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75 Jahre KriegsendeGünter Lucks: Vom Hitlerjungen zum Mahner gegen den Krieg

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Günter Lucks mit einem Foto seines Bruders Hermann, der im Hamburger Feuersturm im Juli 1943 starb. Das Bild wurde im Krieg durch ein Geschoss beschädigt, während Günter Lucks es in seiner Brusttasche trug.

Hamburg – Es gibt nur noch wenige wie ihn. Zeitzeugen, die das erlebt haben, was wir in dieser Woche gefeiert haben: Das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa am 8. Mai 1945. Günter Lucks (91) war alt genug, um sich als „Kindersoldat“ freiwillig zu melden.

Aber viel zu jung, um zu wissen, was das bedeutet. Er ist heute zu einem ständigen Mahner gegen den Krieg geworden. Einer, den die Ereignisse vor über 75 Jahren nicht loslassen.

Günter Lucks: In seinen Träumen kehren die Toten zurück

In seinen Träumen kehren die Toten oft zurück: Dann ist Günter Lucks wieder der 14-jährige Junge, der im Keller seines Mietshauses in Hamburg sitzt, während da draußen das Wummern der deutschen 8,8-Zentimeter-Flak verstummt und die Bomben fallen. Er kann sich genau daran erinnern, wie es klingt.

Das kaum wahrnehmbare Klacken der Stabbrandbomben, die zu Tausenden auf die östlichen Stadtteile der Hansestadt niederregnen. An das von wahren „Beben“ begleitete Aufschlagen der schweren „Blockbuster“ – der Luftminen, die ganze Häuserfassaden wegfetzen.

Die Erinnerung an den Tod von Bruder Hermann quält ihn

Es ist wieder da, das Wimmern der anderen Kinder, die sich an ihre Eltern krallen im dunklen Keller. Diese Szene stammt aus der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943. Vor allem ist es die Szene, die Günter Lucks sein Leben lang immer wieder durchleidet, in seinen Erinnerungen in Endlosschleife: Hermann, sein Bruder, ein Jahr älter, hat den „Lütten“ eben vom brennenden Dachgeschoss des Hauses heruntergetragen.

Dort hatten sie versucht, eines der Feuer zu löschen. So wie sie es in Schule und Hitlerjugend gelernt hatten. Mit „Feuerpatschen“, an Stielen befestigten Lappen, gehen sie gegen die vom Phosphor der Stabbrandbomben entfachten Brände vor. „Es war sinnlos, als wollte man einen Waldbrand mit einer Gießkanne löschen“, sagt Lucks.

Fatale Entscheidung: Hilfesuche endet tödlich

Das Letzte, an was er sich erinnern kann, ist diese brennende Bretterwand, die ihn unter sich begräbt. Er spürt, wie das brennende Holz den Gummiüberzug seiner „Volksgasmaske“ verflüssigte.

Seine Erinnerung setzt wieder ein, da liegt er auf den Steinstufen im Erdgeschoss. Bruder Hermann hockt über ihm. Er sieht ins Gesicht seines Bruders, der einzigen Bezugsperson (Vater im Krieg, die Mutter lebt vorübergehend in Brünn).

Dann kommt Hermann auf die verhängnisvolle Idee, Hilfe zu holen. Die Tante wohnt ja in der Nähe. „Ich komme ja gleich wieder“, sagt er, „bleib hier liegen“.

Der „Feuersturm“ nahm Günter Lucks die Bezugsperson

Günter Lucks kann nicht sagen, wie oft er diese Minuten bis heute durchlebt hat. Er hätte Hermann festhalten sollen, selbst um den Preis von Prügel. Doch er bringt nicht mehr als ein schwaches „Bitte bleib hier…“ hervor. Dann verschwindet Hermann in die Hamburger Nacht.

Der „Feuersturm“ draußen verschlingt ihn. Günter sieht Hermann nie wieder. Schätzungsweise 34.000 Menschen fallen den sich über zehn Tage hinstreckenden vier Groß- und mehreren kleineren Angriffen zum Opfer.

Die Eltern waren glühende Kommunisten

In seinen ersten 20 Lebensjahren hat Günter Lucks Dinge erlebt, die reichen für drei Leben: Aufgewachsen bei kommunistischen Eltern, Außenseiter im Dritten Reich, er wollte aber dazugehören und ging deshalb zur Hitlerjugend. Lucks wird schon als Kind zu einem Suchenden zwischen den extremen Ideologien.

Nach den tragischen Erlebnissen in den Hamburger Bombennächten trifft er die verhängnisvolle Entscheidung, sich mit 16 freiwillig in den Krieg zu melden. „Ich glaubte daran, dass das Vaterland in Gefahr war und es auf mich ankäme – so weit hatte die Nazi-Erziehung schon gewirkt“, sagt er heute.

