FC-Coach mit klarer ForderungGisdol: „Das dürfen die Fans kein einziges Mal denken“

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Voller Einsatz für den FC: Trainer Markus Gisdol

Köln – Er soll Köln vor dem siebten Absturz in die 2. Liga bewahren: Der neue FC-Trainer Markus Gisdol (50) strotzt nur so vor Entschlossenheit und Energie. Im großen EXPRESS-Interview erklärt der Schwabe, wie er den Erfolg zurück nach Köln bringen will und warum er lange auf einen Job wie beim FC gewartet hat.

Herr Gisdol, Sie sind seit zweieinhalb Wochen FC-Trainer. Es gibt viel zu tun. Haben Sie überhaupt schon etwas von der Stadt gesehen?

Noch nicht viel. Morgens fahre ich zum Geißbockheim und abends, wenn es dunkel ist, zurück ins Hotel. Das ist auch in Ordnung. Ich bin ja zum Arbeiten hier (lacht). Wenn die Hinrunde vorbei ist, werde ich in eine Wohnung umziehen. Bislang habe ich meinen Fokus auf dem FC.

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Wie gehen Sie Ihren Job an?

Das Wichtigste ist die Trainingsarbeit. Die Frage lautet: Was braucht unsere Mannschaft aktuell? Für die Art und Weise, wie wir Fußball spielen wollen, müssen wir körperlich etwas draufpacken – und zwar so gesteuert, dass wir fürs Wochenende keine Körner verlieren. Das zweite ist: Wir schauen, was für Spieler wir zur Verfügung haben. Man beobachtet jede einzelne Trainingssequenz und schaut viele Videos. Das ist für mich ganz wichtig, um zu wissen, welche Spieler am besten zusammenpassen.

Fängt man als neuer Trainer bei null an?

Nein, bei null fängt man nie an. Es ist aber so, dass ich gewisse Vorstellungen habe, wie wir uns aus dieser Situation befreien können. Da spielt die athletische Komponente eine Rolle, und natürlich die fußballerische. Die Mannschaft hat ohne Frage die Qualität, fußballerisch gute Lösungen zu erarbeiten. Diese beiden Komponenten zu vereinen – mit dem Wissen, dass das Selbstvertrauen aktuell nicht besonders groß ist – ist die Herausforderung. Denn Selbstvertrauen ist entscheidend im Leistungssport.

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Markus Gisdol: „Man muss die Ruhe bewahren“

Beim HSV mussten Sie 2016 mehr als zwei Monate auf Ihren ersten Sieg warten. Wie haben Sie es geschafft, den Glauben aufrechtzuerhalten?

Man muss die Ruhe bewahren. Das ist mir damals nicht schwergefallen und das tut es auch jetzt nicht. Weil ich sehe, wie die Mannschaft arbeitet. Eines war von vornherein klar: Hier kommt kein Copperfield, der die Hand auflegt und morgen ist alles wieder gut. Das hier ist harte Arbeit.

In Köln ist die Angst vor einer Saison wie vor zwei Jahren riesig. Woher nehmen Sie die Kraft für so eine Aufgabe?

Grundsätzlich bin ich ein positiver Mensch, denke immer in Lösungen. Es hilft mir, dass ich solche Situationen schon kenne. Die Mannschaft braucht jetzt einen Trainer, der stabil ist, auf den sie sich verlassen kann. Was wäre wenn? Nein! Wir müssen nach vorne schauen. Wenn man sucht, findet man immer 1000 Gründe, warum man etwas nicht schaffen wird. Aber man findet mindestens genauso viele, warum man es schaffen könnte. Und die interessieren mich viel mehr.

Passt diese Retter-Rolle zu Ihnen?

Zu Beginn meiner Karriere bin ich mit unterklassigen Vereinen oft aufgestiegen. In die Retter-Rolle bin ich erst in der Bundesliga reingerutscht. In den Vereinen war die Situation häufig aufgeregt. Wahrscheinlich ist es charakteristisch für mich, dass ich solche Rollen gut ausfüllen und die Lage beruhigen kann. Ich selbst sehe mich nicht als Retter oder Feuerwehrmann. Für mich geht es vielmehr darum, kurzfristig Stabilität in eine Mannschaft zu bekommen, um sie dann zu entwickeln. Das ist mein Ziel.

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Markus Gisdol über die Krise des 1. FC Köln: „Die Mannschaft leidet“

Ist der Mannschaft der Ernst der Lage bewusst?

Absolut. Den Jungs liegt unglaublich viel am FC. Sie geben alles dafür, damit wir uns aus dieser Situation befreien. Glauben Sie mir: Die Mannschaft leidet. Entscheidend ist, dass wir immer alles rausfeuern. Gegen Augsburg hat jeder Zuschauer gemerkt, dass die Mannschaft voll da war. Dieses Gefühl will ich auf Dauer erzeugen. In unserer Situation dürfen die Fans nicht ein einziges Mal denken: Haben die sich jetzt geschont? Alles rausfeuern! Und wenn einer nach 70 Minuten nicht mehr laufen kann, dann wechseln wir.

Laut Horst Heldt war die Mannschaft nicht auf den Abstiegskampf vorbereitet. Wie interpretieren Sie diese Aussage?

Damit meinte Horst, dass die Erwartungshaltung in der Mannschaft wie auch im Umfeld alles hergab – aber nicht Abstiegskampf. Mannschaften wie Union und Paderborn, aber auch Augsburg oder sogar Freiburg sind die Saison anders angegangen. In Köln gab es von Anfang an eine Erwartungshaltung, der man nicht gerecht werden konnte. Darunter haben wir einen Schlussstrich gezogen. Der Punktestand und die Tabelle sind Fakt. Bei dieser Ausgangsposition wissen wir, dass nur eines zählt: Sich aus dieser Situation zu befreien.

