„Wir haben keine Zeit“Streit über Notbremse, Mediziner warnt bei „Anne Will”

Anne Will

Die Gäste bei „Anne Will” am 18. April 2021 sind unter anderem Peter Altmaier, Christian Lindner und der Kölner Mediziner Michael Hallek. 

von Julia Bauer (jba)Alexandra Miebach (mie)

Berlin – Die Bundesregierung will das Infektionsschutzgesetz verschärfen und eine „Bundes-Notbremse“ einführen. Doch die Kritik an der Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit von nächtlichen Ausgangssperren ist groß. Um dieses Thema ging es am Sonntag ab 21.45 Uhr bei „Anne Will“ im Ersten.

  • „Anne Will“ am 18. April:  Streit um die „Bundes-Notbremse“ – lässt sich die dritte Welle so stoppen? 
  • Ende März war Angela Merkel zu Gast bei „Anne Will“
  • Die Gäste bei „Anne Will“ am Sonntag: Unter anderem Peter Altmaier, Christian Lindner und Kölner Intensivmediziner

„Ich werde dem jetzt nicht 14 Tage tatenlos zusehen“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende März bei Anne Will mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen und die unterschiedliche Umsetzung der Corona-Maßnahmen in den einzelnen Bundesländern gesagt.

Die Zahl der Neuinfektionen stieg seitdem weiter an. Am Sonntag (18. April 2021) lag sie bei knapp 20.000. Intensivmedizinerinnen und -mediziner warnen ausdrücklich vor der immer geringer werdenden Zahl an Intensivbetten in Deutschland.

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„Anne Will“ am 18. April: Scheitert die Notbremse am Widerstand gegen Ausgangssperren? 

Doch werden die Pläne des Bundes zur Eindämmung der Corona-Pandemie am Widerstand gegen die Ausgangsbeschränkungen scheitern? Kommen die bundeseinheitlichen Regelungen ohnehin zu spät? Darüber diskutierten am Sonntagabend nach dem „Tatort“ im Ersten folgende Gäste bei „Anne Will“: 

  • Peter Altmaier (CDU)
  • Michael Müller (SPD)
  • Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Christian Lindner (FDP)
  • Michael Hallek
  • Melanie Amann

Von einer „harten Triage“, bei der nur noch ausgewählte Patienten behandelt werden könnten, sei man an der Kölner Uniklinik nicht mehr weit entfernt, sagte Hallek zuletzt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Der Internist ist einer der Gäste bei „Anne Will“ am Sonntagabend. Wie reagieren die Politiker auf die Warnung des Mediziners? 

Talk bei „Anne Will“: „Die beste Medizin ist die Prävention“

Der Kölner Mediziner schildert: „Ich habe heute wieder Visite gemacht und viele Menschen gesehen, die auf der Intensivstation unserer Klinik um ihr Leben kämpfen.“ Zwei Drittel der Krankenhäuser mit Intensivstationen seien derzeit nicht aufnahmefähig. „Wir haben keine Zeit“, warnt er.

Es erzürne die Mediziner, dass die derzeitigen Geschehnisse „mit Ansage“ gekommen sind und das derzeit „viele Menschen leiden und sterben müssen“. „Die beste Medizin ist die Prävention“, erklärt er.

Im Hinblick auf seine Warnung vom Wochenanfang erklärt Halleck, dass sich die Geschehnisse derzeit verlangsamt hätten, weswegen sich das gemalte Szenario derzeit noch nicht so extrem darstellt. Jedoch werden schon keine nicht zwingend notwendigen Eingriffe mehr vorgenommen.

Talk bei „Anne Will“: Die Politik steht vor einer Entscheidung

Auch wenn die Bundes-Notbremse bereits entschlossen ist, bis sie in Kraft tritt, kann es aber Ende April bis Anfang Mai sein, eine Zeit, die wir möglicherweise nicht haben.

Altmaier betont hingegen, wie schnell dieses Gesetz doch verabschiedet wurde. „Die Regierung kann nur das tun, was sie nach dem Grundgesetz darf“, erklärt er. „Wir haben die Bundesländer daran erinnert, dass sie die Notbremse ziehen können. Jedoch hat sich herausgestellt, dass es anscheinend einfacher war, gewisse Öffnungen vorzunehmen, als diese wieder zurückzuziehen“, so der CDU-Politiker. 

