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Neuer US-PräsidentStatt sich an Trump zu rächen – Biden reagiert völlig anders

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Der gewählte US-Präsident Joe Biden und Vize Kamala Harris feiern am 8. November 2020 den Wahl-Sieg in Wilmington.

Washington – Plötzlich steht der gutherzige Joe Biden auf der Weltbühne und skizziert die Vision eines Amerikas, das alle mitnimmt: Minderheiten im Inneren, Partner in der Welt. Die Amerikaner haben nach vier Jahren Nationalismus pur umgeschaltet aufs Kontrastprogramm. Die Europäer sollten die damit verbundenen Chancen so schnell wie möglich nutzen. Ein RND-Kommentar von Chefautor Matthias Koch.

„Es fühlt sich an, als hätten wir gerade einen Exorzismus überstanden“, sagt der weltberühmte amerikanische Philosoph Francis Fukuyama. In Washington, Atlanta, Philadelphia und unzähligen weiteren Städten tanzten Menschen auf der Straße, hupende Autokorsos schoben sich in die Nacht. „It’s Joe time”, titelte das Boulevardblatt „New York Post“.

Auch in Europa fühlten sich viele befreit, als sei soeben der Teufel abgeschüttelt worden. Sogar Trumps Lieblingssender Fox erwähnte die weltweiten Vibrationen: In Paris hob Glockengeläut an wie nach einem Kriegsende, in Berlin und Edinburgh stiegen Feuerwerksraketen auf, vielerorts prosteten Leute einander auf Balkonen zu.

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US-Wahl: Biden-Party auf der Bühne in Wilmington

Es war schon nach zwei Uhr in der Nacht zum Sonntag, als die strahlend blaue Biden/Harris-Bühne in Wilmington, Delaware, zu einem globalen Leuchtfeuer wurde. Der erste gemeinsame Auftritt von Joe Biden und Kamala Harris nach dem Wahlsieg bot nicht nur politisch Orientierung. Er fasste die Zuschauer auch emotional an: Hier zeigten sich zwei engagierte, zielstrebige Leute, die allen Ernstes möglichst jeden mitnehmen wollen auf ihrem schwierigen Weg, sogar politisch Andersdenkende.

„Das greise Haus” hat einen klugen Plan

Stärker denn je wollen die US-Demokraten Schwarze, Latinos und Menschen asiatischer Abstammung in ihre künftige Regierung integrieren. Politisch allerdings ist dies schon eingepreist, ebenso wie der Durchbruch zu einer ersten Vizepräsidentin in der Geschichte der USA.

Aufhorchen ließ indessen in der Nacht zum Sonntag der überdeutliche Aufruf Bidens, die parteipolitischen Gräben im Land zu überbrücken. Dieser Ansatz könnte, deshalb hört auch die Wirtschaft an dieser Stelle aufmerksam zu, den Weg zu einem Konjunktur-, Klima- und Energiepaket weisen, dem auch beide Häuser des Kongresses zustimmen.

Ist so etwas aber überhaupt noch möglich in der völlig verkanteten und verfeindeten politischen Szenerie der USA? Biden sagt: ja – und nennt auch gleich eine Begründung: „Wir sind alle Amerikaner.”

Joe Biden: „Wir müssen einander wieder sehen”

Und dann spricht der designierte amerikanische Präsident Sätze aus, die schlicht sind und extrem intelligent zugleich. Es gibt solche Sätze auch als Extrakte der europäischen Populismusforschung. „Wir müssen einander wieder sehen”, sagt Biden. „Wir müssen einander wieder zuhören.” Der politische Gegner sei eben nur ein politischer Gegner – „kein Feind”.

Plötzlich wird da ein Patriotismus sichtbar, der alle mitnehmen will und niemanden ausgrenzt. Im flatternden Fähnchen Amerikas soll, so wollen es Biden und Harris, wieder etwas Verbindendes liegen.

Schärfer könnte der Kontrast zu Donald Trump nicht sein. Doch statt ihn noch einmal frontal anzugreifen in dieser historischen Stunde, was leicht gewesen wäre, machen Biden und Harris es ganz anders. Sie lassen das Heilende, das sie sich vorgenommen haben, schon einmal wirken. Vielleicht muss man wie Biden 77 Jahre alt sein, um zu solcher Weisheit zu finden.

Deutschlands „heute show” höhnte am Freitag über „Das greise Haus” in Washington. Doch die Ironisierung von Bidens Alter wirkt erbärmlich angesichts des klugen Ansatzes, mit dem ein ungewöhnlich redlicher und ungewöhnlich ernsthafter künftiger Präsident das größte innenpolitische Problem der USA angehen will.

Zeit für ein Best-Case-Szenario

Bidens Politik der ausgestreckten Hand bietet nicht nur im Inneren Chancen, sondern auch in der Außenpolitik. Amerika müsse die Welt wieder überzeugen, sagt er – „nicht durch Beispiele seiner Kraft, sondern durch die Kraft seines Beispiels”. Das ist ein wunderbarer Satz. Biden legt damit für seine eigene Nation die Latte sehr hoch. Zugleich weist er ihr aber den einzig erfolgversprechenden Weg.

Die Europäer müssen die Chancen, die sich in den kommenden Wochen in der „Transition” bieten, von Anfang an gezielt nutzen. Allzu lange schoben viele Politiker in den europäischen Hauptstädten nur Endzeitszenarien vor sich her, als gebe es nur die Wahl zwischen einer Wiederkehr Trumps und einem Bürgerkrieg. Es wird jetzt Zeit, rasch ein Best-Case-Szenario zu entwerfen: Wie geht die EU um mit einer plötzlich wieder unerwartet kooperativen Regierung in Washington? Wie wäre es mit einem neuen Anlauf zu einem gemeinsamen Markt, mit stärkerer ökologischer Ausrichtung als beim letzten Versuch? Und wie wäre es mit einem sicherheitspolitischen Zusammenschluss aller führenden Demokratien: USA plus EU plus Großbritannien plus Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland?

Joe Bidens beruhigende Wirkung reicht bis Europa

Immerhin, ein erstes gutes Zeichen ist gesetzt. Die EU-Staats- und Regierungschefs erlaubten sich, Biden schon zur Wahl zu gratulieren, bevor Trump seine Niederlage eingestanden hatte. Das wird der noch amtierende Präsident als Frechheit empfinden, den Europäern kann das aber egal sein. Sie müssen jetzt alles tun, um das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist. Wenn alles gut läuft, könnten EU und USA nach vier Jahren Biden/Harris enger zusammengerückt sein als nach acht Jahren Obama/Biden.

Der neue Präsident hat irische Vorfahren. Er ist ein großer Fan des irischen Dichters und Nobelpreisträgers Seamus Heaney und lässt gelegentlich Zitate aus dessen Werk in seine Reden einfließen. Die Briten übrigens mahnte Biden bereits, nur ja nicht den Karfreitagsfrieden zwischen Irland und Nordirland durch ihre störenden Brexit-Pläne zu gefährden. Dies wiederum stärkt bereits die Verhandlungsposition Brüssels gegenüber London.

Sogar in Europa, man mag es kaum glauben, trägt dieser neue Präsident bereits zu einer Beruhigung bei - noch bevor er sein Amt angetreten hat. (RND)