Rekord-Event abgesagtWegen Corona: der Super-GAU von Oberammergau

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So hätte es eigentlich ab dem 16. Mai in Oberammergau ausgesehen auf der Bühne.

Oberammergau – Ostern ist das zentrale Thema der Passionsspiele in Oberammergau. Seit 1634. Alle zehn Jahre. Dann wird das Leiden und die Auferstehung Jesu in dem kleinen bayerischen Dorf dargestellt.

Auch dieses Jahr wäre es soweit gewesen, ab dem 16. Mai bis zum 4. Oktober. 500.000 Besucher, 2400 Darsteller. Aber Corona macht auch das weltweit größte Theaterereignis zunichte. Die Passion wurde auf 2022 verschoben.

Was macht das mit den Verantwortlichen? Wir haben Christian Stückl (58) gefragt, der seit 1990 Regie in Oberammergau führt.

Passionsspiele in Oberammergau: Letzte Probe Anfang März

„Wir hatten am 8. März die letzte große Probe mit 300 Leuten. Mir war da schon schwummrig, weil ich die Infektionszahlen aus Italien kannte. Ich hab’ dran gedacht, dass auf der Bühne auch Kinder und alte Menschen stehen – manche sind 90. Da habe ich gesagt: Wir brauchen eine Gemeinderatssitzung, ehe wir weitermachen.“

Schnell ist dann klar: Weitermachen macht keinen Sinn. „Stellen Sie sich vor: Pro Vorstellung sitzen 4500 Menschen in unserem Theater. Ich war einerseits erleichtert, als das Aus endgültig feststand. Andererseits hat es mir schon die Tränen rausgedrückt.“

Passionsspiele: So aufwendig sind die Vorbereitungen

Verständlich. Zwei Jahre lang werden die Passionsspiele in Oberammergau vorbereitet. Es wird geprobt, gebaut, geschneidert, musiziert. Jetzt geht es erst in zwei Jahren auf die Bühne. 450.000 bereits verkaufte Tickets müssen rückabgewickelt werden.

Allein 200.000 Besucher kommen aus dem Ausland. Dann müssen die Passionsspiele auch noch erneut beworben werden. Das hat eine Verschiebung um nur ein Jahr unmöglich gemacht.

Passionsspiele in Oberammergau finden nur alle zehn Jahre statt

Das Gelübde besagt, dass die Passion alle zehn Jahre stattfinden soll. Aber: Es gab schon einmal eine Ausnahme – kurioserweise genau vor 100 Jahren! „Grund war die Spanische Grippe!“, erklärt uns Christian Stückl.

Was bedeutet die Verschiebung für den Regisseur persönlich? „Ich bin in meinem anderen Leben auch noch Leiter des Münchner Volkstheaters. Auch da können wir zurzeit nicht spielen. Es ist für mich eine ganz eigenartige Situation. Ich kann nichts planen. Da tröstet mich der Spruch: »Worüber lacht Gott? Über Planung«.“

Passionsspiele in Oberammergau: Ort eigentlich ausgebucht

Ist eine Großveranstaltung wie die Passionsspiele gegen einen Ausfall versichert? „Ja“, sagt Christian Stückl. „Aber einen Ausfall bekommen wir nicht bezahlt, weil wir ja nur verschieben. Was wir vermutlich ersetzt bekommen, sind die Mehrkosten, die uns durch die Neuansetzung 2022 entstehen.

Viel härter wird es aber die Gastronomie von Oberammergau und Umgebung treffen. Die Hotels waren bis Oktober komplett ausgebucht, jetzt ist da keine einzige Reservierung mehr in den Büchern. Da sind ganze Existenzen bedroht!“

Passionsspiele: Das Ensemble soll bis 2022 gleich bleiben

Und was ist mit den Darstellern? Werden es in zwei Jahren die gleichen sein, die auf der Bühne stehen? „Von meiner Seite aus bleibt es bei dem Ensemble. Es sei denn, einer sagt, er könne aus beruflichen Gründen nicht mitwirken.“

Mit dabei wird dann also auch Cengiz Görür sein, ein Muslim, der den Judas spielt. Daran gab’s im Vorfeld Kritik. „Nicht aus dem Dorf heraus. Der Cengiz spielt bei mir schon Theater, seit er 14 ist, der ist einer meiner besten Schauspieler. Er ist im Dorf fest integriert. Die Kritik kam mehr von außen“, sagt Stückl.

Ist für ihn, den kritischen, aber durchaus gläubigen Katholiken die Corona-Krise eine Strafe Gottes? „Dieses Gottesbild hatte ich nie. Ich kann und will nicht an einen Gott glauben, der mit einem Salzstreuer im Himmel sitzt und dann die Menschen, wenn sie böse waren, bestraft. Das wäre schon ein komischer Gott.“

Immenser Aufwand in einem kleinen bayrischen Dorf

  • Zum ersten Mal wurde das Passionsspiel 1634 in Oberammergau als Einlösung eines Versprechens nach der überstandenen Pest aufgeführt.
  • Seit 1680 gilt der zehnjährige Rhythmus. Extra-Spielzeiten gab es 1934 und 1984 zur 300. und 350. Wiederkehr der ersten Aufführung.
  • 103 Vorstellungen waren für 2020 geplant, die Aufführungen dauern fünf Stunden plus dreistündige Pause.
  • Erzählt wird die Geschichte vom Einzug in Jerusalem über das Abendmahl und die Kreuzigung bis hin zur Auferstehung Jesu.
  • Neben den großen Hauptfiguren Jesus, Maria, Petrus, Judas, Pontius Pilatus und Kaihas gibt es 120 größere und kleinere Sprechrollen.
  • Insgesamt sind 2400 Darsteller am Werk, darunter 500 Kinder. Hinzu kommen Chor - und Orchestermitwirkende. Alle sind in Oberammergau geboren oder leben seit mindestens 20 Jahren dort.
  • Die 21 Hauptrollen sind immer doppelt besetzt, die Darsteller teilen sich die Aufführungen. Wer bei der Premiere spielen darf, entscheidet das Los, der andere bekommt die letzte Aufführung
  • Seit Aschermittwoch haben sich alle Darsteller die Haare wachsen lassen, die Männer auch die Bärte.
  • Der neue Premierentermin ist der 14. Mai 2022, Infos und Karten gibt es unter