Lockerungen in DeutschlandDie neuen Corona-Regeln führen in eine böse Falle

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Trotz der Lockerungen wurde am Wochenende in vielen Städten gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert, wie hier in Berlin am 9. Mai 2020.

Köln – Seit Montag, 11. Mai 2020, gelten die neuen Corona-Regeln. Etliche Verordnungen und Schutzmaßnahmen werden gelockert. Doch der Neustart führt in eine böse Falle, befürchtet unser Redakteur.

Wie lange warten die Menschen nun schon auf diese Lockerungen? Seit Wochen beißen sich gestresste Eltern durch die Doppelbelastungen, schrammen Unternehmen am Abgrund entlang. Warum brechen wir jetzt nicht alle in kollektiven Jubel aus?

Der Lockdown hatte sich angefühlt wie eine Ewigkeit. Die Sehnsucht nach den Eltern, den Enkelkindern, Freunden, sie ist zum Erdrücken. Doch jetzt, wo wir so viele Dinge wieder dürfen, die vor kurzer Zeit noch undenkbar waren – geliebte Menschen treffen, Großeltern in Altersheimen besuchen, zur Schule, zur Arbeit oder einfach nur Shoppen gehen –, gerade jetzt scheint der Protest vieler Menschen gegen die Corona-Beschlüsse aufzuflammen.

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Tausende demonstrieren gegen Corona-Regeln – warum jetzt?

Tausende sind am Wochenende in Berlin, Köln oder München auf die Straße gegangen, um gegen die Einschränkungen zu protestieren. In Mannheim fielen sogar Schüsse (wenn auch nur aus einer Schreckschusspistole) und Jugendliche verletzten zwei Polizeibeamte mit Böllern (hier lesen Sie mehr).

Warum ausgerechnet jetzt? Jetzt, wo die wochenlange Starre zurückgefahren werden soll. Warum fühlen sich die Menschen gerade im Augenblick der Lockerung plötzlich so sehr beschränkt, dass sie auf die Straße gehen und sich teils gewalttätig dagegen artikulieren?

Die Frage ist durchaus angebracht, denn bislang gab es so gut wie keine Demonstrationen, trotz aller Härte der Maßnahmen. Es dürfte also kein Zufall sein, dass sich gerade jetzt Widerstand regt.

Die Antwort liegt auf der Hand. Die Menschen verlieren das Vertrauen in die Politik, in den Staat. Nicht, weil man glauben würde, die Politiker hätten keine guten Absichten. Nicht, weil sie Schutzmaßnahmen gegen eine Pandemie für Quatsch halten.

Unlogik der Maßnahmen in Corona-Lockerungen

Die neuen Corona-Regeln führen in eine böse Falle: Die Vorschriften werden zunehmend zu komplex und können zu weiten Teilen nicht überprüft werden.

Das beginnt schon beim Föderalismus-Problem. Auch wenn man sich zwischen den Bundesländern um Einheitlichkeit bemüht. Warum dürfen die einen etwas, was die anderen nicht dürfen, nur, weil sie im falschen Land leben. Und wenn ich die Grenze überschreite, dann darf ich plötzlich doch?

Doch auch bei der Umsetzung der verordneten Schutzmaßnahmen stößt das System unweigerlich an Grenzen. Wie sollen Ordnungskräfte auf offener Straße nachvollziehen, dass es sich um Personen aus zwei Haushalten handelt und nicht aus drei oder vier? Die Personen brauchen doch nur vorgeben, sie würden in WGs zusammenwohnen, seien aber mit Erstwohnsitz noch bei den Eltern gemeldet.

Sollen die Beamten wirklich alle Daten einer Gruppe akribisch prüfen?

Und welchen Sinn macht es überhaupt, dass Personen aus großen Hausständen wie Wohngemeinschaften sich in vergleichsweise großen Gruppen miteinander treffen dürfen, alleinstehende Junggesellen aber nicht?

Das Koordinatensystem der Lockerungen wackelt

Nicht weniger wackelig ist der jetzt neu festgelegte Grenzwert von 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Das Koordinatensystem der Lockerungen sozusagen. Wird diese Obergrenze überschritten, muss der jeweilige Kreis zurück in den Lockdown.

Die Größe, die Einwohnerdichte, die Altersstruktur, die Testintensität – spielt dabei alles keine Rolle.

Ranga Yogeshwar äußerte bereits seine Zweifel, ob das funktionieren kann (hier lesen Sie mehr). Er befürchtet, dass die Ordnungsämter der Städte unter zu großem Druck stehen könnten. Er plädierte dafür, die Virentests unabhängig zu machen und nicht durch die Ämter selbst durchführen zu lassen. Ansonsten könnten sich Beamte gedrängt fühlen, zu wenig zu testen oder sogar Zahlen zu manipulieren, um ihre Gemeinde vor einem erneuten Lockdown zu bewahren.

Doch selbst wenn dieses Horror-Szenario nicht eintritt, was passiert denn, wenn eine Gemeinde die Lockerungen wieder aufheben muss? Oder wenn gleich mehrere davon betroffen sind? Man vergisst doch dabei, dass die Gemeinden und Städte nicht aus einem starren Gebilde bestehen, sondern aus Menschen, die sich bewegen, die Grenzen überschreiten.

Kommunikation und Nachjustieren: Politik ist in der Pflicht

Und genau diese Menschen sind doch die Träger des Virus. Wohin führt das, zu Ausgangssperren für bestimmte Städte, Regionen? Werden bald Coesfeld, Münster und Osnabrück lahmgelegt, während die Menschen in Dortmund und Essen weitestgehend tun und lassen dürfen, was sie möchten?

Werden wir demnächst nach dem Ausweis gefragt, wenn wir zum Einkaufen in die Nachbarstadt wollen?

Demonstrationen sind nicht die Antwort auf diese Probleme. Und es ist nicht alles falsch, was die Politik in Deutschland macht. Dass wir bislang so gut durch diese Krise gesteuert sind, ist Beweis genug dafür.

Dennoch, es ist liegt noch viel Arbeit und sehr viel Mut zur Geduld auf unserem Weg. Die Politiker dürfen diese Geduld allerdings auch nicht aufs Spiel setzen, durch allzu sehr übers Bein gebrochene Maßnahmen. Da ist noch viel Kommunikation und ständiges Nachjustieren nötig.