Der verräterische Pakt mit HitlerSowjet-General Wlassow wechselte die Seiten

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General Andrej A. Wlassow (l.) zu Besuch bei der Heeresgruppe Nord, 1943.

von Maternus Hilger (hil)

Berlin – Wenn Russen über Verräter schimpfen, fällt meist der Name Wlassow. So hieß der hochdekorierte General der Roten Armee, der im Zweiten Weltkrieg die Fronten wechselte und an der Seite der Nazis gegen Stalin kämpfte.

Andrej Andrejewitsch Wlassow war der ranghöchste sowjetische Offizier, der je zu Hitler überlief – entschlossen, Russland von der Herrschaft Stalins zu befreien. Sein Wechsel von dem roten Teufel in Moskau zu dem braunen in Berlin machte ihn zu einer tragischen Figur – und bis heute zu einem der meistgehassten Menschen in Russland.

Andrej Wlassow: Vom Bauernsohn zum General

Der 1901 geborene Bauernsohn galt als Mustersoldat, der sich 1919 der Roten Armee angeschlossen und sich im Bürgerkrieg bewährt hatte. Seitdem war der Hüne in der Militärhierarchie immer höher gestiegen – ein überzeugter Bolschewik zudem, der mit Orden überhäuft wurde.

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Die „Säuberungsaktionen“ Stalins, die auch Tausenden seiner Kameraden bei der Armee das Leben kostete, überlebte er unbeschadet.

Wlassow war der „Held von Moskau“

Wie man heute weiß, war er sogar Mitglied eines Militärgerichtshofes, der Jagd auf die vermeintlichen „Konterrevolutionäre“ machte, die Stalin für vogelfrei erklärt hatte.

Seine große Stunde schlug, als Hitlers Armeen 1941 in der Sowjetunion einfielen. Während der Schlacht um Moskau gelang es Wlassow als erstem russischen General, deutsche Truppen aufzuhalten und eine Gegenoffensive zu starten.

Doch das Kriegsglück des als „Helden von Moskau“ gefeierten und zum Generalleutnant beförderten Wlassow währte nicht lange.

Wlassow kam als Gefangener nach Deutschland

Im Frühjahr 1942 wurde seine Armee bei einem Vorstoß von deutschen Truppen eingekesselt. Einen Ausbruch genehmigte Stalin viel zu spät. Zehntausende fielen – oder verhungerten mangels Nachschub. Die Überlebenden mussten sich Ende Juni 1942 ergeben.

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Sowjet-Diktator Josef Stalin (1878-1953).

Wlassow selbst konnte sich noch fast zwei Wochen lang verstecken, bis er am 12. Juli 1942 von deutschen Soldaten gefangen genommen und nach Deutschland gebracht wurde. Dieses Schlüsselerlebnis machte ihn zu einem erbitterten Feind Stalins, weil dieser nichts unternommen hatte, um seine Soldaten zu retten.

Rotarmisten wollten Russland befreien

Schon bald bot Wlassow an, mit gefangenen Rotarmisten eine Armee aufzubauen, die an der Seite der Wehrmacht für die Befreiung Russlands kämpfen würde. Während hohe Militärs offen Sympathie für das Angebot des Abtrünnigen zeigten, blieb Hitler reserviert.

Russland befreien, das kam für ihn nicht infrage, er wollte es vernichten – und die Überlebenden zu Sklaven der „arischen Herrenrasse“ machen. Wie alle Slawen war Wlassow in den Augen des Diktators nur ein „Untermensch“.

Wlassow-Truppe einst aus Freiwilligen rekrutiert

Das war Stalins einstigem Vorzeige-General sehr wohl bewusst, doch er hielt an seiner Mission fest. Hitler aber änderte seine Meinung erst, als sich die Niederlagen der deutschen Truppen und ihre Verluste häuften.

Im Herbst 1944 begann die Rekrutierung für die Wlassow-Truppe – vorwiegend unter sowjetischen Kriegsgefangenen. Tausende meldeten sich freiwillig, wahrscheinlich weil sie nichts mehr zu verlieren hatten. Das Risiko, in den Lagern an Hunger oder Krankheiten qualvoll zu sterben, war groß.

