Mangel an BotenstoffenUrsachen-Forschung im Hirn

Experten schätzen, dass sich etwa 100Milliarden Nervenzellen in unserem Gehirn befinden.

Experten schätzen, dass sich etwa 100Milliarden Nervenzellen in unserem Gehirn befinden.

Warum ein Mensch Depressionen bekommt, kann auch die moderne Medizin noch nicht exakt erklären. Zwar lassen sich die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Depression meist mit Erfolg behandeln, bei der Forschung nach den biologischen Ursachen bleibt jedoch noch viel zu tun.

Dabei mangelt es nicht an Theorien. Schon seit Jahrhunderten versuchen die Menschen dem Auslöser des Leidens auf die Spur zu kommen. So war der englische Schriftsteller Robert Burton der Ansicht, der Zustand der Welt könne trübsinnig machen und versuchte sich mit seinem1621 veröffentlichtem Buch „Die Anatomie der Schwermut“ die eigenen depressiven Qualen von der Seele zu schreiben.

Das umfangreiche Werk erwies sich jedoch als weitgehend wirkungsloses Mittel gegen die Krankheit. Burton wusste nicht, wie kompliziert die Funktion des menschlichen Gehirns ist. Etwa drei Pfund schwer verfügt es über schätzungsweise 100 Milliarden Neuronen. Jede dieser Nervenzellen ist mit Tausenden anderen verknüpft. Diese informationsverarbeitenden Netzwerke steuern unsere Körperfunktionen und Wahrnehmungen und speichern Erinnerungen.

Im Vergleich mit dem biologischen Zentrum unseres Bewusstseins sehen selbst modernste Supercomputer so simpel aus wie Steinzeitgerätschaften. Das Gehirn zu verstehen, gilt als die größte Herausforderung der neurobiologischen Forschung. Experten verschiedener Fachrichtungen haben es jedoch geschafft, in diesem Labyrinth Hinweise zu entdecken, die depressive Störungen mit bestimmten neurochemischen Faktoren in Verbindung bringen.

Im Mittelpunkt der Forschungen stehen vor allem zwei Botenstoffe des Gehirns: Noradrenalin und Serotonin. Bei vielen depressiven Menschen sind Nervenschaltkreise gestört, die diese beiden Substanzen für ihre Funktion benötigen. Einer der führenden deutschen Experten zum Thema Depressionen, der Leipziger Professor Ulrich Hegerl, vergleicht die Nervenzellen des Gehirns mit Kabeln, durch die elektrische Impulse fließen.

Da die Zellen jedoch keine direkte Verbindung untereinander haben, werden Botenstoffe zur Übermittlung von Signalen gebraucht. Noradrenalin und Serotonin werden im Hirnstamm gebildet und beeinflussen den Schlafrhythmus, den Antrieb, Empfindungen und Gefühle. Offenbar spielt ein Ungleichgewicht dieser Botenstoffe bei der Entstehung von Depressionen eine Rolle.

Erstmals wurde man in den 50er Jahren auf dieses Phänomen aufmerksam. Damals entdeckten Ärzte eine unerwartete Nebenwirkung eines Mittels gegen Tuberkulose. Es erwies, dass es den Abbau von Noradrenalin und Serotonin bremst, was die Stimmung der Patienten aufhellte. Diese Erkenntnis führte zur Entwicklung der ersten Generation von Medikamenten gegen die Depression. Es wäre zu schön, wenn allein der Ausgleich der fehlenden Menge von Botenstoffen allen schwermütigen Menschen Erleichterung verschaffen könnte. Auch wenn die Wirkungsweise von Antidepressiva in den letzten Jahren immer weiter verfeinert wurde, sind diese Präparate kein Allheilmittel.

Nur ein Teil der Erkrankten sprechen darauf an. Es gibt offenbar noch andere Ursachen für Depressionen. Experten wie Professor Hegerl gehen davon aus, dass es auch Zusammenhänge zwischen dem eigenen Verhalten, dem Umgang mit anderen Menschen und den Lebensumständen von Patienten gibt, die den Absturz in die Depression bewirken. Faktoren wie Verlusterlebnisse oder chronische Überlastung könnten eine Rolle spielen.