Teil 1 der Serie„Kommissar Classen“ – Das Todesrätsel um den Kö-Millionär

Classena

Kö-Hauser Nummer 76 und Nr. 78. Sie weckten viele Begehrlichkeiten. Peter T. wollte sie haben. Laut Anklage aus dem Jahre 1993 soll er Otto-Erich Simon umgebracht und Kaufverträge für die Häuser gefälscht haben.

Düsseldorf – Es gibt Fälle, die lassen einen Polizeireporter ein Leben lang nicht mehr los.

Günther Classens „Fall des Lebens“ ist der bis heute nicht wirklich gelöste Fall des Mordes an dem Kö-Millionär Otto-Erich Simon. Classen kannte das Opfer persönlich, er brachte Spuren ans Licht, die eine Anklage des mutmaßlichen Täters möglich machten.

Aber verurteilt wurde Peter T. nie. Und die Leiche von Simon bleibt bis heute verschwunden …

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Ein anonymer Brief an die EXPRESS-Redaktion landet Ende 1991 auf meinem Schreibtisch – darin mysteriöse Kaufverträge und ein weißes Blatt mit einem einzigen Wort darauf: „Mord!“ So beginnt der Fall, der mich seit 25 Jahren elektrisiert wie kein anderer …

Es ist der Fall des verschwundenen Millionärs Otto-Erich Simon (damals 71), den ich gut kenne. Ein Mord ohne Leiche, mitten auf der Kö! Der geheimnisvollste Immobilien-Krimi des Rheinlands – es geht um 100 Millionen Mark.

Tatort Königsallee

Die Königsallee in Düsseldorf – es ist die Straße des großen Geldes.

Die Häuser Nummer 76 und 78 – hier lebt Otto-Erich Simon. Er besitzt die begehrtesten Grundstücke an der Kö. 100 Millionen Mark sind sie wert. „Ich verkaufe nie, nur über meine Leiche!“ – ein Satz, der ihm vermutlich das Leben kostet. Denn zuletzt wird der schrullige Multi-Millionär am 12. Juli 1991 lebend gesehen.

Tage später weiß ich, was ich da für anonyme Papiere bekommen habe: Dokumente eines möglichen Verbrechens. Ich bin überzeugt: Simon ist ermordet worden. Er soll seine geliebten Häuser verkauft haben? Niemals!

Mit dem Mordverdacht im Kopf und den merkwürdigen Kaufverträgen fliege ich nach Zürich. Da sind sie angeblich unterschrieben und beglaubigt worden. Sind die Unterschriften echt?

Der angebliche Käufer ist der stadtbekannte Baulöwe Peter T. (52, Name geändert). Jahrelang hatte er Simon hofiert, um an seine Immobilien zu kommen. Er gab vor, mit Simon zu verhandeln. Doch keiner glaubte ihm.

„Der Alte verkauft nie“, heißt es an der Kö. Doch dann zaubert T. plötzlich Kaufverträge für die Kö 76 und 78 aus dem Hut: Er will die Häuser für nur 35 Millionen Mark im Auftrag einer Firma aus Glarus in der Schweiz erworben haben.

Spurensuche in Zürich

Der Fall bekommt in Zürich eine dramatische Wende. Ich besuche den Notar Rudolf Sulzer, bei dem Simon die vordatierten Kaufverträge vom 19. Juli 1991 beglaubigt haben soll. Ich zeige ihm ein Foto von Simon.

Der Notar schüttelt den Kopf: „Den habe ich noch nie gesehen.“ Er murmelt: „Da stimmt was nicht.“ Er überrascht mich, geht aus dem Büro, lässt das Notarbuch offen liegen. Ich habe verstanden! Hastig hole ich meine Minox heraus, fotografiere die Unterschriften und verlasse schnell das Notariat.

Ich bin sicher: Die Unterschriften sind gefälscht!

Ich schalte die Ermittler ein, die nach einer Vermisstenanzeige T. bereits auf der Spur sind. Ein Polizeigutachter bestätigt später die Fälschung.

Die Leiche – unauffindbar

Am 28. Januar 1992 wird der Baulöwe im Morgengrauen in Oberkassel verhaftet. Zunächst wegen Betruges und Urkundenfälschung.

Gleichzeitig wird eine Mordkommission gegründet. Staatsanwalt Dr. Stefan Trunk sieht „den größten Fall seines Lebens“, arbeitet besessen an der Beweis- und Indizienkette, will die Wahrheit herausfinden.

Das Gericht setzt Dieter N. als Nachlassverwalter über die Immobilien und das Barvermögen von Simon ein. Dieser setzt eine Belohnung von einer Million Mark für Hinweise aus, die zur Leiche Simons führen. Der Mordfall bekommt eine ungeahnte Dimension …

Alle Hinweise werden geprüft, überall wird nach der Leiche gesucht und gegraben, Nichts! Die Mordkommission bittet mich um ein aktuelles Foto von Simon – in seinem Pass war nur eines aus den 70er Jahren, weil er immer jung sein wollte.