Talk bei „Anne Will“: Christian Lindner gegen Ausgangsbeschränkungen

„Die Intensivmediziner senden einen Hilferuf nach dem anderen – wer sind wir denn, wenn wir diese Notrufe überhören würden?“, hatte Merkel betont. Die Notbremse solle die drohende Überlastung des Gesundheitswesens verhindern.

Laut Ansicht des FDP-Partei- und Fraktionschefs Christian Lindner, der am Sonntag im Polittalk mit Anne Will zu Gast war, würden mit dem Gesetzentwurf, der Ausgangsbeschränkungen beinhaltet, „die falschen Konsequenzen aus dem Scheitern der Osterruhe“ gezogen. Er drohte eine Verfassungsbeschwerde an, falls die Bundesregierung nicht nachbessere.

Talk bei „Anne Will“: Lindern übt harte Kritik

„Die gescheiterte Osterruhe hat gezeigt was passiert, wenn ein Vorgehen ohne ordentliche Prüfung beschlossen wird“, so der Lindner. „Das sollten wir nicht wiederholen.“

Er verstehe nicht, warum es mit der Bundes-Notbremse nur eine Lösung ab einer Inzidenz von 100 geben solle. Er kritisiert die abgesagte und nicht vorgezogene Ministerpräsidentenkonferenz.

„Ich bin für eine bundeseinheitliche Regeln, aber wir brauchen eine Abstimmung mit den Ländern“, beteuert er. Doch eine generelle Schwelle von einer Inzidenz von 100 sieht er kritisch, man könne die Inzidenz nicht verallgemeinern.

Lindner bei „Anne Will“: Brief an Angela Merkel blieb unbeantwortet

Lindern betont, dass man im Entwurf der Bundes-Notbremse mehrere Punkte gefunden habe, weswegen die Bundes-Notbremse so nicht beschlossen werden könne. Ein Brief an die Kanzlerin blieb unbeantwortet.

Er erklärt: „Ich halte es für richtig, dass Kontakte beschränkt werden.“ Des Weiteren müsse man bei den Testungen weiterkommen. Diesbezüglich wünscht sich Michael Hallek, dass nicht nur in den Schulen und Kitas, sondern auch in den Betrieben regelmäßig getestet werde. Die Inzidenz von 100 sieht auch er als zu hoch an. Man müsse früher handeln.

Zum Thema Lockdown und Ausgangssperren sagt er: „Wenn wir das jetzt für ein bis zwei Monate durchhalten, haben wir einen Impfeffekt, der uns einen leichteren Sommer bescheren würde.“ Man müsse sich jetzt hinsetzten und bestenfalls in den nächsten fünf Tagen eine Lösung beschließen, und zwar „einheitlich und überall“, betont der Mediziner.

Talk bei „Anne Will“: Was ist mit der Arbeitswelt?

„Wir haben ein Gesetz vorgelegt bekommen, das nicht gut ist“, kritisiert Katrin Göring-Eckardt. Besonders dass die „Arbeitswelt“ in der Bundes-Notbremse nicht richtig angepackt werde, obwohl dort viele Infektionsgeschehen stattfinden, sieht sie als besonders dramatisch an.

Die Politikerin war selbst an Corona erkrankt. „Ich weiß, wie das ist“, erklärt sie. Sie sieht besonders Long Covid als Problem an, dass wir noch nicht einschätzen können.

Melanie Amann bei „Anne Will“: Der Staat muss die Bevölkerung schützen

„Es ist die Aufgabe des Staates, Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen“, plädiert Melanie Amann.

Auch sie steht der Bundes-Notbremse kritisch gegenüber, denn sie ist der Meinung, dass Schließungen und Öffnungen zu nah aneinander liegen. Seit nunmehr einem halben Jahr leben wir in Deutschland mit massiven Einschränkungen. „Dieses Gesetz wird uns nicht aus diesen Einschränkungen befreien“, erklärt sie.

Bei „Anne Will“: Michael Müller blickt besorgt auf die Psyche der Bevölkerung

Für Michael Müller sind die psychischen Folgen in der Bevölkerung besonders problematisch, besonders bei den Menschen, die in Vierteln ohne einen Balkon oder Garten leben und die mehr oder weniger in ihren Wohnungen gefangen sind – besonders die Kinder.

„Draußen vor drinnen ist ganz zentral. Draußen ist sicherer“, pflichtet Katrin Göring-Eckardt ihm bei. (mie, jba, mit dpa)