Nach heftiger KritikDüsseldorfs OB geht in der Corona-Diskussion in die Offensive

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Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel macht sich viele Gedanken über die Corona-Krise und die Folgen des Shutdowns.

Düsseldorf – Das Coronavirus hat das komplette gesellschaftliche Leben aktuell im Würgegriff. Ein Ende der Krise? Aktuell schwer abzusehen. Sicher ist nur: Irgendwann wird der Alltag wieder anlaufen. Die Frage ist nur: Wie?

Dazu macht sich auch Düsseldorfs erster Bürger, Thomas Geisel (56), so seine Gedanken. Und genau die hatte der OB jetzt in einem Gastbeitrag aufgeschrieben – und damit auch für viel Kritik gesorgt. Was er damit eigentlich sagen wollte, erklärt der SPD-Politiker jetzt im Interview.

OB Thomas Geisel: Risikogruppen identifizieren und im Kampf gegen Corona schützen

Herr Geisel, Sie haben den harten Kurs von Bund und Ländern im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie kritisiert, was stört Sie dabei?

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Thomas Geisel: Das war keine Kritik als solche an dem aktuellen Kontaktverbot. Aus meiner Sicht müssen wir uns aber jetzt schon Gedanken darüber machen, wie und unter welchen Voraussetzungen wir das öffentliche Leben wieder hochfahren können. Bisher konnte man eher den Eindruck gewinnen, dass sich viele Verantwortliche darin überboten, mit noch drastischeren Maßnahmen die Bewegungsfreiheit des Einzelnen weiter einzuschränken. Aus meiner Sicht sollte es vor allem darum gehen, die Menschen aus den Risikogruppen, also insbesondere Ältere mit Vorerkrankungen, zu identifizieren und wirksam zu schützen.

Gleichzeitig müssen wir die medizinischen Kapazitäten, also insbesondere die Anzahl der Betten auf den Intensivstationen hochfahren, um für eine wachsende Zahl von Patienten vorbereitet zu sein.

Schließlich geht es auch nach Aussage der Virologen darum, alles zu tun, um das Gesundheitswesen nicht zu überfordern.

Corona-Diskussion: Düsseldorfs OB kontert seine Kritiker

Wie sieht Ihre Exitstrategie gerade in Bezug auf die jüngeren Generationen aus?

Die jungen Leute müssen nicht so sehr geschützt werden, denn in aller Regel geht für diese Generationen von dem Virus nur ein sehr geringes Risiko aus. Fälschlicherweise haben mir in diesem Kontext Kritiker unterstellt, alte und junge Bürger ungleich zu behandeln. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Das Grundgesetz gebietet, dass man Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt. Heißt: Diejenigen, für die ein hohes Lebensrisiko besteht, müssen geschützt werden, und jene, bei denen die Gefahr nicht besteht, eben nicht in demselben Maße. Die Kernfrage ist daher: Wie organisiere ich den Schutz für die Risikogruppen? Nach meinem Eindruck scheint auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mittlerweile auf diese Linie eingeschwenkt zu sein.

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Manche Experten, sagen einen monatelangen shutdown voraus, verbreiten die Regierungsverantwortlichen und Mediziner zu viel Panik?

Man sollte sich überlegen, was ein solcher monatelanger Shutdown bedeutet. Ich befürchte, dass der Kollateralschaden mit allen seinen ökonomischen, sozialen, zwischenmenschlichen Folgen enorm wäre. Allein beim Thema häusliche Gewalt (Hier lesen Sie mehr) zeichnet sich schon jetzt eine signifikante Zunahme ab. Wenn wir die Menschen nicht mehr herauslassen, wenn die Veranstaltungen ausfallen, sämtliche Lokale und Freizeiteinrichtungen geschlossen sind, dann entsteht schnell ein Lagerkoller – gerade bei Menschen, die auf engem Raum zusammenleben.

Und die ökonomischen Folgen werden ebenfalls gravierend sein. Ganz viele Existenzen sind bereits bedroht, etwa in der Gastronomie, der Hotellerie, bei Veranstaltern von Events, Messen, von kleinen Kulturbetrieben - das sind alles Unternehmen mit einer dünnen Kapitaldecke. Da drohen schnell Insolvenzen. Zwar haben Bund und Land großzügige Finanzhilfen zugesagt. Aber je länger der Zeitraum dauert, desto schwieriger wird es sein, notleidende Betriebe vor dem Ruin zu bewahren.

Coronavirus: Thomas Geisel geht bei Infizierten von viel größerer Dunkelziffer aus

Liegt die NRW-Landesregierung mit dem verhängten Kontaktverbot nebst einem Straf- und Bußgeldkatalog richtig?

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es sicherlich richtig, durch ein Kontaktverbot die Infektionsgefahr zu minimieren. Das ist auch das richtige Zeichen, um die Menschen für die Gefahren zu sensibilisieren Und so ein Verbot muss selbstverständlich auch mit Bußgeldern sanktioniert werden.

Nun hoffen viele, dass die Behörden das Kontaktverbot nach den Osterferien bereits lockern, würden Sie dem folgen?

Aus meiner Sicht spricht Vieles dafür. Und zwar dann, wenn es gelingt, die Risikogruppen entsprechend zu schützen und die medizinischen Kapazitäten entsprechend hochzufahren. Dann sollte man zumindest die Kindergärten und Schulen wieder öffnen. Zumal für Kinder und Jugendliche vom Virus nur eine sehr geringe Gefahr ausgeht.

Inzwischen wird Kritik laut an der teils unübersichtlichen Datenlage zur Zahl der Infizierten, wie sieht dies in der Praxis aus?

Die Dunkelziffer ist nach meiner Ansicht wahrscheinlich viel höher als gedacht. Dabei geht es vor allem um jene Infizierten, die kaum Symptome ausgebildet haben. Von daher ist und bleibt wohl die große Unbekannte: Wer hatte den Virus schon, ohne dass er wusste, sich mit dem Virus infiziert zu haben? Es wäre hilfreich, wenn wir hier in den nächsten Wochen eine zuverlässigere Datenlage generieren könnten.