Corona-PolitikLaschet kritisiert Grenzwerte - jetzt schießen Politiker zurück

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CDU-Vorsitzender Armin Laschet, hier am 19.01.2021 in Düsseldorf, warnt vor einer zu einseitigen Ausrichtung der Corona-Politik in Deutschland. Nur die Betrachtung des Inzidenzwertes wäre nicht richtig.

Berlin – Nach den deutlichen Worten von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zu der Corona-Politik in Deutschland bekommt er nun harte Kritik von der Opposition.

  • SPD wirft Laschet „schwachen Charakter“ vor
  • Opposition kritisiert Laschet für seine Aussagen
  • Laschet nennt anhalten an von hartem Kurs „Populismus“

NRW: Armin Laschet gegen Inzidenzwert-Politik

Der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet hat bei der Ausrichtung der Corona-Politik vor einem zu einseitigen Fokus auf dem sogenannten Inzidenzwert gewarnt.

„Man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet“, sagte er am Montag (15. Februar) am Rande einer Veranstaltung des baden-württembergischen CDU-Wirtschaftsrats.

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Damit wandte sich Laschet gegen die von Merkel und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder vergangene Woche getroffene Entscheidung, statt des Inzidenzwerts von 50 den Wert von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen zur Messlatte für weitere Lockerungen von Corona-Schutzmaßnahmen zu machen.

„Wir können unser ganzes Leben nicht nur an Inzidenzwerten abmessen.“ Man müsse all die anderen Schäden etwa für die Gesellschaft und die Wirtschaft genauso im Blick haben wie die Inzidenzzahlen.

Corona: Opposition kritisiert Äußerungen von Laschet

Mit diesen skeptischen Äußerungen zur Bedeutung von Corona-Inzidenzzahlen ist CDU-Chef Armin Laschet auf Kritik bei SPD und Grünen gestoßen.

„Wer wie Laschet von „erfundenen Grenzwerten“ spricht, der zerstört Vertrauen in die Corona-Maßnahmen“, schrieb SPD-Fraktionsvize Katja Mast am Dienstag (16. Februar) auf Twitter.

Der NRW-Ministerpräsident war mit seinen Äußerungen auf deutliche Distanz zum Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegangen.

Corona: Laschet kritisiert harten Kurs

Laschet warf auf der Veranstaltung auch den Verfechtern eines harten Kurses im Kampf gegen die Corona-Pandemie, zu denen Merkel sowie CSU-Chef Markus Söder gezählt werden, Populismus vor. „Populär ist, alles verbieten, streng sein, die Bürger behandeln wie unmündige Kinder“, sagte der CDU-Vorsitzende. Er warnte davor, das Leben der Menschen nur an Inzidenzwerten abzumessen.

Mast schrieb dazu, natürlich sei es richtig, bei Corona-Maßnahmen abzuwägen. „Allem zugestimmt und hinterher absetzen spricht von schwachem Charakter“, wies sie aber darauf hin, dass Laschet selbst bei dem Bund-Länder-Spitzengespräch an der Entscheidung für die Messlatte von 35 beteiligt war.

Die nordrhein-westfälische SPD-Landespolitikerin Sarah Philipp nannte es auf Twitter "mindestens kurios", dass Laschet erst Beschlüsse auf einer Konferenz mit fasse, sie dann im Landtag verteidige, um sie schließlich am Montag (15. Februar) anzuzweifeln.

Corona: Grüne werfen Laschet Verantwortungslosigkeit vor

„Der Grenzwert von 35 wurde nicht „erfunden““, sondern abgeleitet von dem höheren R-Wert der Mutation B117" des Coronavirus, erklärte auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Zudem sei der Lockdown nicht „populistisch“, sondern eher unbeliebt.

Kritik kam auch von den Grünen. „Das Virus verhindert, dass Leben normal wieder stattfindet, nicht „erfundene“ Inzidenzwerte", betonte die stellvertretende Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. „Dass Armin Laschet das entweder nicht verstanden hat oder bewusst anders darstellt, ist verantwortungslos“, warf sie dem CDU-Chef vor.

Corona: Lockdown bis zum 7. März – was kommt danach?

Die Länderregierungschefs und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten zuletzt vereinbart, den Lockdown grundsätzlich bis zum 7. März zu verlängern. Sollte die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz – also Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche –  stabil unter 35 sinken, sollen die Beschränkungen von den Ländern schrittweise gelockert werden – zunächst für Einzelhandel, Museen und Galerien sowie Betriebe mit körpernahen Dienstleistungen.

Am Montagmorgen (15. Februar) lag der Wert im bundesweiten Schnitt laut Robert Koch-Institut bei 58,9.

Der bisherige Höchststand war am 22. Dezember mit 197,6 erreicht worden. Die meisten Bundesländer verzeichnen laut RKI sinkende Sieben-Tage-Inzidenzen.

Corona-Politik: Leistungsfähigkeit der Gesundheitsämter und Kliniken beachten

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsbundestagsfraktion, Karin Maag (CDU) riet, andere Parameter einzubeziehen als nur die Inzidenz. „Das sind politische Größen“, sagte sie der „Welt“.

„Die Leistungsfähigkeit der Gesundheitsämter und der Kliniken muss miteinbezogen werden. Dazu gibt es Schnelltests. Mehr Technik muss beim Thema Öffnen ebenso dazugedacht werden wie der höhere Durchimpfungsgrad der älteren Menschen.“

Corona: Mutation könnte Inzidenz von 35 zerstören

Der Immunologe Michael Meyer-Hermann hält es für möglich, dass ansteckendere Virusvarianten die angepeilte Inzidenz von 35 torpedieren.

Sollte sich das Vorkommen der Mutante B.1.1.7 ungünstiger entwickeln als erwartet, könne es sein, dass die 35 mit dem aktuellen Lockdown nicht zu erreichen sei, sagte der Leiter der Abteilung System Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig der Deutschen Presse-Agentur.

„Das macht deutlich, dass jede Form von Öffnungen zum jetzigen Zeitpunkt ein hohes Risiko birgt, die gesetzten Ziele nicht erreichen zu können.“

Öffnungsdebatte: SPD warnt vor zu frühen Versprechungen

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken warnte in der Öffnungsdebatte vor zu frühen Versprechungen.

„Angesichts der noch immer unklaren Situation hinsichtlich der Verbreitung und Auswirkung von Virusmutanten müssen wir aber weiterhin auf Sicht fahren und dürfen keine Versprechen abgeben, die wir nicht halten können“, sagte Esken der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ am Dienstag (16. Februar).

Zugleich merkte sie an, ein bundesweit abgestimmter und nachvollziehbarer Stufenplan müsse sich „strikt am Infektionsgeschehen orientieren“.

Ungewissheit über Mutationen: Linke fordert ganzheitlichen Stufenplan

Für Linksfraktionschefs Dietmar Bartsch muss ein Stufenplan Zahlen wie die Inzidenz, die Belegung der Intensivbetten und den Reproduktionswert beinhalten, wie er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte.

„Und diesen Stufenplan, der hoffentlich im Kanzleramt für die Ministerpräsidentenkonferenz am 3. März erarbeitet wird, den muss die Kanzlerin vorher im Bundestag vorstellen.“ (dpa/AFP/mh)