Im Kalten KriegGlienicker Brücke wurde als „Agentenbrücke“ weltberühmt

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Endlich frei: Anatoli Schtscharanski (mit Pelzmütze) wird von US-Botschafter Richard Burt (r. neben ihm) begrüßt. 

von Maternus Hilger (hil)

Berlin – Sie ist eines der berühmtesten Symbole des Kalten Krieges und der geteilten Stadt Berlin: die Glienicker Brücke über der Havel. Bis zum Fall der Mauer war die „Agentenbrücke“ oder auch „Bridge of Spies“ („Brücke der Spione“) gleich dreimal Schauplatz spektakulärer Agentenaustausche zwischen Ost und West. Der letzte ging vor 35 Jahren, am 11. Februar 1986, über die Bühne. Szenen wie aus dem Drehbuch eines perfekt inszenierten Agententhrillers.

  • Glienicker Brücke war lange für die Öffentlichkeit gesperrt
  • Ort für Agentenaustausch zwischen DDR und BRD
  • Schauplatz für Hollywood-Blockbuster von Steven Spielberg

Genau in der Mitte der 128 Meter langen Stahlkonstruktion markiert ein weißer Strich die Grenze zwischen der DDR und dem US- Sektor. Die Verbindung zwischen West-Berlin und Potsdam ist der ideale Ort für den Austausch von Spionen. Denn die „Brücke der Einheit“, so heißt sie zu DDR-Zeiten, ist für den normalen Grenzverkehr gesperrt.

Medienrummel an der Glienicker Brücke

Es ist der 11. Februar 1986 – ein eiskalter Wintertag. Auf der Westberliner Seite der Brücke drängt sich ein riesiges Medienaufgebot aus aller Welt – die Kameras gen Osten gerichtet. Mittendrin nervöse Geheimdienstler, US-Botschafter Richard Burt (74) und Behördenvertreter.

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Es liegt knisternde Spannung in der Luft. Längst ist bekannt geworden, dass an diesem Tag vier West-Agenten oder solche, die man zu Unrecht der Spionage verdächtigt hat, gegen fünf Ost-Spione freigelassen werden sollen. Der bekannteste ist Anatoli Schtscharanski, ein in der Sowjetunion verfolgter jüdischer Bürgerrechtler, dessen Schicksal seine nach Israel ausgewanderte Frau Avital weltweit publik gemacht hatte.

Wegen „antisowjetischer Agitation“ und „Landesverrats“ ist er 1978 zu 13 Jahren Zwangsarbeit in einem sibirischen Lager verurteilt worden. Sein „Vergehen“: Er hatte auf die Situation der unterdrückten Juden aufmerksam gemacht. Um 10.42 Uhr ist es soweit. Schtscharanski überschreitet mit einer Pelzmütze auf dem Kopf als erster die Grenzlinie auf der Brücke. Auf der anderen Seite wartet auch seine Frau, die er überglücklich umarmt.

Agentenaustausch an der Glienicker Brücke: DDR-Anwalt zieht Fäden

Ein Schauspiel, das sich Zug um Zug wiederholt, bis alle die Seiten gewechselt haben. Dem Austausch vorausgegangen war ein zäher Poker zwischen Ost und West, bei dem DDR-Anwalt Wolfgang Vogel, Erich Honeckers Vertrauter und Mann für heikle Missionen, eine zentrale Rolle spielte.

Die 2008 im Alter von 82 Jahren gestorbene Graue Eminenz des „Arbeiter- und Bauernstaates“ ist es auch, die mit US-Botschafter Richard Burt die Freigelassenen über die Brücke begleitet, auf der ihr goldfarbener Mercedes parkt. Immer, wenn es um den Austausch von Spionen oder Ausreisewillige geht, handelt Vogel mit dem Westen die Konditionen und vor allem den Preis aus. Eine humanitäre Geste ist das beileibe nicht. Die stets klamme DDR lässt sich ihre Großzügigkeit mit Zahlung hoher Freikauf-Devisen honorieren.

Die Fäden zieht Vogel auch bei den beiden anderen spektakulären Agenten-Deals auf der Glienicker Brücke – so am 10. Februar 1962, als der in der UdSSR wegen Spionage zu zehn Jahren Haft verurteilte US-Pilot Francis Gary Powers (47) gegen Oberst Rudolf Iwanowitsch Abel (68), einen Topagenten der Sowjets in den USA, ausgetauscht wird.

Glienicker Brücke: Schauplatz für Film mit Tom Hanks

Powers war 1960 bei einem Spionageflug mit der Lockheed-U-2 in 20000 Metern Höhe durch russische Raketen abgeschossen worden – und hatte sich mit seinem Fallschirm retten können.

Abel war bereits 1957 in den USA enttarnt und zu 30 Jahren Haft verurteilt worden. Diesen Thriller aus dem realen Agentenleben bringt Regisseur Steven Spielberg (74) im Jahr 2015 mit „Bridge of Spies“ auf die Leinwand – mit Tom Hanks (64) als New Yorker Anwalt James B. Donovan und Sebastian Koch (58) in der Rolle des Wolfgang Vogel. Er erzählt den Powers-Krimi bis zur Übergabe auf der Glienicker Brücke. Die Schlüsselszene wird 2014 am Originalschauplatz in Berlin gedreht.

Sogar Kanzlerin Angela Merkel (66) schaut am Set vorbei. Auch Bestsellerautor John le Carré (1931-2020) schätzte den Mythos der Brücke. In der Verfilmung seines Romans „Der Spion, der aus der Kälte kam“ taucht sie schemenhaft auf.

23 Jahre später sollen sich die Geheimdienste wieder auf der berühmten Brücke treffen. 23 in der DDR und Polen inhaftierte CIA-Spione sowie vier im Westen enttarnte Ost-Agenten wechseln am 11. Juni 1985 die Seiten.

Glienicker Brücke nach Wiedervereinigung wieder offen

Drei Jahre nach dem letzten Austausch 1986 ist die DDR Geschichte. Nur einen Tag nach dem Mauerfall, am 10. November 1989, ist die Brücke wieder für alle offen. Schtscharanski wanderte übrigens nach Israel aus, wo er seinen Namen in Natan Scharanski änderte.

1995 gründete er eine Partei, die sich für eingewanderte sowjetische Juden einsetzte. Mehrmals war er Minister. Aus der Politik zog sich der heute 73-Jährige im Jahr 2006 zurück.