MisophonieWenn mich Kauen kirre macht – Hass auf Geräusche gibt's wirklich

Eine junge Frau beißt auf diesem undatierten Symbolfoto genüsslich in ein Stück Obst.

Wenn (geliebte) Mitmenschen mehr oder weniger krachend in Obst beißen kann das bei manchen Menschen regelrechte Hassgefühle auslösen.

Es gibt Menschen, die einen regelrechten Hass auf Geräusche entwickeln können. Das Phänomen hat einen Namen – und kann unter Umständen jeden treffen. 

von Stefanie Monien (smo)

Kennen Sie das? Die bessere Hälfte kaut genüsslich einen Apfel, knabbert fröhlich ein paar Chips – und Sie könnten die Wände hoch gehen? Weil die Geräusche Sie so sehr nerven – aber warum eigentlich?

Psychologin Dr. Lisa Illies von der Universität Bielefeld forscht seit 2014 mit einem Team zum noch jungen Thema Misophonie. Der Begriff kommt aus dem Griechischen, meint „Hass auf Geräusche“.

Misophonie: Hass auf Geräusche kann diverse Ursachen haben

Geprägt haben den Begriff Misophonie die US-amerikanischen Neurowissenschaftler Margaret und Pawel Jastreboff. Trigger (Auslöser) können beispielsweise sein:

  • Schmatzen
  • Kauen
  • Räuspern
  • Husten
  • Schluckgeräusche

„Misophonie taucht aktuell nicht in den Klassifikationssystemen auf – im Unterschied zu anderen psychischen Problemen kann daher keine Diagnose für die Symptomatik vergeben werden“, sagt Dr. Illies, „und genau so, wie die Angst vor Spinnen von einem leichten Unbehagen bis hin zu einer Spinnenphobie reichen kann, muss man auch die Misophonie einordnen.“

Sprich: Unterscheiden des reinen „Genervtseins“ vom kauenden Partner, weil vielleicht eh gerade Streit in der Luft liegt, von einer derart schweren Geräuschempfindlichkeit, die Betroffene in die soziale Isolation treibt. Die genauen Ursachen der Misophonie gilt es nun zu ergründen.

Bislang gibt es unter anderem den Erklärungsansatz, dass dem Phänomen ungelöste Konflikte zwischen Eltern und Kindern zugrunde liegen können. Gefühle wie Wut, Frust oder gar Ekel könnten laut der Jastreboffs später durch bestimmte Geräusche, mit denen sie verknüpft sind, wieder an die Oberfläche kommen. Bisher vorliegende Daten zeigten zwar, dass es gerade enge Angehörige oder Lebenspartner seien, die einen mit ihren ganz normalen Alltagsgeräuschen „auf die Palme bringen“ könnten, so die Expertin. Doch die Gründe dafür liegen noch im Dunkeln.

Misophonie kann Betroffene in die Isolation treiben

„Was eine Rolle zu spielen scheint, sind Schwierigkeiten im Umgang mit der Emotionskontrolle“, sagt Dr. Lisa Illies, die in der Psychotherapie-Ambulanz der Universität Bielefeld arbeitet und forscht.

Menschen, die nicht nur ab und an genervt sind von Geräuschen, sondern unter ausgeprägter Misophonie leiden, könnten nicht mehr am Alltag teilnehmen: „Mit Kollegen im Büro sitzen zum Beispiel. Weil sie darunter gelitten haben, wie andere geatmet oder gekaut haben.“

Meist sind es diese mit Nase oder Mund erzeugten Geräusche, die aggressiv machen, Druck auf der Brust, Verkrampfungen und Angstgefühle auslösen können. Hier kann z.B. eine kognitive Verhaltenstherapie helfen.

Aber was mache ich, wenn ich „nur“ temporär genervt bin vom schmatzenden Schatz? „Wenn eine Geräuschempfindlichkeit in Bezug Essgeräusche des Partners auftritt, gibt es verschiedene Ansätze, die man so auch in der Behandlung verfolgen würde. So könnte ich mich fragen, ob ich das aushalten kann oder mich abschirmen muss. Indem ich Musik anstelle und mich darauf konzentriere – das nennt sich Aufmerksamkeitslenkung. Den eigenen Entspannungslevel verbessern und an der Akzeptanz generell arbeiten: Die meisten Menschen machen diese – mitunter nervigen – Geräusche nicht extra um jemanden zu ärgern. Das sollte man sich immer wieder vor Augen führen.“ (smo)