Tierschützer kritisieren TönniesSie lassen selbst dort schlachten

Tönnies_Logo

Auf dem Dach des Werksgeländes steht das Logo der Firma Tönnies in Form von zwei Kühen und einem Schwein. Das Bild wurde im Juni 2020 aufgenommen.

Düsseldorf – Tönnies und Tierschutz – diese beiden Worte nennt man selten in einem Atemzug. 

Nun sollen sich aber gerade Tierschützer dafür eingesetzt haben, dass Produkte des umstrittenen Fleischproduzenten mit dem Siegel „Neuland” bedruckt werden, das für gute Tierhaltung und humane Schlachtung steht. 

  • Träger des Labels sind der Deutsche Tierschutzbund, der Bund für Umwelt und Naturschutz  Deutschland (BUND) und die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft
  • Diese Vereinigungen übten in der Vergangenheit teils scharfe Kritik an Tönnies
  • Nun wurde bekannt, dass sie sich dafür einsetzten, dass Tönnies-Fleisch mit ihrem Güte-Label „Neuland” versehen wird

Das Paradoxe: Die drei Gruppierungen (Deutscher Tierschutzbund, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft) übten zuvor scharfe Kritik an den Tierschutz- und Arbeitsstandards von Tönnies.

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Coronavirus bei Tönnies

In einem Schlachthof des Unternehmens brach kürzlich das Coronavirus aus, die Mitarbeiter mussten in Quarantäne.

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„Der Fall Tönnies ist nur die Spitze des Eisbergs. Er steht für ein menschenunwürdiges und Tierleid erzeugendes Agrarsystem”, hieß es im Juni in einer Mitteilung des Vorsitzenden des BUND, Olaf Bandt, dessen Bund als Träger des Labels „Neuland” mit dafür verantwortlich ist, dass Tönnies-Fleisch bei Aldi als tierfreundliche Alternative zu konventionell produziertem Billigfleisch angepriesen wird.

Er ist nicht der einzige aus der Tierschutz-Lobby, der sich öffentlich gegen die Politik von Tönnies aussprach.

Tierwohl-Label für Tönnies: Tierschutzbund-Vizechefin ist Kuratorin bei Tönnies-Forschung

Auch sein Kollege Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, appellierte in einer Pressemitteilung Ende Juni nach dem Corona-Ausbruch bei Tönnies an Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), die Antworten auf drängende Tierschutzfragen nicht Tönnies allein zu überlassen. Der Tierschutzbund entschied sich trotzdem dafür, die Vergabe des Labels „Neuland” an Tönnies-Produkte zu unterstützen. 

Die Vizechefin des Tierschutzbundes, Brigitte Rusche, hat Verbindungen zu Tönnies. Sie ist Mitglied des Kuratoriums der Gemeinnützigen Gesellschaft Tönnies-Forschung, die sich nach eigenen Angaben zum Ziel gesetzt hat, den Tierschutz bei Schlachtung und Verarbeitung zu beleuchten, Experten zu vernetzen und den wissenschaftlichen Dialog zu fördern.

Der Deutsche Tierschutzbund bemerkte, Rusches Arbeit bei Tönnies-Forschung habe nichts mit dem Tagesgeschäft der Firma zu tun und sie würde nur aufpassen, dass Stiftungsgelder zum Nutzen des Tierschutzes verwendet werden.

Hinzu kommt der dritte Träger von „Neuland”, der Verein „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft”. Dieser untermauerte noch vor wenigen Tagen in einer Pressemitteilung seine Kritik an den Verhältnissen in Großschlachtereien wie bei Tönnes. 

Schlachtung_Symbolbild

An ihren Arbeitsplätzen von Plexiglasscheiben voneinander getrennt zerlegen Mitarbeiter von Tönnies am Donnerstag (16. Juli) geschlachtete Schweine im Stammwerk des Betriebes

Tierschutz-Label: Tönnies-Produkte mit Gütesiegel bei Aldi verkauft

Mit dem Segen der Tierschützer liegen in der Kühltheke bei Aldi Nord und Süd seit 2018 unter der Marke „Fair & Gut” unter anderem drei Steaks für knapp drei Euro oder 300 Gramm Gehacktes für knapp 2,50 Euro.

