Krise in den USA„Wenn es so weiter läuft, sagen wir am 3. November Goodbye zu Trump“

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Finstere Miene: Für US-Präsident Donald Trump (hier zu sehen, wie er am 24. Juli die Air Force One verlässt) sieht es in Umfragen derzeit nicht gut aus.

Washington – Wird Donald Trump in 99 Tagen wiedergewählt? Seine Aussichten verschlechtern sich gerade massiv. Florida, der wichtigste „Swing State“, drehte sich soeben von Rot zu Blau: Statt der Republikaner liegen jetzt die Demokraten vorn. Wenn es dabei bleibt, hat Trump aufgrund der Mechanismen des amerikanischen Wahlrechts schon allein deshalb verspielt.

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Der Asthmaspezialist Dr. Ronald Saff aus Tallahassee in Florida ist ein erfahrener Arzt. Er hat gute Bewertungen im Internet, seine Patienten loben die Atmosphäre in seiner Praxis als „locker“ und „familiär“.

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Als Saff allerdings an diesem Wochenende an einer politischen Talkrunde zur Corona-Krise im US-Staat Florida teilnahm, verlor er die Fassung.

Die politische Führung im Lande ist aus Sicht des Mediziners mehr als nur unfähig. Sie ist bösartig. Man solle sich nur einmal Floridas republikanischen Gouverneur Ron DeSantis ansehen, einen Parteifreund von Präsident Donald Trump. Der Gouverneur, ätzte Saff, „hat immer gut gekämmte Haare und trägt einen Schlips“, aber ihn persönlich grusele es inzwischen vor diesem Mann: „Er kommt mir vor wie der Vertreter eines rechtsgerichteten Todeskults.“

Corona in den USA: Tag für Tag mehr als 100 Tote – allein in Florida

Todeskult? Die Emotionen gingen hoch an diesem Wochenende, auf gleich mehreren für Zuschauer in der Region, aber auch weltweit offenen Online-Events von Floridas US-Demokraten zur Corona-Krise.

Es hat damit zu tun, dass die Viruskrise in Florida gerade eskaliert wie in einem Horrorfilm. Tag für Tag fallen mittlerweile allein in diesem Bundesstaat mehr als 100 Tote an. Am Wochenende zählte Florida 414.511 Infektionsfälle – und überrundete erstmals New York.

Die Gastgeberin des Runden Tisches zur Corona-Krise, die Demokratin Nikki Fried, beschwichtigte: Man müsse erstmal alle Teilnehmer zu Wort kommen lassen, man wolle niemandem die Schuld geben, in dieser Krise komme es jetzt vor allem aufs Zuhören an.

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Doch schon bei diesem Zuhören mischen sich menschliche und taktische Motive. Floridas Demokraten jedenfalls haben ihr Thema gefunden.

Linda Exantus, Technikerin in einer Abteilung für Rettungsmedizin, schimpfte: „Sie nennen uns Helden, und dann müssen drei Schwestern am Ende 30 Notfallpatienten gleichzeitig versorgen.“ Das sei doch nichts anderes als ein „Schlag ins Gesicht“. Das Schlimmste sei, ärgerte sich die Immunologin Mona Mangat aus St. Petersburg bei Tampa, „dass unser Gouverneur und auch der Präsident dann auch noch so tun, als sei alles in Ordnung“.

Florida, der „Sunshine State“, driftet voll Düsternis und Bitterkeit in die Präsidentschaftswahl.

USA: Business as usual ab Mai

Eigentlich sollte in der vielerorts paradiesischen Gegend zwischen Miami und dem Golf von Mexiko die Corona-Krise schon im Mai für beendet erklärt werden. Doch die Lockerungen kamen zu früh, sie gingen zu weit, und das Virus kehrte zurück, mit ungnädiger Wucht.

„Wir sind doch nicht in China“, höhnten freiheitsliebende Floridianer, als hier und da die ersten Bürgermeister versuchten, wenigstens auf kommunaler Ebene mit Maskenpflicht und Distanzregeln gegenzusteuern. Inzwischen sind alle etwas leiser geworden – auch weil immer mehr Nachbarn betroffen sind.

