Kinder am Existenz-MinimumEine NRW-Stadt ist offiziell die ärmste in Deutschland

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Ein Kind schaukelt am 03.02.2010 vor einem Hochhaus im Kölner Stadtteil Meschenich.

Gütersloh – Sie sind unter 18 und leben am Existenzminimum: Kinderarmut ist auch im reichen Deutschland nach wie vor ein großes Thema. NRW trifft es besonders in einer Region hart. Zudem befindet sich in NRW die ärmste Stadt Deutschlands. Das zeigt auch eine jetzt veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung.

  • In NRW leben viele Kinder, deren Familien auf Grundsicherung angewiesen sind
  • Stark betroffen sind Städte in einem bestimmten NRW-Gebiet
  • Die Folgen der Pandemie treffen vor allem die Ärmsten besonders hart

Kinderarmut in Deutschland: So schlimm ist die Situation

Wenn das Thema Armut zur Sprache kommt, heißt es oft: „In Deutschland muss doch niemand hungern.” Dass man hierzulande verhungert, ist tatsächlich sehr unwahrscheinlich, doch das bedeutet nicht, dass es nicht trotzdem Menschen gibt, die am Existenzminimum stehen.

Vor allem wenn Kinder betroffen sind, wird die Situation dramatisch. Sind ihre Familien auf Grundsicherung wie Hartz IV angewiesen – und das ist bei knapp 14 Prozent aller Kinder in Deutschland der Fall – hat das oft auch eine soziale Benachteiligung zur folge. 

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Kinder benachteiligt: So sieht der Alltag von armen Kindern aus

„Armut hat deutliche Auswirkungen auf das Aufwachsen der Kinder insgesamt. Sowohl im Bereich Mobilität, als auch in der Freizeit und der sozialen Teilhabe sind sie benachteiligt”, so Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung zu EXPRESS. Konkret heißt das, dass die Hälfte der Familien, die auf Grundsicherung angewiesen sind, zum Beispiel kein Auto haben – weil das Luxus ist.

Mal eben einen Ausflug zu machen ist deshalb für solche Familien nicht drin, auch zum Sport oder zu anderen Hobbys können die Kinder nicht gefahren werden.

Zudem reicht das Geld oft auch nicht für Sonderausgaben wie Kino, Schwimmen, Zoo oder gar einen Besuch im Freizeitpark. Wenn ihre Freunde sich nachmittags für Unternehmungen verabreden, bleiben ärmere Kinder oft außen vor – einfach, weil das Geld fehlt.

Armut bei Kindern: Eine Stadt in NRW ist die ärmste Deutschlands

Auch beim Thema Kinderarmut wird wieder das alt bekannte Ost-West-Gefälle deutlich. 2019 galten knapp 17 Prozent der Ostdeutschen Kinder als arm. Das sind knapp fünf Prozentpunkte weniger als noch 2014, dafür aber immer noch mehr als im Westen. Hier liegt die Quote der Kinder, deren Eltern Grundsicherung beziehen, seit Jahren bei 13 Prozent.

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Das besondere: In den Städten Bremerhaven und Wilhelmshaven, aber auch in mehreren Städten im Ruhrgebiet leben besonders viele von Armut betroffene Kinder und Jugendliche.

Neben Herne, Duisburg, Mönchengladbach und Dortmund ist auch Gelsenkirchen ein Hotspot für Kinderarmut. Traurig aber wahr: Die Stadt gilt als die ärmste Deutschlands. Hier verdient jeder Erwachsene im Schnitt nur 16.274 Euro Netto pro Jahr.

Der Strukturwandel hat auch Duisburg zugesetzt, die Stadt ist die zweit ärmste nach Gelsenkirchen. Auch Herne ist unter den Top 10 der ärmsten Städte. Früher gab es im Ruhrgebiet viele gut bezahlte Jobs im Abbau und der Verarbeitung von Kohle und anderen Rohstoffen, doch die sind weggefallen, nachdem die Förderung zurückging.

Am wenigsten arme Kinder findet man übrigens in den wohlhabenden Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg.

Corona in NRW: Pandemie droht Lage armer Kinder zu verschärfen

Bemerkbar machte sich die prekäre Lage ärmerer Kinder auch während der Corona-Pandemie: Der Unterricht zuhause war schwierig, weil bei rund einem Viertel der Familien mit Hartz IV der Internetzugang fehlt oder schlicht kein Platz zum ungestörten Lernen ist.

Außerdem erhalten Eltern der benachteiligten Kinder und Jugendlichen oft kein oder nur wenig Kurzarbeitergeld – oder verlieren ihren Job. 

Bertelsmann Stiftung: Hilfen für Kinder zu unübersichtlich

Anette Stein, die bei der Bertelsmann Stiftung das Programm wirksame Bildungsinvestitionen betreut, unter dessen Leitung die Studie erschienen ist, sieht klaren Handlungsbedarf, wie sie im Gespräch mit EXPRESS schildert: „Wir brauchen einen echten Systemwechsel in der Familien- und Sozialpolitik”, so Stein. 

Sie schlägt vor, alle finanziellen Hilfen wie Kindergeld, Kinderzuschlag oder Geld für Bildung und Teilhabe zu einer Leistung zu bündeln. „Eltern und Verwaltung blicken nicht durch, wodurch manche Maßnahmen gar nicht in Anspruch genommen werden”, erklärt sie. 

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Das Teilhabegeld für Kinder, das sie vorschlägt, soll von Steuern finanziert werden.

Situation armer Kinder: Das kann verbessert werden

Unter anderem schlägt Stein auch vor, Kinder und Jugendliche direkt zu befragen, wie viel Geld sie benötigen. Testbefragungen hätten dabei ergeben, dass Kinder ihre Bedürfnisse realistisch wiedergeben könnten und nicht etwa eine Wunschliste mit unendlichen Ausgaben aufstellten.

Eine empirische Grundlage, wie groß ein Teilhabegeld ausfallen müsste, gebe es gar nicht, so Stein. Deshalb sei eine Befragung der Kinder nötig. (mas)