„Alles schon mal da gewesen”Düsseldorfer Medizinhistoriker sprechen über Corona

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Das Coronavirus steht Pest und Cholera in nichts nach, lediglich die Herangehensweise an das Virus hat sich verändert. (Symbolbild)

Düsseldorf – Syphilis und Aids, Pest und Cholera oder Lepra und Typhus: Seuchen sind seit jeher ein wiederkehrender Begleiter der Menschheit.

In ihrem neuen Buch „Pest und Corona” gehen die Düsseldorfer Medizinhistoriker Heiner Fangerau und Alfons Labisch der Frage nach: Wie können uns frühere Epidemien in der Corona-Pandemie helfen?

Pest und Cholera nicht so gefährlich wie Corona?

An Pest und Cholera verstarben Millionen Menschen und noch Ende der 1950er Jahre wurden 30.000 Grippetote in Deutschland, den Autoren zufolge, einfach so hingenommen.

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Medizinhistoriker Alfons Fangerau hat gemeinsam mit seinem Kollegen das Buch „Pest und Corona” geschrieben.

„Es wurde nicht viel Aufhebens gemacht und eher der Umstand skandalisiert, dass Arbeitnehmer krankgeschrieben waren und damit die Wirtschaftsleistung gefährdeten.”

Labisch

Medizinhistoriker Alfons Labisch und zeigt in seinem neuen Buch Pest und Corona” mit Kollege Fangerau, was wir von vorherigen Epidemien lernen können.

2020 sieht das ganz anders aus. Ganz Deutschland ist nahezu komplett lahmgelegt und auch andere Länder ziehen mit.

Einstellung zu Krankheiten hat sich in Corona-Krise verändert

Dass heute anderes gehandelt wird, als damals erklären sich die Düsseldorfer mit den Worten: „Heute ist die Gesellschaft entschlossen, vorzeitige Tode nicht mehr hinzunehmen und so viele Menschen wie möglich zu retten.”

Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel ist für eine zeitnahe Lockerung der Corona-Maßnahmen. (Hier lesen Sie mehr)

Es sei klar, „dass jedes Leben, ob jung oder alt, gesund oder krank, gerettet werden soll - koste es was es wolle.”

Corona Maßnahmen sind nichts Neues

Spätestens seit der Industrialisierung hat die Politik versucht, Epidemien zu beeinflussen. Generell könne man „vertikal” und „horizontal” eingreifen, führen die Autoren aus.

Einmal bekämpft man den Erreger beim Patienten und dann die Ausbreitung in der Bevölkerung. „Nichts von dem, was wir derzeit in der Corona-Pandemie an Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit erleben, ist also unerwartet oder neu.”

Kontaktbeschränkungen etwa wurden schon bei der Spanischen Grippe in den USA erprobt – und als hilfreich erkannt.

Ausgrenzung von Kranken, schon im Mittelalter üblich

Sogar die psychologischen Reaktionen ähneln sich: „Bei nahezu jeder Pandemie gab es Phänomene der Ausgrenzung, Stigmatisierung und der Verdächtigung”, führen die Autoren aus.

Kranke wurden isoliert, um die Bevölkerung zu schützen. Immerhin sind die Methoden heute weniger rabiat als noch im Mittelalter, wo die Opfer in Pesthöfen einfach ihrem Schicksal überlassen wurden.

Reisen, Globaler Handel und Großveranstaltungen begünstigen Coronavirus

Die (Über)lebensbedingungen der Erreger und die Lebensbedingungen der Menschen bedingen einander.

Schlechte Hygiene, verschmutztes Trinkwasser oder eine durch Krieg geschwächte Bevölkerung bildeten den Nährboden früherer Pandemien.

2020 sind es Globaler Handel, weltweites Reisen und Massenveranstaltungen, die die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus begünstigen.

Experten Forderung: Frühes Eingreifen in Corona-Krise

„Seuchen und ihre Verbreitung sind in ein soziales und kulturelles Umfeld eingebunden und können nur in dieser breiten Sicht verstanden werden.”

Am Ende des Buchs fordern die Medizinhistoriker als eine Art Fazit für die aktuelle Krise: Frühzeitig eingreifen! So können neue Erreger schon am Ort ihres Entstehens eingegrenzt werden. Dafür müsse die Weltgesundheitsorganisation WHO gestärkt werden.

Menschheit lernt nur bedingt aus Pandemie-Fehlern

Die Flughäfen spielen eine Schlüsselrolle, um die Ausbreitung zu verhindern. Dort müsse eine effektive Eindämmungsstrategie aufgebaut werden. Regionales Vorgehen habe sich mehr bewährt als zentraler Durchgriff. Und Vorbeugen kostet weniger als hinterher die Schäden zu finanzieren.

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Das Buch „Pest und Corona”, das am 2 Juni erscheint, geht der Frage auf den Grund: Wie können uns frühere Epidemien in der Corona-Pandemie helfen?

Leider, so die bittere Erkenntnis, sind wir nicht besonders lernfähig. „Es ist mehr als verwunderlich, dass nach jeder Pandemie gründliche Analysen durchgeführt und vorausgreifend Szenarien entworfen werden - und danach nichts bis wenig geschieht, um die nächste Pandemie im Vorhinein zu verhindern oder zu stoppen”, schreiben die Autoren.

Medizinhistoriker bestätigen: Corona-Maßnahmen sind sinnvoll

Natürlich kommen Fangerau und Labisch nicht um die Frage herum, ob angesichts historischer Pandemien unsere Reaktion auf Covid-19 übertrieben ist.

Handelt es sich also um eine „skandalisierte Krankheit”? „Ja und nein”, lautet die Antwort. Im Vergleich zu „echten Killern” mögen die Opferzahlen noch gering sein. Die eingeleiteten Maßnahmen seien dennoch sinnvoll als „prophylaktische Aktion gegen einen potenziell echten Killer”. (dpa)