Kinder in den Krieg geschickt, der längst verloren war

Nach einer kurzen militärischen Ausbildung wird er zusammen mit mehreren tausend Gleichaltrigen von der Waffen-SS einkassiert. Unzureichend bewaffnet, mit viel zu großen Uniformen, schickt man die „Kinderarmee“ gegen die anrückende Rote Armee ins Weinviertel in Niederösterreich.

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Viele der Jungen wollen desertieren, die meisten werden erwischt und als „Verräter“ aufgeknüpft. Wer dabei bleibt, hat kaum höhere Überlebenschancen. Lucks überlebt schwer verwundet – und gerät in sowjetische Gefangenschaft. Eine fast viereinhalbjährige Odyssee durch verschiedene Gefangenenlager schließt sich an, bis er 1950 entlassen wird.

Kriegserlebnisse: Aufarbeitung musste sein

Die Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend – sie ruhen in ihm, selten spricht er damals darüber. „Damals verstand niemand, dass man Mitglied der Waffen-SS gewesen sein konnte und gleichzeitig ein Opfer war“, sagt er. Die Zeit war nicht reif für Grautöne.

Aber etwas gärt ihn ihm, das bewältigt werden muss. Er fängt an zu schreiben. Erst für sich selbst. „Ich war erstaunt, was da alles hoch kam“, sagt Lucks. Inzwischen sind vier Bücher daraus geworden. Als Zeitzeuge besucht er Schulen und gestaltet Geschichtsstunden.

„Es rührt mich, wenn junge Menschen, die auf den ersten Blick nicht aussehen, als würden sie sich für Geschichte interessieren, plötzlich fasziniert Fragen stellen“, sagt Lucks. „In diesen Augenblicken denke ich, dass all die schlimmen Dinge, die wir erleben mussten, am Ende vielleicht doch einen Sinn gehabt haben. Nämlich den, dass wir vielleicht doch die letzte Generation in diesem Land sind, die einen Krieg erleben musste.“

Das ist Günter Lucks: Gefangen zwischen den Ideologien

Günter Lucks, Jahrgang 1928, wuchs in einer streng kommunistischen Familie auf. Später war er ein stolzer Hitlerjunge, kämpfte in den letzten Tagen des Krieges als 16-Jähriger an der Front in Österreich.

Nach dem Krieg kehrte er 1950 nach Hamburg zurück, fand zurück zu seinen kommunistischen Wurzeln. Er siedelte kurzzeitig in die DDR über, kehrte jedoch tief enttäuscht und desillusioniert nach Hamburg zurück. Bis 1955 war er bei der Post tätig. Danach arbeitete er im Grafik-Gewerbe.

2010 veröffentlichte er sein erstes Buch „Ich war Hitlers letztes Aufgebot“ (zusammen mit dem Journalisten Harald Stutte, erschienen im Rowohlt-Verlag). „Hitlers vergessene Kinderarmee“ (2014) und „Der rote Hitlerjunge“ (2015). folgten. Das aktuelle Buch „Zehn Tage im Juli“ ist Lucks’ viertes Werk.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa

Vor 75 Jahren endete am 8. Mai 1945 zumindest in Europa der tödlichste militärische Konflikt der Menschheitsgeschichte, den das Nazi-Regime angezettelt hatte.

Opfer: Der Krieg in Europa und Asien kostete nach Schätzungen zwischen 55 und mehr als 60 Millionen Menschen das Leben, die meisten davon waren Zivilisten. Zu den Opfern gehören auch die sechs Millionen von den Nazis ermordete Juden.

Kriegsgefangene: Nach Kriegsende waren rund 11 Millionen deutsche Soldaten in Gefangenschaft. Aus sowjetischen Lagern kehrten nur zwei Millionen von 3,3 Millionen zurück, die letzten im Jahr 1956.

Flüchtlinge: Vor und nach Kriegsende suchten an die 12 Millionen Menschen aus den östlichen Reichs- und Siedlungsgebieten eine neue Heimat oder wurden vertrieben.

Gebietsverluste: Deutschland verlor 114.000 Quadratkilometer oder 24 Prozent seines Staatsgebietes.

Kriegsschäden: Mit Kriegsende war Deutschland ein Trümmerfeld: Nahezu fünf Millionen zerstörte oder schwer beschädigte Wohnungen – vor allem in den großen und größeren Städten – zerbombte Fabriken und Verkehrswege.

Das endgültige Ende: In Asien tobte der Zweite Weltkrieg noch Monate weiter. Nach den Atombombenabwürfen der USA auf Hiroshima (6. August) und Nagasaki (9. August) beendete die Kapitulation Japans den Zweiten Weltkrieg dann endgültig am 2. September 1945.