Kommentar zur Corona-DemoWas die Mitläufer und Extremisten in Berlin wirklich wollen

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In Berlin haben am Samstag (29. August) mehrere zehntausend Menschen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung demonstriert. Das Bild ist am 29. August in Berlin aufgenommen worden.

Berlin – Die Allianz von Mitläufern und Extremisten war am Samstag kein unglücklicher Zufall. Sie ist gewollt von beiden Seiten. Die einen suchen Aufmerksamkeit, die anderen gesellschaftlichen Anschluss. Ein Kommentar.

Tausende Menschen sind am Samstag durch die Hauptstadt gezogen, vereint im Kampf gegen eine brutale Diktatur. Sie fordern Neuwahlen – wohlwissend, dass schon der bloße Ruf nach Demokratie sie in Haft bringen kann, wo ihnen Folter droht.

Die Rede ist von den mutigen Frauen und Männern in Minsk, Belarus. Nicht von den Leuten in Berlin, die im Mund-Nasen-Schutz allen Ernstes ein Symbol des Totalitarismus sehen. Ihr Auftritt befremdet und beschämt.

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Rechtsradikale mit schwarz-weiß-roten Reichsflaggen haben nicht, wie nun von rechts und links in angstlüsterner Übertreibung behauptet wird, den Deutschen Bundestag erstürmt. Sie haben eine Absperrung durchbrochen und gelangten auf die Stufen des Parlaments; schlimm genug.

Die Bilder schmerzen jeden Demokraten. Die Polizei hat zu erklären, warum sie dies nicht verhindert hat.

Hunderte Festnahmen nach Demo in Berlin

Zu erklären haben sich aber auch all jene Demonstranten, die bitterlich darüber klagen, von Politik und Medien „in die rechte Ecke gestellt zu werden“ – sich aber vor und während des Protests nicht von Faschisten distanziert haben. Abstandhalten war hier dringend geboten.

Die Allianz von Mitläufern und Extremisten ist kein unglücklicher Zufall. Sie ist gewollt von beiden Seiten. Die Extremisten setzen auf gesellschaftliche Akzeptanz, wenn unter ihnen auch Normalos sind. Die Mitläufer erhoffen sich von der Nähe zu radikalen Provokateuren Aufmerksamkeit und Gehör für ihre Anliegen, mögen die noch so diffus artikuliert sein.

Kritik muss sein

So aber diskreditieren sich die Kritiker der Corona-Maßnahmen selbst. Leider. Denn eine kritische Auseinandersetzung über den Sinn und die Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen in der Pandemie muss sein.

Von kritischer Auseinandersetzung war in Berlin am Samstag aber wenig zu vernehmen. Die Stadt war Schauplatz einer Demonstration des Widerspruchs. Es ist kein Widerspruch, der – wie jener in Minsk – Mut und Leidensbereitschaft erfordert.

Sondern einer, der zu einem ganz erheblichen Teil das Ergebnis verdrehter Tatsachen ist. „Querdenker” nennen sich die Corona-Regel-Gegner. Es waren aber ziemlich viele unterwegs, die nicht quer denken – sondern verquer.

Da machen Bürger von ihren gerichtlich verbrieften demokratischen Grundrechten auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit Gebrauch – und halten sich doch für Unterdrückte einer „Corona-Diktatur“. 

Der Rechtsstaat muss viel aushalten können

Die Justiz ließ sich auf die in Heldenpose vorgebrachte Unlogik der vermeintlichen Rebellen ein, als sie die Demo schließlich doch erlaubte. Sie machte die Einhaltung der Corona-Regeln zur Voraussetzung – deren Missachtung doch ausdrückliche Absicht der Demonstranten ist.

Wenig überraschend also, dass die Polizei die Kundgebungen einschränkte. Der Rechtsstaat muss viel aushalten können. Vorführen lassen muss er sich nicht. Umso mehr empören daher die Bilder vom Tumult am Bundestag.

Spektakel des Bizarren

Das mediale Interesse am Aufstand gegen die Corona-Politik ist groß. Das Geltungsbedürfnis vieler selbst erklärter „Querdenker” schafft ein Spektakel des Bizarren. Wann hat man jemals Nazis neben Yogis und Hippies neben Doktoren der Physik demonstrieren sehen? Die krude Zusammensetzung und die wirren Theorien ihrer Vertreter bedienen voyeuristische Gelüste.

Auch die Demoteilnehmer selbst wissen ihre Präsenz mittels fortwährender Posts und Streams in sozialen Netzwerken zu vervielfachen. So nähren sie bei sich und ihresgleichen die Illusion, sie wären „das Volk“. Dabei marschieren sie bloß in der eigenen Filterblase.

Der öffentliche Fokus auf die Aufgebrachten wirkt wie eine Riesenlupe: Er lässt sie größer, zahlreicher und bedeutsamer erscheinen, als sie tatsächlich sind.

Die meisten Menschen in diesem Land halten Umfragen zufolge die pandemiebedingten Einschränkungen für richtig. Sie wissen, dass persönliche Freiheit und die Rücksicht auf andere kein Widerspruch ist. (rnd)