Langeweile und Einsamkeit?So macht ein Kölner Pflegeheim die Senioren wieder fit

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Zeichentrick-Figuren finden auch viele Senioren putzig, weil sie die vom Fernsehgucken mit den eigenen Kindern oder Enkeln kennen. Hier animieren sie eine alte Dame zum Sport. 

von Sieglinde Neumann ()

Köln – Es piept, ballert, zu schrill, zu schnell. Digitale Technik kann gerade ältere Menschen nerven. Da ist der Roboter im Pflegeheim, der menschliche Zuwendung ersetzt, eine Schreckensvision.

Aber mit Herz, Verstand und kreativen Pflegern, die das Beste aus beiden Welten zusammenfügen, ist Technik ein Segen. Wir zeigen positive Beispiele zum „Tag der Pflege“.

Unterhaltung für einsame Senioren

„Bewohner, die nicht mehr rauskommen, können einen Waldspaziergang machen, Tiere im Zoo angucken oder bei einer Weihnachtsfeier zuschauen und sich fühlen, als säßen sie mittendrin“, beschreibt Pflegedienstleiter Wolfram Michelson (40) das digitale Helferchen „Qwiek.up“, das das St. Vincenz-Haus am Konrad-Adenauer-Ufer in Köln erst ausprobierte und nach begeistertem Feedback des Personals vor einem halben Jahr dann auch angeschafft hat.

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„Ich kann das Gerät überall hinrollen“, führt Pfleger Ali El Baltaji (35) vor. Stecker in die Steckdose, Film einlegen, in einer Minute fährt das System hoch. Dieses „Spielzeug“ setzt nicht nur bei ihm neue, frische Ideen gegen Langeweile und Einsamkeit der Bewohner frei.

Enkel-Video auf USB-Sticks

Reisen, die man selber nicht mehr schafft, unternimmt der geistig noch fitte ältere Mensch virtuell. Wer im Bett liegt, kriegt den Höhenweg durch Österreichs schöne Bergwelt an die Zimmerdecke projiziert und kann in Gedanken mitwandern, ohne sich den Hals zu verdrehen.

Demenz-Kranke sind fasziniert von Kätzchen, die auf der Fensterbank spielen – und gehen mit Hunden Gassi, begleitet von Naturgeräuschen.

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Alis eigenes Video vom Paragliding-Flug im letzten Urlaub kommt besonders gut an. „Das bin ich“, strahlt er. Irgendwann käme dann die Frage: „Das sind Sie?“ Stille. Dann noch mehr Fragen: „Wie war das? Wo war das? Was ist das für ein Gefühl?“ Und, da lacht er selber unwillkürlich: „Was kostet das?“

Die im oft eintönigen Heimalltag dösenden Bewohner bekommen sehr viel mehr mit, als man denkt, betont der Pflege-Profi. „Sie werden oft wieder erstaunlich munter.“

Sonntags ist Kinotag in der Seniorenresidenz

Sonntags inszeniert er im Gemeinschaftsraum eine richtige Kino-Vorstellung mit alten Spielfilmen oder dem Film vom André-Rieu-Konzert. „Ich laufe sogar durch die Reihen: 'Wer möchte ein Eis kaufen?'“, erzählt er.

Bewohner mit Demenz, die nicht mehr kommunizieren können, sitzen selbstverständlich mit im Saal – zufrieden und ruhig. Fernsehen interessiert die meisten hier nicht, weiß er.

Aber wenn sie Orte sehen, an denen sie selber waren, leuchten die Augen. Dann fängt Ali einfach an zu erzählen. Er betont: „Die Technik ersetzt den menschlichen Kontakt nicht, sie unterstützt ihn!“

Angehörige werden ermuntert, Urlaubsvideos, Filme mit den Enkeln oder aus dem Garten auf USB-Sticks mitzubringen. Ali El Baltaji selber recherchiert, woher die Menschen kommen und zeigt ihnen Bilder ihrer Heimat-Orte. „Wenn ich ein glückliches Lächeln hervorzaubern kann, bereitet mir das die größte Freude.“

Virtuell Radeln durch Paris

Eine zweite sichere Bank für mehr Schwung im Pflegealltag ist Bewegung. Die Siemens-Betriebskrankenkasse SBK bringt als erste das „Exergame“ SilverFit in deutsche Pflegeheime.

Fangen, Werfen, Rückwärts- und Seitwärtsgehen „turnen“ 3-D-Bewegtbilder vor, geben Feedback. Die Illusion funktioniert auch prima in Verbindung mit einem Sitzfahrrad. „Eine Bewohnerin hat auf dem Fahrrad-Ergometer das erste Mal Paris gesehen“, schwärmt SBK-Präventionsexpertin Inga Lührs.

Dabei profitiert nicht nur die persönliche Fitness von den Übungen. Auch die Stimmung hebt sich deutlich: 89 % der Teilnehmer fühlen sich danach glücklich. Vorher gaben nur 26 % an, glücklich zu sein. Beide Ideen stammen – nicht zufällig – aus den Niederlanden.

„In Holland sind wir 25 Jahre weiter“

Im Dreiländereck hinter Aachen liegt das „Zuyderland Zorgcentrum Glana“. Astrid Van Mulken (48) ist dort Coach für „Erlebnisorientierte Pflege“, von Montag bis Freitag, 36 Stunden die Woche.

„In Holland ist es in der Altenpflege viel tiefer verankert, auf die Gefühle und inneren Welten der Bewohner einzugehen und gerade auch Demenzkranke in ihrer Wahrnehmung zu bestätigen“, erzählt sie. „Wir haben hier schon 1994 damit begonnen.“

Der Langeweile und Einsamkeit etwas entgegenzusetzen, vorhandene Fähigkeiten und Interessen zu fördern, ist ihr Job. Technik steht gleichberechtigt neben gemeinsamem Kochen und Festen.

Das reicht vom „Qwiek.up“ bis zum Badezimmer mit Dimmer und Roboter-Seehund „Paro“ für Menschen mit fortgeschrittener Demenz, die sonst gar nicht reagieren.

„Sie werden ruhiger, wenn sie etwas zum Knutschen haben, und brauchen weniger Medikamente“, sagt Van Mulken. Für solche Extras gibt’s örtliche Sponsoren.

Die Grundkosten deckt teilweise die Krankenversicherung, teilweise die Gemeinde aus Steuermitteln. Einkommensabhängig werden Zuzahlungen fällig – auf rund 2200 Euro monatlich gedeckelt.