Corona-Shutdown beenden14 Experten sagen, wie es klappen könnte

Köln – Wie sieht die Exit-Strategie des Corona-Shutdowns aus? Eine deutsche Expertengruppe hat hierzu jetzt ein Positionspapier veröffentlicht. Ergebnis: Es geht nur Schritt für Schritt.

Oberste Prämisse der 14 Forscheraus diversen Bereichen (siehe Textende) ist, die derzeitigen Einschränkungen differenziert und unter kontinuierlicher Abwägung der Risiken nach und nach zu lockern.

Im Klartext: die Beschränkungen in der Gesellschaft und Wirtschaft lockern, ohne parallel für eine Überlastung des deutschen Gesundheitssystems zu sorgen.

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„Die aktuellen Beschränkungen sind sinnvoll und zeigen erste Wirkung“, sagt Martin Lohse (Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte), der gemeinsam mit Clemens Fuest (Chef des Münchner Ifo-Instituts) die Arbeit koordiniert hat.

Coronavirus: Ein Shutdown ist keine langfristige Lösung

Allerdings hätten die Maßnahmen neben hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten auch gravierende medizinische Folgen, etwa für Patienten mit anderen schweren Erkrankungen. Lohse: „Weil wir damit rechnen müssen, dass die Pandemie uns noch viele Monate beschäftigt und letztlich nur unser Immunsystem uns schützen kann, brauchen wir eine flexible, nach Risiken gestaffelte Strategie – ein genereller Shutdown ist keine langfristige Lösung.“

Auszüge aus dem Positionspapier zu folgenden Themen:

Notwendigkeit der derzeitigen Einschränkungen: Würden die aktuellen Einschränkungen vollständig aufgehoben, könnte sich das weiterhin in Deutschland vorhandene Virus in der weitgehend nicht immunen Bevölkerung erneut sehr rasch ausbreiten und eine große Zahl schwerer Erkrankungen verursachen. Dies muss unterbunden werden. Klar müsse sein, dass eine Rückkehr zur Normalität nur langfristig und mit großen Anstrengungen und Kosten erreicht werden könne.

Impfschutz: Voraussichtlich steht ein wirksamer Impfstoff oder eine breit anwendbare Therapie nicht vor 2021 zur Verfügung. Das Coronavirus wird die Menschheit also noch bis weit ins nächste Jahr beschäftigen. Der Umgang mit Sars-CoV-2 gleiche daher eher einem Marathon als einem Sprint.

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Beibehaltung der derzeitigen Einschränkungen: Im Positionspapier heißt es: „Deswegen empfehlen wir den schrittweisen Übergang zu einer am jeweils aktuellen Risiko orientierten Strategie, die eine Lockerung von Beschränkungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld mit weiterhin effektivem Gesundheitsschutz verbindet.“

Patienten mit Coronavirus dürfen nicht bevorzugt werden

Medizinische Kosten: Die aktuellen Regelungen bedeuten eine deutliche Einschränkung der medizinischen Versorgung aller Nicht-COVID-19-Patienten. Eine einseitige Bevorzugung der COVID-19-Patienten im Gesundheitssystem lehnen die Experten ab, da Patienten mit anderen Krankheitsbildern zu stark darunter leiden würden. Es könne daher „nur ein gewisser, ggf. der Lage anzupassender Prozentsatz der Ressourcen des Gesundheitssystems für die Versorgung von COVID-19-Fällen reserviert“ werden.

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Vulnerable Gruppen: Menschen mit Vorerkrankungen sind besonders gefährdet, einen schweren Verlauf von COVID-19 zu erleiden. Insbesondere bei Diabetes, Nierenerkrankungen und chronischer Herzschwäche sowie Raucher. Ein weiterer Risikofaktor scheint Übergewicht zu sein. Allgemein gelten Menschen über 65 Jahre als gefährdet und aus unbekannten Gründen vor allem Männer.

Corona-Krise kostet bis zu 260 Mrd. Euro

Wirtschaftlichen Kosten: Die Studie schätzt die Kosten für einen einmonatigen Shutdown und danach schrittweiser Erholung der Wirtschaft zwischen 4,3 und 7,5 Prozent des BIP (ca. 150-260 Mrd. Euro). Die Verlängerung um eine Woche würde die Kosten um 0,7-1,6 Prozent des BIP (25-57 Mrd. Euro) steigern. Es drohen Arbeitsplatzverluste und ein starker Anstieg von Kurzarbeit. Im besten (schlechtesten) Szenario gehen 160.000 (1,81 Millionen) sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und 180.000 (780.000) Minijobs verloren, zusätzlich wären 2,1 Millionen Beschäftigte (6,6 Millionen) von Kurzarbeit betroffen.

Soziale und psychische Kosten: Je länger der Shutdown, desto schlimmer die negativen Konsequenzen. Negative Emotionen wie Ärger, Angst/Furcht oder Einsamkeitsgefühle könnten zunehmen. Konflikte zwischen Partnern können sich intensivieren und bis zu häuslicher Gewalt eskalieren. Abhängigkeiten von Alkohol und Drogen können sich verstärken. Ängste und Einsamkeitsgefühle können zu Depressionen bis hin zu suizidalen Gedanken führen.

Sars-CoV-2: Forscher empfehlen quasi eine Maskenpflicht

Infektionsschutz: Die Experten schlagen vor, dass die Menschen deutlich mehr Mund-Nasenschutz-Masken tragen sollten, da sich die Verbreitung des Erregers „wahrscheinlich wirksam eingedämmt werden“ kann. Die Forscher empfehlen quasi eine Maskenpflicht. Die Produktion und die Verteilung der Masken müsse daher verstärkt werden. Einrichtungen des Gesundheitswesens sowie Pflege- und Altenheime müssten zudem mit ausreichend Schutzkleidung ausgestattet werden. Hygieneempfehlungen seien ohnehin für die gesamte Bevölkerung obligatorisch.