Alles Schweinefleisch, teils von Tönnies verarbeitet und mit dem Gütesiegel der Tierschützer versehen. 

Tierwohl und Tönnies: Das sagen die Träger von „Neuland” dazu

Laut einer BUND-Sprecherin wollten die „Neuland”-Träger gern mit dem Discounter Aldi kooperieren, um für dessen Kunden eine tierfreundlichere Alternative zum herkömmlichen Billigfleisch anzubieten. 

Dem EXPRESS kündigte der BUND an, gemeinsam mit den anderen Trägerverbänden von „Neuland” die vertraglichen Bedingungen der Kooperation mit Aldi neu zu betrachten und nach Alternativen zu Tönnies als Schlachter zu suchen.

Er distanzierte sich von dem Fleischproduzenten. „Eine Verarbeitung bei Tönnies wurde schon immer kritisch gesehen”, so die Sprecherin.

Schweine_Lieferung_tönnies

Schweine drängen sich in dem Transporter, der auf das Betriebsgelände der Firma Tönnies fährt. Das Foto wurde Juli 2020 aufgenommen.

Der Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft, Georg Janßen, schloss sich an und erklärte unserer Redaktion, dass „Neuland” die Kooperation mit Tönnies schon immer kritisch gesehen habe.

Aldi habe aber darauf bestanden, dass der größte Fleischlieferant Deutschlands das Fleisch für die „Fair & Gut”-Produkte verarbeite.

Aldi möchte sich nicht zu Tönnies äußern

Als das feststand, soll in der Arbeitsgemeinschaft sogar darüber abgestimmt worden sein, aus dem „Neuland”-Verein auszutreten. Die Abstimmung war jedoch erfolglos. Nun spreche man nochmal mit Aldi und Tönnies, bisher aber ohne Ergebnis.

Aldi erklärte auf EXPRESS-Anfrage, dass man sich nicht zu den Beziehungen zu Tönnies äußern wolle. 

Das Label „Neuland” ist ein eingetragener Verein. Vorstandssprecher Jochen Dettmer erklärte, wie bereits in der „Rheinischen Post”, man wolle die vertraglichen Bedingungen überdenken und vielleicht einen neuen Schlachter finden. 

Das Problem sei aber, dass es wenig andere Schlachthöfe gebe. „Die Alternativen sind dünn”, so Dettmer. 

Regelmäßige Kontrollen: Tönnies wohl ohne Verstöße gegen Richtlinien

Es werde jährlich und ohne Ankündigung geprüft, ob Tönnies sich an die Vorgaben des Tierwohllabels „Neuland” halte. Dabei sei seit Beginn der Kooperation 2018 kein Verstoß bemerkt worden, so Dettmer auf EXPRESS-Anfrage.

Für die Tiere gehe es bei der Schlachtung schnell, sie werden betäubt und müssten keine unnötige Wartezeit in Kauf nehmen. 

Tierschutzbund nimmt Abstand von Tönnies

Derweil will der Deutsche Tierschutzbund nichts mehr mit dem Fleischproduzenten zu tun haben.

„Wir raten dringend dazu, die Zusammenarbeit von Neuland mit Tönnies zu beenden”, so eine Sprecherin. Der Tierschutzbund habe die Vermarkter aufgefordert, den Vertrag mit Tönnies zu kündigen.

„Neuland”-Siegel: Das bedeutet das Label konkret für die Tiere

Wer das „Neuland”-Siegel auf seine Produkte drucken will, muss bestimmte Vorgaben erfüllen, die das Label aufstellt.

Es lässt sich von seinen Standards unter Bio einordnen, soll aber bessere Haltungsformen als die gesetzlichen Mindestvorgaben garantieren.

Konkret heißt das, die Schweine, die zum Beispiel zu Steak oder Hack verarbeitet werden, müssen Zugang zu einem Offenstall haben, dürfen maximal vier Stunden zum Schlachter fahren und im Stall Einstreu und Stroh zum Wühlen haben. 

Für andere Tierarten gelten ähnliche Standards. Ob Tönnies all diese Vorgaben wirklich einhält, ist allerdings nicht bekannt. (mas)