Ich habe das gewünschte Bild, das dann als Fahndungsfoto um die Welt geht: Wo ist Otto-Erich Simon? Wo ist der schrullige Millionär, der im Reformhaus einkaufte, ungeschälten Reis bevorzugte, nicht nach dem Alter gefragt werden wollte?

Zweiter Versuch

Am 20. Mai 1993 legt Trunk nach – zweiter Haftbefehl: Verdacht auf Mord aus „Habgier und Heimtücke“. Eine Düsseldorfer Privatbank wird stundenlang durchsucht.

Sie hat mit T. und seiner Schweizer Briefkastenfirma zusammengearbeitet, die Filiale der Bank in Luxemburg soll den Kaufpreis abgewickelt haben. Ich finde heraus: Es ist kein Geld an Simon geflossen.

22. September 1993: Trunk hat 30.000 Blatt Akten gewälzt und legt seine längste Anklageschrift vor: 152 Seiten, 205 Zeugen, 171 Asservate. Die Asservate 159 bis 168 sind die spannendsten: eine Axt, eine Kreuzhacke, eine Säge, eine Betongieß-Karre.

Die Mordwerkzeuge?

T. gehört wie die 205 Zeugen zum „Who ist who“ der Stadt. Schöne Frauen, Bankiers, Notare, Rennfahrer, Künstler, Mediziner, Autoschieber, Prostituierte, Zuhälter. Unter den Prominenten der „Zeuge Nummer 82“: Jörg Immendorff ( 2007) – auch der weltberühmte Künstler kannte Simon.

Die Spur führt an die Mosel

Im fernen Lösnich an der Mosel zittern Simons Bruder und Neffe um das Leben von Otto-Erich. Der Kontakt war längst abgebrochen. Simon verweigerte ihn: „Die wollen nur mein Geld“.

An der Kö hatte Simon mit Aktien und seinem „Weincafé Intim“ Millionen gemacht. Die Hautevolee hatte ihm den Laden leergekauft. So sammelte Simon über Jahrzehnte Millionen und Häuser.

Ich bekomme sein Testament vom 25. August 1984 in die Hände. Simon handschriftlich: „Das Erbe soll mein Neffe Manfred bekommen. Meine Häuser … dürfen nicht veräußert werden.“ Darunter: „Ich möchte in Lösnich auf dem Friedhof neben dem Grab meiner lieben Eltern beigesetzt werden“. Simons letzter Wunsch bleibt unerfüllt: Seine Leiche wird nie gefunden.

Leichengeruch und Buttersäure

Staatsanwalt Dr. Trunk schildert in seiner Anklageschrift: T. habe Simon aus Habgier umgebracht, die Verträge gefälscht und ihn irgendwo einbetoniert oder vergraben. Er habe den Toten in seinem Jeep transportiert. Der Leichengeruch sei mit Buttersäure überdeckt worden. Doch T. bestreitet alles.

Seine Anwälte finden einen Gutachter, der T. in die Psychiatrie einweist. Das Schwurgericht muss den Prozess in die Klinik verlegen, damit er nicht platzt.

Der Staatsanwalt hält T. für einen Simulanten, doch am Gutachter kommt er nicht mehr vorbei. Professor L., Koryphäe seiner Zunft, bescheinigt „schwere Depressionen mit hysterischer Persönlichkeitsstörung“.

Prozess ohne Urteil

Der Prozess, der am 1. Februar 1994 beginnt, endet abrupt nach 140 Verhandlungstagen und zwei Jahren am 12. Mai 1996. Der schwer angeschlagene und kranke T. muss freigelassen werden. Der Mordprozess ohne Leiche endet ohne ein Urteil, wird nie wieder aufgenommen.

T. lebt heute auf Mallorca, fährt auf der Insel ein Ferrari Cabrio, kommt gelegentlich an die Kö. T. im Gespräch zum EXPRESS zum Vorwurf, er simuliere: „Das sind doch alles Ignoranten. Die wissen gar nichts. Ich bin kein Mörder und habe auch keinen Killer beauftragt.“

Nach dem Verschollenheitsgesetz wird Otto-Erich Simon im Jahre 2002 für tot erklärt. Sein Neffe erbt sein Riesenvermögen, soll die Kö-Immobilien für 90 Millionen Euro verkauft haben, ist jetzt der reichste Winzer Deutschlands.

Ich war in seinem Weinberg immer gern gesehen, wurde stets freundlich bewirtet. Und bekomme am Ende vom neuen Multi-Millionär eine Kiste Wein geschenkt …