Coronavirus: Viel mehr Tests notwendig, auch auf Antikörper

Tests und Testkapazität: Die vorhandene Testkapazität müsse stark ausgeweitet werden. Hierzu ist ein Vorschlag, mehr Abstrich-Möglichkeiten zu schaffen. Zum Beispiel bei Tierärzten oder Forschungseinrichtungen. Die Forscher empfehlen zudem, auch zwei Wochen nach Symptombeginn abschließend ein weiteres Mal auf das Virus zu testen. Eine Aufhebung der Quarantäne würde nur bei einem negativen Abstrich erfolgen. Wichtig sei, nicht nur auf Sars-CoV-2 zu testen, sondern auch den Antikörpernachweis zu verbessern. Als Nachweis, dass eine Person die Infektion durchgemacht hat und jetzt wahrscheinlich immun ist.

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Einsatz von Apps: Die 14 Forscher erwähnen in ihrem Positionspapier die Möglichkeiten der „Modernen Technologien“, um z.B. durch Smartphone-Ortung Ansteckungen zu vermeiden. Die Nutzung von Apps sollte freiwillig sein. In jedem Fall müsse eine App so konzipiert werden, dass ein Missbrauch ausgeschlossen und ihr Einsatz mit dem deutschen Rechtssystem kompatibel ist. Als sinnvoll erachten die Experten auch, allen ambulant behandelten Patienten, per App z.B. einen täglich auszufüllenden Fragebogen zu geben.

Corona-Task-Force in NRW bereits eingerichtet

Die nächsten Schritte: Empfehlenswert sei eine „schlanke und maßgeschneiderte Governance aufzubauen“, die die Politik wissenschaftsbasiert unterstützt. In NRW wurde kürzlich eine „Corona-Task-Force“ eingerichtet. „Umstiegsszenarien müssen aus verschiedensten Blickwinkeln kontinuierlich auf ihre Umsetzbarbarkeit hin eingeschätzt werden.“

Soziale Beschränkung: Wenn angemessene Schutzmaßnahmen eingehalten werden (Abstand, Hustenetikette, …) dann könnten Ausgangsbeschränkungen aufgehoben werden. Auch ein Treffen von kleineren Gruppen mit Mund-Nasen-Schutz könnte dann folgen.

Experten-Meinung: Kitas und Schulen schnell wieder öffnen

Kitas und Schulen: „Diese Bereiche könnten relativ schnell wieder aufgenommen werden. Junge Menschen haben nur selten schwere Verläufe und Beschulung zuhause senkt die Bildungsgerechtigkeit und behindert die Eltern, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen.“

Kultur und Sport: Im Positionspapier heißt es: „Der Betrieb von Spiel- und Sportplätzen kann bei Wahrung der Abstandsregeln und der Gruppengrößen zügig wieder aufgenommen werden.“ Bevorzugt sollte Sport im Freien stattfinden.

Coronavirus: Viele Fragezeichen bei der Gastronomie

Gastronomie: Eine Öffnung kann wohl nur sehr vorsichtig und kontrolliert erfolgen. Hauptargument dafür sind oft schwierig durchzusetzende Abstandsregeln und die wechselnde Kundschaft.

Wirtschaft: Bereiche mit niedriger Ansteckungsgefahr sollten zuerst geöffnet werden. „In allen Sektoren mit Ansteckungsgefahr sollten die Hygienestandards verändert werden, nach dem Vorbild von Standards in Krankenhäusern oder der Lebensmittelindustrie und des Lebensmittelhandels. Sektoren mit hoher Ansteckungsgefahr sollten vorerst geschlossen bleiben, insbesondere Veranstaltungen mit vielen Zuschauern, Diskotheken, Clubs.“

Planungen zum Corona-Exit: Menschen müssen im Mittelpunkt stehen

„Bei der Planung, in welchen Schritten die massiven Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens aufgehoben werden, müssen die Menschen im Mittelpunkt stehen“, sagt Christiane Woopen, Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Universität zu Köln. Dabei seien gesundheitliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken zu berücksichtigen. Allen werde derzeit viel zugemutet. Woopen: „Nun müssen die Starken für die Schwachen da sein.“

Diese Wissenschaftler haben sich am Positionspapier beteiligt

  • Prof. Dr. Andrea Abele-Brehm (Lehrstuhl Sozialpsychologie, Universität Erlangen-Nürnberg)
  • Prof. Dr. jur. Horst Dreier (Lehrstuhl für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Würzburg)
  • Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest (ifo Institut, München / Universität München)
  • Prof. Dr. Veronika Grimm (Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Universität Erlangen-Nürnberg)
  • Prof. Dr.med. Hans-Georg Kräusslich (Zentrum für Infektiologie, Universitätsklinikum Heidelberg / Deutsches Zentrum für Infektionsforschung)
  • Prof. Dr.med. Gérard Krause (Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig / Medizinische Hochschule Hannover)
  • Dr. med. Matthias Leonhard, Köln
  • Prof. Dr. med. Ansgar W. Lohse (Zentrum für Innere Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf)
  • Prof. Dr. med. Martin J. Lohse (Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Universität Würzburg / Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte)
  • Prof. Dr. med. Thomas Mansky (Technische Universität Berlin)
  • Prof. Dr. Andreas Peichl (ifo Institut, München / Universität München)
  • Prof. Dr. Roland M. Schmid (Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München)
  • Prof. Dr. Günther Wess (Technische Universität München)
  • Prof. Dr.