Inzwischen blicken die Floridianer auf eine doppelte Krise, eine medizinische und eine ökonomische. Und die Verantwortlichen dafür sehen sie jeden Abend im Fernsehen.

Als Präsident Donald Trump in Washington mit großer Geste die „Wiedereröffnung der Nation“ verkündete, war sein Parteifreund aus Florida, der republikanische Gouverneur DeSantis, einer der ersten, die Trumps Wunsch erfüllten. Schon im Mai bekamen Bars, Restaurants und Stripclubs in Florida wieder grünes Licht für business as usual.

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Das ging nach hinten los. Zuletzt schoss, nach fröhlichem Feiern am 4. Juli, die Zahl der Krankenhauseinweisungen in Florida um 79 Prozent in die Höhe.

Krise in den USA: Kleine Erfolge für die Demokraten

Die Leute ziehen jetzt aus all dem ihre Konsequenzen. Und die Demokraten leiten die Unzufriedenheit dezent, aber effizient, auf ihre Mühlen. Bei den Kampagnen der Opposition erzwingt Corona jetzt eine nie dagewesene Anpassung an neue Zeiten. Es ist deshalb ein leiser Kampf, der da jetzt ausgefochten wird: in Zoom-Konferenzen etwa, mit Mailaktionen und Wellen von Telefongesprächen.

Für Außenstehende sind die Effekte schwer erkennbar. Doch es gibt neuartige Erfolgsmeldungen, gestützt auf digitale Tatsächlichkeiten. So meldeten Floridas Demokraten am Sonnabend, ihnen sei es gelungen, 1,86 Millionen ihnen zuneigende Floridianer dazu zu bewegen, sich schon mal zur Briefwahl registrieren zu lassen – das sind 500.000 mehr als bei den Republikanern. „Wenn es so weiter läuft“, freut sich Terrie Rizzo, Parteichefin der Demokraten in Florida, „sagen wir am 3. November Goodbye zu Donald Trump.“

Tatsächlich hat Florida eine verblüffend große Bedeutung für die gesamte Präsidentschaftswahl.

  • Unter den oft die Parteifarbe wechselnden „Swing States“ ist Florida der mit Abstand größte. Hier geht es um die Stimmen von 29 Wahlmännern.
  • Hätte Trump vor vier Jahren nicht Florida knapp gewonnen, wäre Hillary Clinton Präsidentin geworden. Trump schlug damals Clinton in Florida nur mit 49,0 zu 47,8 Prozent der Stimmen.
  • Umgekehrt gilt auch: Wenn Trump Florida diesmal verliert, hat er auch die gesamte Präsidentschaftswahl verloren.
  • Der Sender Fox News meldete zuletzt für Michigan (16 Wahlmänner), Pennsylvania (20) und Minnesota (10) einen wachsenden Abstand Bidens vor Trump. Nirgendwo ist ein US-Bundesstaat in Sicht, von dem ein sogenannter Flip zurück von Blau (Demokraten) zu Rot (Republikaner) zu erwarten wäre.

Die USA sind kein rechtsfreier Raum

Trump muss also Florida unbedingt halten. Aber wie soll das gehen? Vielen Amerikanern, die darüber diskutieren, fallen nur noch wahnsinnige, verrückte Dinge ein. Etwa dass der Präsident einen Krieg mit China anfängt, im Südchinesischen Meer. Oder dass er Rassenunruhen quer durch die USA anstacheln werde und sich dann als starker Führer präsentiere – das „F“-Wort macht die Runde, gemeint ist Faschismus.

Doch ganz so weit ist es noch nicht. Die USA sind auch unter Trump kein rechtsfreier Raum geworden. Um die Ansprüche eines Pressefotografen zum Beispiel, dem vermummte Beamte nachts in Portland in den Rücken schossen, kümmert sich jetzt die auf Schadenersatz spezialisierte kalifornische Rechtsanwaltskanzlei Braun Hagey & Boren LLP, keine Laienschar. In der Haut der Verantwortlichen will niemand stecken.

Der Übergang zum Faschismus ist wohl nicht so einfach hinzuzubekommen in einem Land, in dem der Einzelne vor Gericht Millionensummen für zu heißen Kaffee erstreiten kann, der sich ihm beim McDrive über den Schoß ergießt.