Die Angst vor Stalin war groß

Jeder fürchtete zudem Stalins Rache. Längst hatten Nachrichten die Runde gemacht, dass der „rote Zar“ nur Verachtung übrig hatte für Landsleute, die sich hatten gefangen nehmen lassen – statt fürs Vaterland zu sterben.

Selbst für seinen eigenen Sohn Jakow, der am 16. Juli 1941 in deutsche Gefangenschaft geraten war, hatte der kaltherzige Stalin keinen Finger gerührt.

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Ein Austausch kam für ihn nicht infrage. Am Abend des 14. April 1943 starb Jakow im KZ Sachsenhausen, als er in den elektrisch geladenen Lagerzaun rannte. Ob er durch Schüsse der Wachposten oder durch einen Stromschlag starb, ist nicht mit letzter Gewissheit geklärt.

Wlassow übernahm Befreiungsarmee „Russkaja Oswoboditelnaja Armija“

Am 10. Februar 1945 war es soweit: Wlassow übernahm in Münsingen auf der Schwäbischen Alb offiziell den Oberbefehl über die neue russische Befreiungsarmee „Russkaja Oswoboditelnaja Armija“ (ROA).

Zum Zeitpunkt der Gründung hatte sie eine Truppenstärke von rund 50.000 Mann. Bis zum Ende des Krieges wuchs sie auf etwa 120.000 an – verstärkt durch andere Verbände, die mit den Deutschen kollaborierten, wie z. B. die Kosaken.

Wlassows Generalmajor wechselte erneut die Fronten

Eingesetzt wurden die Soldaten sowohl an der Ost – als auch an der Westfront. Doch das Blatt wenden konnten auch sie nicht mehr – geschweige denn, Stalin ernsthaft in Verlegenheit bringen.

Meist als Kanonenfutter verheizt, kämpften sie auf verlorenem Posten. Einer von Wlassows Kommandeuren, der im Raum Prag operierende Generalmajor Sergej Bunjatschenko wechselte sogar noch einmal die Fronten. Seine Soldaten kämpften beim Prager Aufstand gegen die deutschen Besatzer.

Nach Kapitulation von Nazi-Deutschland: Rette sich, wer kann

Nach der Kapitulation von Nazi-Deutschland am 8. Mai 1945 hieß es nur noch: Rette sich, wer kann. Wo immer es möglich war, versuchten sich die Reste der ROA zu den Amerikanern durchzuschlagen.

Doch das half ihnen nichts – auch Wlassow nicht. Nach einem Gespräch mit einem US-Kommandeur fiel er am 12. Mai den Sowjets in die Hände – möglicherweise arrangiert von den Amerikanern.

Wie Wlassow wurden nach Kriegsende die von den Westalliierten gefangenen Angehörigen der ROA und anderer russischer Truppenverbände wie auch befreite sowjetische Kriegsgefangene und Zivilisten an die Sowjets ausgeliefert – auf Grund einer mit Stalin getroffenen Übereinkunft. Wohl wissend, was diesen Menschen in ihrer Heimat drohte.

Stalin rächte sich an den Verrätern

Stalins Rache war furchtbar. Zehntausende wurden erschossen, gelyncht oder verschwanden für Jahrzehnte im Gulag. Wlassow wurde am 30. Juli 1946 in Moskau der Prozess gemacht. Er endete mit dem Todesurteil. Am 1. August 1946 wurde der General als Verräter in Moskau gehängt – ebenso wie Bunjatschenko und weitere hohe ROA-Offiziere.

Auch im Russland von heute, in dem die Erinnerung an den Stalin-Terror immer mehr verblasst, die Erinnerung an den „Sieg im Großen Vaterländischen Krieg“ über Hitler-Deutschland aber stets präsent ist, ist und bleibt Wlassow ein Verräter, für den es auch 75 Jahre nach Kriegsende keine Rehabilitierung gibt.