Für den ArbeitgeberSo bekommen Sie ein Attest vom Arzt, ohne das Bett zu verlassen

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Ohne Arztbesuch zum gelben Zettel – Diagnose per App.

Köln – Fieber, eine laufende Nase, Rachenschmerzen, Heiserkeit – aus insgesamt 22 Symptomen kann ich wählen, um mir selbst meine angebliche Erkältung zu diagnostizieren. Das Ziel: Eine Krankmeldung von einem Arzt zu bekommen, ohne dafür wirklich einen Mediziner in seiner Praxis aufgesucht zu haben. Ich teste das Angebot des Hamburger Startups „AU-Schein.de“. Mit ein paar Klicks auf der Webseite kann man eine Erkältung beschreiben und bekommt dafür ein Attest.  

Ich kann selbst auswählen, ob ich ein, zwei oder drei Tage krank sein werde. Im zweiten Schritt werde ich nach chronischen Krankheiten, starken Schmerzen oder einer Schwangerschaft gefragt – um Risiken auszuschließen. Wer sich bis um 10 Uhr morgens bei dem Service meldet, erhält die Krankmeldung am selben Tag bis 14 Uhr bei Whatsapp.

Diagnose per Whatsapp und mit Emoji

So funktioniert es auch bei mir: Ich beantworte die Fragen auf der Webseite, bezahle neun Euro per Paypal und versende meine Daten über Whatsapp. Ein paar Stunden später erhalte ich meine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per App von einem Arzt aus Lübeck, darin wird mir meine angebliche Erkältung mit einem schniefenden Emoji diagnostiziert. Diesen Service können Arbeitnehmer zweimal im Jahr nutzen, heißt es auf der Webseite.

Mit dem Arzt telefoniert oder ihn gesehen habe ich nicht. Die Kommunikation verlief nur über Whatsapp. Das sei rechtlich alles kein Problem, heißt es auf der Webseite „AU-Schein.de“.

Möglich werde der Whatsapp-Service durch die Lockerung des Fernbehandlungsverbots im letzten Jahr. Die Berufsordnung für Ärzte in Schleswig-Holstein lasse einen weitreichenderen Einsatz von Telemedizin zu, als die Berufsordnung der Bundesärztekammer. Auch müssten Krankschreibungen von den Kassen anerkannt werden, selbst wenn diese von einem Privatarzt ausgestellt werden. 

Kritik von Ärztekammern

Ärztevertreter sehen das allerdings anders – die Ärztekammern Hamburg und Schleswig-Holstein raten von der Nutzung des Dienstes ab. Ein Problem sei der Datenschutz und auch andere rechtliche Grundlagen müssten noch geprüft werden, erklärt Nicola Timpe von der Ärztekammer Hamburg.

Auch der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) sieht das Angebot kritisch, vor allem, dass es keinen Arzt-Patienten-Kontakt gebe und damit auch keine Untersuchung des Patienten. Weitere Punkte (wie die Gebühr) müssten noch juristisch geprüft werden, heißt es vom GKV.  

Probleme mit dem Datenschutz

Die Krankmeldung per Whatsapp würde meine Krankenkasse, die DAK, anerkennen. Denn von „AU-Schein.de“ bekomme ich in den nächsten Tagen ein ausgedrucktes Attest per Post, welches ich an die Krankenkasse senden müsste „Über welche Wege die Diagnose gestellt oder ein Attest vom Arzt an den Patienten ging, ist für uns dann nicht mehr ersichtlich“, heißt es von der DAK. Doch auch die DAK sieht bei dem Service datenschutzrechtliche Hürden.

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Arbeitsrechtler hält wenig von dem Service

Weitere Probleme sieht der Berliner Arbeitsrechtler Alexander Bredereck. „Es ist völliger Quatsch“, sagt er über Krankschreibungen per Whatsapp.

Dabei müsse man sich zunächst fragen „was eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aussagt“, erklärt Bredereck. Sie bescheinigt, dass ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten kann. Bei dem Whatsapp-Service wählt der Arbeitnehmer selbst die Symptome aus und diagnostiziert sich selbst, ohne Absprache oder Untersuchung von einem Mediziner. „Damit ist Missbrauch Tür und Tor geöffnet.“

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Bredereck hat Bedenken, dass das Attest von „AU-Schein.de“ vom Arbeitgeber angenommen wird. Schließlich könne der Chef sehen, dass ich nicht bei meinem Hausarzt war.

Vorgetäuschte Krankheit ist ein Kündigungsgrund

Doch der Rechtsanwalt verweist auf ein viel größeres Problem: Eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit ist ein Grund für eine fristlose Kündigung. „Die Arbeitsunfähigkeit kann ich als Arbeitnehmer selbst widerlegen.“ Zum Beispiel, wenn ich trotz Grippe in die Disco gehe und von meinem Chef gesehen werde.

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Kommt es zu einem Rechtsstreit „brauche der Arbeitnehmer den Arzt als Zeuge“, erklärt Bredereck.  Denn dieser könne belegen, dass ich wirklich krank war und mit dem Disco-Besuch nur unklug gehandelt habe – in diesem Fall erwartet den Arbeitnehmer nur eine Abmahnung. (mit dpa)