Die neue Angst der Alten in den USA

Trump steht nicht nur nicht über dem Gesetz. Er kann sich auch nicht dauerhaft gegen die mächtigen Modernisierungsströmungen in seinem Land stemmen. „Immer neue Krater“ seien rund um Trump in letzter Zeit entstanden, heißt es unter amerikanischen Demoskopen. In den Vorstädten der USA, wo oft junge Familien mit mittlerem Einkommen aus unterschiedlichen Ethnien nebeneinander wohnen, bildet sich zunehmend ein Anti-Trump-Milieu heraus – sogar in bislang eher konservativen Staaten wie Texas.

In Florida kommen jetzt zu Trumps generellen Problemen noch sehr spezielle hinzu.

Jahrelang hat er den Staat nicht aus den Augen gelassen. Es war kein Zufall, dass hier, in Jacksonville, der Parteitag der Republikaner stattfinden sollte – inzwischen ist er abgesagt. Die häufigen Besuche Trumps in seinem Golfclub in West Palm Beach waren immer auch eine nützliche Bearbeitung der politischen Landschaft in diesem Schlüsselstaat: Seht her, zeigte er mit jedem Golfschlag zumindest den wohlhabenden weißen Floridianern, ich bin einer von euch: schon ein bisschen älter, aber immerhin reich – und ganz entspannt.

Genau diese Verbindung zerbröselt jetzt gerade. Die politischen, sogar welthistorischen Konsequenzen dieses zunächst rein regional erscheinenden Phänomens stehen einigen Analysten in Washington bereits glasklar vor Augen.

Im Watergate-Komplex, einer nahe am Potomac gelegenen Bürolandschaft in der US-Hauptstadt, hat eine kleine, aber feine Sonderpublikation ihren Sitz, der „Cook Political Report“. Es gibt nur fünf Mitarbeiter rund um den 66-jährigen Gründer Charlie Cook, alle haben aber in Washington einen Ruf wie Donnerhall, bei Demokraten wie Republikanern.

Deshalb löste es einiges an Vibrationen aus, dass der „Cook Political Report“ an diesem Wochenende mit Blick auf Florida offiziell einen Flip ausrief, das politische Umdrehen des Bundesstaats. Florida, 2016 noch ein Trump-Staat, wird in der neuen Cook-Prognose als Staat eingeordnet, der „zu den Demokraten tendiert“. Das Blau blieb zwar noch blass, die Wirkung auf die Washingtoner Szene war aber erheblich. Auf einen Sieg Trumps setzt unter den Profis keiner mehr.

Cook-Analystin Amy Walter schrieb, manchmal sei Politik sehr kompliziert, manchmal aber auch nicht. In Florida gelte Letzteres: „Wenn eine Krise eskaliert, wollen die Leute, dass ihre gewählten Vertreter die Sache in den Griff bekommen; wenn sie das nicht hinkriegen, wenden die Wähler sich ab.“

Biden liege in Florida in Führung und sei kaum mehr einzuholen. Hinzu komme aber, dass Gouverneur DeSantis die Leute abschrecke, bei den Republikanern ihr Kreuz zu machen; seine Zustimmungswerte seien geradezu kollabiert.

Analystin Walter stieß in Florida aber noch auf eine tieferliegende, für Trump gefährliche Strömung. Es ist die wachsende Angst der Älteren vor dem Virus. Lange habe Trump die Ernsthaftigkeit der Krise geleugnet. Die Wähler in Florida aber sähen, wohl auch weil sie im Durchschnitt etwas älter sind als Wähler in anderen Regionen, zu 83 Prozent das Coronavirus als „ernsthaftes Problem“. Mehr noch: 66 Prozent plagt die Sorge, auch sie ganz persönlich könnten angesteckt werden.

Trump, der die Jungen nie erreichen konnte, verliert neuerdings auch die Gefolgschaft der Alten. Dieser Trend könnte in der Tat die von Trumps Gegnern seit Langem ersehnte Wende markieren, den Anfang vom Ende des 45. Präsidenten der USA. (RND)