer einen roten Faden, den er verfolgt. So etwas ist ganz entscheidend, weil es der Mannschaft und dem ganzen Klub eine Orientierung gibt. Es ist wichtig, diese Linie beizubehalten, auch wenn es mal nicht läuft. Das hat Markus geschafft, was mich nicht überrascht, aber dennoch beeindruckt hat. Er hatte gleichzeitig genügend Flexibilität in seinen Gedankenspielen und das richtige Gespür für die Stimmung in der Mannschaft.

War 2020 für Sie durch Corona das schwierigste Jahr Ihrer Manager-Karriere?

Das habe ich mich auch schon gefragt. In meiner Zeit als Manager war es nie wirklich langweilig (lacht). Dieses Jahr aber war – auch im Fußball – einfach mit nichts zu vergleichen. Die Kombination der Ereignisse war intensiver und anstrengender als alles zuvor, weil wir uns mit völlig neuen Dingen beschäftigen mussten. Es brechen einem die Fans weg, dann kommt eine Transferphase, für die es in keiner Schublade einen Plan gab.

Was hat Sie in Ihrer Arbeit am meisten beeinträchtigt?

Die Ungewissheit. Wenn wir uns mal die Transferperiode im Sommer anschauen: Keiner wusste, was auf dem Markt passieren würde, und wann die Dinge ins Rollen kommen. Wir haben in diesem Sommer so viele Angebote wie noch nie in meiner Zeit als Manager verschickt, uns mit vielen Spielern auseinandergesetzt – und sicherlich auch den einen oder anderen enttäuscht.

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Denkt man in so einer Phase über Investoren nach und schaut neidisch auf einen Klub wie Hertha BSC, der mit den Millionen nur so um sich werfen kann?

Ganz klar: nein! Das steht mir gar nicht zu und wäre vollkommen deplatziert. Meine Aufgabe ist, mit den Möglichkeiten zu agieren, die ich zur Verfügung habe. Alles andere entscheiden die Mitglieder. Neidisch auf einen anderen Klub zu schauen, liegt mir fern. Ich rede viel lieber über die guten Dinge beim FC: Wie zum Beispiel unsere Nachwuchsarbeit.

Was sich 2020 ebenfalls gezeigt hat: Der Geißbockheim-Ausbau bleibt ein kompliziertes Unterfangen…

Aus unserer Sicht ist er nicht kompliziert. Wir haben einen Ratsbeschluss. Das ist eine demokratische Entscheidung, die im Normalfall Verlässlichkeit bedeutet. Als ich den FC 1995 als Spieler verlassen habe, war meine Wahrnehmung, dass dieser Klub in dieser Stadt etwas ganz Besonderes ist. Hier gibt es den Millowitsch, den Dom, den Karneval – und neben vielen weiteren tollen Sachen eben den 1. FC Köln. Für mich war immer klar: Die Stadt steht wie eine Eins hinter diesem Klub. Bei der Thematik Ausbau Geißbockheim habe ich das nicht so erlebt. Gefühlt müssen wir uns dafür schämen, in die Ausbildung unserer Nachwuchsspieler investieren zu wollen, an einem Standort, der seit so vielen Jahren unsere Heimat ist. Wir kämpfen gegen Windmühlen, die es an anderen Standorten nicht gibt. Und dann bekommt man mit, dass Bayer Leverkusen in einem Landschaftsschutzgebiet in Köln Kunstrasenplätze bauen darf. Das alles ist schwer nachzuvollziehen. So hatte ich Köln nicht in Erinnerung. Wir haben manchmal das Gefühl, nicht gewollt zu sein, was für mich nicht begreiflich ist.