Kinderpsychologin gibt RatMein Kind hat dauernd Angst – was kann ich dagegen tun?

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Ängste gehören zur Entwicklung eines Kindes dazu. Manchmal aber entwickeln sich daraus auch echte Angststörungen.

Köln – Plötzlich verhält sich das Kind komisch. Meidet Situationen. Oder redet immer wieder von Monstern unterm Bett. Ist das jetzt Alberei, lustiges Rollenspiel oder doch ein Grund zur Sorge? Bei all den verschiedensten Gefühlen und Stimmungen, die Kinder den Tag über zeigen, ist für Eltern nicht immer leicht zu erkennen, wann es ernst wird. Wann ein Kind sich wirklich unwohl fühlt und Angst hat. Wir haben mit Psychologie-Professorin Silvia Schneider von der Ruhr-Universität Bochum über Kinderängste gesprochen.

Woran erkennt man, dass ein Kind Angst hat?

Silvia Schneider: Das Kind wird auf jeden Fall irgendwie ein Unbehagen ausdrücken. Angst zeigt sich meistens auf drei Ebenen. Auf der einen durch körperliche Symptome: Kinder berichten dann zum Beispiel, dass ihnen ganz heiß wird, sie Bauchschmerzen oder Herzklopfen haben. Darüber hinaus merkt man es dem Kind an seinem Verhalten an. Es möchte weg, weicht vor etwas zurück oder starrt zur Quelle der Angst hin. Bei sehr starker Angst friert das Kind auch ein, fällt in eine Art Schreckstarre.

Die dritte Ebene ist, dass das Kind darüber berichtet, was ihm Unbehagen bereitet. Kindern fällt es gar nicht so schwer, so etwas wie Angst und Furcht in Worte zu fassen.

Wie können Eltern angemessen reagieren, wenn das Kind Angstsymptome zeigt?

Schneider: Eltern sollten die Ängste ihrer Kinder auf jeden Fall ernst nehmen, darüber sprechen und kindgerecht nachfragen. Wovor fürchtest du dich? Was an dieser Situation findest du schlimm? Im Gespräch sollten Ängste relativiert und in den Kontext eingeordnet werden. Wenn eine Angst noch nicht so stark ist, raten wir Eltern auch, sie ein Stück weit zu ignorieren und nicht zu sehr zu vertiefen. Damit die Angst nicht zum bestimmenden Thema in der Familie wird.

Dann gilt es, jedes Verhalten zu unterstützen, das in Richtung Bewältigung geht. Eltern sollten ihr Kind dazu ermuntern, die Angst machende Situation trotzdem weiter auszuprobieren. Selbst wenn es ihm schwer fällt. Zum Beispiel mal ohne Mama beim Nachbarskind zu spielen. Erwachsene können hier auch helfen, wenn sie ihrem Kind klar machen, dass sie auch Ängste haben und damit umgehen.

Wie stärkt man Kinder, damit sie sich dem Monster unter dem Bett stellen können?

Schneider: Wenn das Kind Angst vor dem Monster unter dem Bett hat – eine Angst, die übrigens viele Kinder haben – sagen Erwachsene oft einfach: Es gibt doch keine Monster. Dabei haben gerade Kinder mit etwa zwei bis vier Jahren eine Phase des magischen Denkens. Sie nehmen innere Bilder wahr, können aber kognitiv noch nicht realisieren, dass die nur in ihrem Kopf stattfinden. Da macht es nicht viel Sinn, auf der Realitätsebene zu argumentieren. Stattdessen sollte man dem Kind helfen, diese Monster zu vertreiben und sie in ihrer Selbstwirksamkeit stärken.

Das Kind soll lernen, dass es schwierige Situationen selbst lösen und bewältigen kann. Kinder gehen gestärkt daraus hervor, wenn sie eine Angststörung überwunden haben. Eine wichtige Voraussetzung für spätere Krisen. Eltern sollten deshalb nicht zu überfürsorglich sein, sondern die Kinder eigene Erfahrungen machen lassen. Und sie motivieren und sagen: Klar kannst du das!

Wie normal ist es, dass Kinder Angst bekommen?

Schneider: Ängste gehören zum Kindsein dazu. Mit sieben, acht Monaten haben alle Kinder erste Trennungsängste, das so genannte Fremdeln. Das ist sogar evolutionsbiologisch erklärbar: Durch diese Angst werden Kinder im Krabbelalter ein Stück in ihren Erkundungen gebremst, damit sie nicht zu weit von den Eltern weggehen.

Die ersten Angststörungen fangen im Alter von drei bis vier Jahren an. Oft geht es um so genannte spezifische Phobien. Das bedeutet, dass das Kind vor einer speziellen Situation große Angst hat. Typische Ängste für die Kleinkindalter-Gruppe sind zum Beispiel Angst vor lauten Geräuschen, vor Unwetter, vor Dunkelheit, vor Tieren. Kinder in diesem Alter kriegen schon viel aus der Umwelt mit, können das aber noch nicht richtig einordnen. Das macht ihnen Angst.

Viele Ängste sind der Beginn einer neuen Entwicklungsstufe und verlieren sich mit der Zeit. Aber nicht alle. Manche Ängste können sich auch zur manifesten Angsterkrankung auswachsen.

Welche Art von Ängsten ist immer alarmierend? 

Schneider: Eltern sollten dann aufhorchen, wenn sie merken, dass die Ängste das Leben des Kindes dominieren. Wenn es dadurch in seiner Entwicklung eingeschränkt ist und nicht mehr das macht, was andere Kinder machen. Wenn es zum Beispiel gar nicht mehr raus will, weil es vor einer Situation Angst hat.

Alarmierend ist es auch dann, wenn Ängste nicht mehr alterstypisch sind. Hat ein Kind etwa im Alter von sechs bis zehn Jahren immer noch starke und andauernde Trennungsängste, dann spricht man von einer Angststörung.

Sollten sich Eltern dann professionelle Hilfe holen?

Schneider: Wenn eine Angst anhält, sollte man sich professionelle psychotherapeutische Hilfe holen. In der Behandlung üben Eltern und Kind zusammen die Angst machenden Situationen mithilfe spielerischer Elemente ein. Dem Kind wird vermittelt, dass man mit solchen Situationen umgehen kann. Dass es einen nicht hilflos macht, auch wenn es sich am Anfang so anfühlt. Wir sagen den Kindern oft: Nur wer Ängste kennt, kann auch mutig sein. Das führt zu einer anderen Sichtweise auf die Angst.

In unserer aktuellen Behandlungsstudie „Kinder bewältigen Angst (KibA)“ erarbeiten wir im Augenblick neue Konzepte, um Kindern mit Angststörungen und ihren Eltern psychotherapeutisch noch besser helfen zu können.

Zeigen sich frühe Angststörungen später häufig wieder?

Schneider: Anders als lange vermutet, sind Angststörungen stabiler als gedacht. In Längsschnittstudien hat sich herausgestellt, dass bei circa der Hälfte der Kinder, die im Kleinkindalter Angststörungen hatten, auch später wieder Ängste auftreten. Allerdings in anderer Ausprägungen. Der 16-Jährige hat dann keine Trennungsangst mehr, sondern vielleicht Angst vor sozialen Situationen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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