EXPRESS hat's gelöstDas Kritzel-Rätsel vom Oberbilker Kneipen-Rollo

Beschriebene Rollläden am „Blauen Bock“ in der Oberbilker Ellerstrasse am 28. Juli 2021.

Auf den Jalousien der ehemaligen Veedelskneipe „Zum Blauen Bock“ in Düsseldorf-Oberbilk prangen am 28. Juli unzählige, winzigkleine Schriftzüge.

In der ehemaligen Veedelskneipe „Zum Blauen Bock“ in Düsseldorf-Oberbilk prangen kryptische Botschaften an den Außenrollos. Die Oberbilker rätselten, EXPRESS fand die Urheberin der seltsamen Zeilen.

von Colja Schliewa (cos)

Düsseldorf. „Zum Blauen Bock“ im Herzen von Oberbilk: In der Veedelskneipe wird schon lange kein Altbier mehr ausgeschenkt. Obwohl das Lokal auf der Ellerstraße geschlossen ist, wurde es nun allerdings in der Nachbarschaft zum Blickfang. Irgendjemand hatte in winzigen kleinen, weißen Buchstaben die kompletten Jalousien vor Tür und Fenstern mit scheinbar kryptischen Botschaften vollgeschrieben. Signiert wurde es unter anderem mit dem Hashtag „#Straßenschreiberin“. Der EXPRESS fand heraus, um wen es sich dabei handelt.

Beschriebene Rollläden an der früheren Veedelskneipe „Zum Blauen Bock“ in der Ellerstraße im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk.

Schriftzüge am Kneipen-Rollo in Düsseldorf-Oberbilk: Es geht um Papageienschwärme und Werbebotschaften.

„Der sich im Wind wiegende Grashalm, dunkles, kräftiges Grün, daneben der gelbe Löwenzahn, klimpernde Autoschlüssel. In den Betonritzen des Kopfsteinpflasters schlafende Zigarettenstummel; kleine Mumien, dunkelgelb zwischen grau; wüstenokka; ein Kamel lugt von einer weggeworfenen Zigarettenpackung hervor …“ So fängt die auf den ersten Blick zusammenhanglose Botschaft auf der Jalousie an, die sich über schier unzählige Zeilen weiterzieht.

Oberbilker Kneipen-Rollo gab Rätsel auf

Nur wer immer weiterliest, kann die Botschaft eventuell entschlüsseln: Irgendjemand hat sich hier hingestellt, und einfach seine Beobachtungen aufgeschrieben, alles, was in der unmittelbaren Nachbarschaft gerade passierte, direkt auf die Rollladen gebracht. Die ganze Ellerstraße auf einer Jalousie. Da kann es auch mal spannend werden. Weitere Kostprobe: „Der sich immer weiter nach unten neigende Winkel des Kellerrostes auf dem Gehsteig, eine Fast-Falle, ein falscher Tritt und der sich jetzt seinem baldigen Absturz nähernde Mann. Eine Frau mit langen, pinken Haaren, lila T-Shirt und rosa Schlappen, viele Fußkettchen um das Gelenk herum baumeln habend; Herzchen, Sterne, Kreise; heile, schöne, ihr zu Füßen liegende Welt.“

Vera Vorneweg, Künstlerin aus Düsseldorf, beschrieb die Kneipen-Rollos binnen sechs Wochen.

Die Düsseldorfer Künstlerin Vera Vorneweg hat das Projekt innerhalb von sechs Wochen realisiert.

Wer ist die „Straßenschreiberin“, die sich nach ihren Oberbilk-Studie am Ende der Jalousie verewigte? EXPRESS fand heraus: Es handelt sich um die Künstlerin Vera Vorneweg. „Der Text ist ein Versuch, einen bestimmten Punkt in der Stadt durch die Aneinanderreihung von Momentaufnahmen zu porträtieren“, erklärt die Düsseldorferin.

„Alles Beschriebene hat sich an einem Ort ereignet und ist im Zeitraum von sechs Wochen entstanden. Der Text wurde genau an dem Ort, den er beschreibt, veröffentlicht und auf den Rolladenkasten einer stillgelegten Kneipe aufgetragen.“ Finanziert wurde das Projekt übrigens vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW.

Vera Vorneweg half sterbendem Düsseldorfer – als Einzige

Über die Stadtschreiberin Vera Vorneweg hat der EXPRESS schon einmal berichtet, allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang: Im Oktober 2019 wurde sie zufällig Zeugin, wie ein sterbender Mann auf der Bank der Haltestelle „Schlesische Straße“ im Stadtteil Lierenfeld saß - und sieben Menschen drum herum standen, ohne sich um den Mann zu kümmern.

  Vera Vorneweg half sofort: „Ich fragte eine der Wartenden, wie lange der schon hier sitzen würde“, erzählte sie damals. „‚20 Minuten mindestens‘ antwortete sie.“  Vera Vorneweg rief sofort den Notarzt, was offenbar keiner der Umstehenden für nötig gehalten hatte. Der Notarzt versuchte, den 70-Jährigen zu reanimieren - vergeblich. Und die Helferin in der Not fragte sich noch heute: „Was wäre, wenn einer der Wartenden mal vorher was unternommen hätte...?“