Hand aufs Herz: Wie prekär ist diese Ausgangslage?

Aktuell schaue ich eigentlich nicht auf die Tabelle. Aber lassen Sie uns doch mal einen Blick darauf werfen: Wir sind gar nicht so weit weg. Es gibt keine Lücke mit 15 Punkten, die wir aufholen müssen. Hier einen Punkt klauen, da einen Dreier machen – dann sind wir voll da. Jeder einzelne Punkt wird Gold wert sein.

Muss der FC bis zum Ende zittern oder gelingt die Erlösung schon früher?

Gehen wir – Stand heute – mal davon aus, dass es bis zum letzten Spieltag geht. Wenn man einen schlechten Start aufholen muss, zieht sich das meistens sehr lange. Das habe ich mit Hoffenheim und Hamburg selbst so erlebt.

Wie fühlt sich so eine Rettung an?

Herausragend. Das vergisst man nicht. Man fühlt sich, als würde man mit einer Rakete abheben. Bei einer Rettung geht es um viel mehr als bei einer Meisterschaft.

Sie und Horst Heldt haben beim FC zeitgleich begonnen – direkt von null auf hundert. Wie läuft die Zusammenarbeit?

Wir kannten uns ja schon aus unserer Zeit auf Schalke und sind uns auch im Anschluss immer wieder über den Weg gelaufen – erst vor ein paar Wochen auf einem Geburtstag. Da war noch nicht abzusehen, dass wir nun gemeinsam hier arbeiten würden. Horst weiß, wie ich ticke, und andersrum genauso. Es läuft bisher sehr gut. Wir gehen so gut wie jeden Abend gemeinsam essen, um diese intensiven Tage noch mal gemeinsam Revue passieren zu lassen. Wir sind beide derzeit alleine hier, wohnen im Hotel, und nutzen die Zeit von morgens bis abends für den FC.

Markus Gisdol: „Als Trainer musst du einen Ausgleich haben“

Kommt Ihre Familie mit nach Köln?

Das ist bisher nicht geplant, da meine Tochter Abitur macht. Aber der Weg ist nicht weit. Die Zugverbindung von Köln nach Stuttgart ist wohl die beste in Deutschland, das passt perfekt.

Wie schaffen Sie es, mal vom Fußball abzuschalten?

Das ist eine wichtige Frage. Immer auf hundert Prozent zu sein – das kann man eine gewisse Zeit liefern. Aber man muss als Trainer einen Ausgleich haben. Ich bin jemand, der sehr gerne rausfährt und in die Natur geht. Dort finde ich Ruhe. Am besten im Kreise der Familie. Derzeit bin ich aber voller Energie. Ich hatte vor meinem Start genug Zeit, um aufzutanken.

Sie waren fast zwei Jahre ohne Job. Warum?

Zum einen wollte ich eine Pause machen. Zum anderen habe ich mir fest vorgenommen, nicht irgendwo reinzuspringen, wenn mich der Job nicht total elektrisiert – und zwar vom ersten Moment an. Es lagen schon ein paar andere Angebote auf dem Tisch, die lukrativ waren, aber einfach nicht gepasst haben. Ich bin froh, dass ich es geschafft habe, bis zu dem Moment stabil zu bleiben, als die Sache mit Köln in Rollen kam. Der FC hat mich sofort total interessiert.

Was fasziniert Sie so am FC?

Was man natürlich wahrnimmt, ist dieses unglaublich große Herz, was für den Klub in dieser Stadt schlägt. Fußball ist ja mehr als das, was auf dem Platz passiert. Wenn man von Kindesbeinen an Fan ist, ist Köln einer der absoluten Top-Klubs in Deutschland. Der FC hat eine Anziehungskraft. Und: Mir war die Mannschaft immer sympathisch, auch dieses Jahr. Wann immer ich die Jungs gesehen habe, habe ich mir gedacht: Das ist sind gute Spieler, es würde mich reizen, mit ihnen zu arbeiten.

Markus Gisdol: „Kann kein Spiel mehr wie ein normaler Fan anschauen“

Diese Gedanken hatten Sie bereits, bevor es Kontakt gab?

Ja, als Trainer hat man immer solche Gedanken. Man schaut sich Mannschaften an und fragt sich, wie man mit ihnen umgehen würde. Als Trainer hat man immer seine Fachbrille auf: Ich kann kein Spiel mehr wie ein normaler Fan anschauen. Immer wieder erwische ich mich beim Analysieren. Einzige Ausnahme: Mit meiner Tochter war ich beim letzten Super Bowl – das war mal ein Event, das ich komplett genießen konnte. Phänomenal.

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Am Sonntag geht es zum nächsten Keller-Duell nach Berlin. Die Favoritenrolle liegt nach den Siegen gegen Dortmund und Gladbach wohl bei Union…

Union hat genauso Druck wie wir. Wir tun gut daran, uns dieses Spiel nicht zu einem unfassbar wichtigen Ereignis aufzubauen. Es tut keinem Sportler gut, zu viel Druck und Konzentration auf ein einziges Spiel zu legen. Wir werden uns aber intensiv auf den Gegner vorbereiten. Ich werde der Mannschaft genau sagen, was ich auf dem Platz sehen möchte und was uns erwartet. Denn das wird ein anderes Spiel als der ganze Rest dieser Saison. An der Alten Försterei ist der Ball gefühlt immer in der Luft und mit jeder einzelnen Aktion wird gefightet. Das muss man annehmen, sonst hat man keine Chance.