Desinfizieren? Waschen?Etwas anderes könnte im Corona-Alltag viel wichtiger sein

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Christian Drosten, Virologe des Instituts für Virologie der Charité, spricht im März bei einer Pressekonferenz zum Nationalen Forschungsbündnis der Universitätsmedizin im Kampf gegen Covid-19. Er meint: Regelmäßiges Lüften könne das Risiko einer Aerosol-Übertragung verringern.

von Martin Gätke (mg)

Berlin/Köln – Eine Baptistengemeinde in Frankfurt am Main, ein Restaurant in Leer (hier lesen Sie mehr), ein Schlachthof in den Niederlanden an der Grenze zu Deutschland (hier lesen Sie mehr) – das sind die Orte, die derzeit zu neuen Corona-Hotspots werden. Am Wochenende sind zahlreiche neue Ausbrüche bekannt geworden.

Orte, die zeigen, wie bedeutend die Aerosol-Übertragung bei SARS-CoV-2 ist, also die Übertragung über Schwebeteilchen, die länger in der Luft herumfliegen. „Langsam zeigen sich die Auswirkungen“, sagt Christian Drosten in einem Interview im „Deutschlandfunk“.

Deshalb müsse genau diese Aerosol-Übertragung viel stärker in den Blick genommen werden. Lassen sich solche Infektionsherde in Zukunft effektiver vermeiden?

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Nach und nach mehre sich der Eindruck, „dass wir zusätzlich zur Tröpfcheninfektion auch eine deutliche Komponente von Aerosol-Infektionen haben“, erklärt Christian Drosten im Interview. Nicht nur aus den Einzelbeobachtungen der letzten Tage, sondern auch aus der Literatur.

Virologe Christian Drosten: „Raumluft muss bewegt werden”

„Wenn es denn so ist, dass ein Virus in der Raumluft steht, dann muss diese Raumluft natürlich bewegt werden und herausbefördert werden“, erklärt der Wissenschaftler. „Das heißt, man macht das Fenster auf, setzt da einen großen Ventilator rein, der die Luft nach draußen bläst, und macht die Tür einen Spalt auf.“ So könne der Raum entlüftet, die Aerosolkomponente verringert werden.

Dieses Lüften hält Drosten daher inzwischen sogar für wichtiger als Händewaschen und Desinfizieren. „Hier will ich mal vorsichtig sagen: Vielleicht wenn man einen Bereich zu Gunsten eines anderen Bereichs unterbetonen will und da mal lieber ein bisschen weniger drauf achten will und weniger investieren, dann wäre das wirklich dieser Desinfektionsmittel-Bereich im Alltag.“

Virologe Drosten: „Im Alltag eher aufs Lüften konzentrieren als auf das ständige Desinfizieren”

Auf keinen Fall im Krankenhaus, wie er betont. „Aber im Alltag sollte man sich eher vielleicht aufs Lüften konzentrieren und weniger auf das ständige Wischen und Desinfizieren.“

Vor kurzem hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) entschieden, einen großen Teil der Corona-Maßnahmen aufzuheben. Er hatte angekündigt, ab 6. Juni landesweit auf Corona-Schutzvorschriften zu verzichten. Und überlässt vieles der Verantwortung der Bürger – ähnlich wie es zum Beispiel Schweden tut. Und dafür eine hohe Zahl an Toten in Kauf nimmt. Auch Sachsen hat nun einen Strategiewechsel angekündigt.

Virologe Christian Drosten für mehr Diagnostik in Schulen

Die sehr hohe Übersterblichkeit in Schweden, so prognostiziert Drosten, werden wir in den nächsten Monaten verstärkt sehen. „Ich glaube, wir brauchen bessere Richtlinienwerke für bestimmte ganz wichtige gesellschaftliche Bereiche wie zum Beispiel die Schulen und die Kindertagesstätten und Kindergärten“, so der Wissenschaftler.

Es gebe bisher keine Hinweise darauf, dass Kinder weniger infektiös oder anfällig für das Virus seien, auch wenn das oft so kommuniziert werde. Grundsätzlich sprach sich Drosten für eine Aufnahme der Betreuung in Kitas aus, plädierte aber für mehr Diagnostik in Schulen. (mg)