Janina Findeisen (34)Schwangere Bonnerin in Syrien als Geisel festgehalten

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Die Bonnerin geriet in die Fänge einer islamistischen Gruppe.

Bonn – Was, wenn zwölf Quadratmeter dein Leben sind? Was, wenn dein Kind in diesen zwölf Quadratmetern geboren wird, wächst und du nicht weißt, ob es jemals die Freiheit kennenlernt? Was, wenn du nicht weißt, ob du jemals die zwölf Quadratmeter lebendig verlassen wirst? Die Journalistin Janina Findeisen ist 2015 mit 31 Jahren hochschwanger im syrischen Krieg entführt und für 351 Tage in Geiselhaft genommen worden.

Janina wirkt gefasst und selbstbewusst

Wenige Wochen nach ihrer Befreiung wirkt die junge blonde Frau in der Stimme gefasst und selbstbewusst, keinesfalls gebrochen oder verunsichert. Sie wirkt abgeklärt. Redet über ihre Entführung wie andere über einen abenteuerlichen Wochenendausflug. Wie übersteht man eine Geiselhaft? Wie die monatelange Isolation? Ihr Blick hält den Fragen stand.

„Das war der größte Fehler meines Lebens“

Zwar war sie schon als Kind ungestüm und mutig, mehr, als es sich ihre eher vorsichtige Mutter gewünscht hätte. Doch warum sie sich schwanger und gegen die Einwände ihres Freundes und ihrer Familie in solch eine Gefahr begeben hat, dazu sagt sie auch im Nachhinein: „Das war der größte Fehler meines Lebens, das bereue ich.“

Ihre Freundin Laura wird sie verraten

Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte ist ihre Jugendfreundin Laura. Laura heißt eigentlich anders, aber als Janina ein Buch über ihr Martyrium in Syrien schreibt, ändert sie den Namen zum Schutz der Familie. Laura war immer mehr als eine Freundin. Laura war irgendwie auch ein Idol. Eine, zu der man aufschaut, wie Janina Findeisen sagt. „Ich kenne Laura seit der Schule, und sie war diese Art von Freundin, die mir als Kind imponierte.“ Laura wird sie in Syrien treffen. Laura wird sie verraten.

Aufgewachsen in der Bonner Altbau-Idylle

Mit ihr wuchs sie in der Altbau-Idylle Bonns auf. Verbrachte zahllose Stunden und Tage am sogenannten Stein, einem Treff am Bahnhof. Redete mit ihr über Jungs, Liebeskummer, Eltern. „Wir waren Mädchen und wollten Frauen werden. Und wir gaben uns größte Mühe, dass unsere Eltern von unseren Experimenten kaum etwas mitbekamen.“

Im Video ruft Laura zum Dschihad auf

Laura wird nach der Schule Beamtin, heiratet, bekommt eine Tochter. Plötzlich die Wende: Sie konvertiert zum Islam, bis sie schließlich ihrem Ehemann nach Wasiristan folgt. Nachdem er in den Dschihad gezogen und gestorben ist, ruft sie im Video zum Dschihad auf. Als erste Frau in einem deutschsprachigen Propagandavideo der Dschihadisten. Findeisen ist erschrocken, aber auch in Sorge. Sie macht sich auf die Suche, nimmt Kontakt auf, will verstehen.

Sicherheitsgarantie für die Bonnerin

2015 erhält Janina Findeisen von Laura, die inzwischen nach Syrien mit drei Kindern und einem neuen Ehemann gezogen ist, eine Sicherheitsgarantie. Eine in der syrischen Welt maßgebliche Zusage, die wie ein Vertrag gilt, dass ihr nichts zustößt.

Findeisen ist zu diesem Zeitpunkt 31 Jahre alt und im siebten Monat schwanger. Sie arbeitet als Journalistin für den Rechercheverbund von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung. Trotz Bedenken – „es war verantwortungslos, leichtsinnig und falsch“, schreibt sie im Buch – stürzt sie sich in das Wagnis.

Freundinnen sind weit von einander entfernt

Sie lässt sich über die türkische Grenze einschleusen, trifft Laura. Sie merkt, dass sich ihre damalige Freundin mehr verändert hat, als sie dachte. „An ihren Worten, aber auch an ihrer Art, die so nüchtern zu sein scheint, ist in der Beiläufigkeit eine Härte enthalten, die schwer auszuhalten ist. Mir wird klar, wie unterschiedlich unsere Erfahrungswelten sind. Langsam, aber sicher dämmert mir, dass wir meilenweit voneinander entfernt sind.“

Bonnerin wird in ein Zimmer eingesperrt

Janina Findeisen trifft den Commander einer befreundeten Gruppe der Al-Nusra-Front, will das Land wieder verlassen. Doch dann wird sie entführt. Eingesperrt in ein Zimmer in wechselnden Wohnungen wird sie laut eigener Aussage weder vergewaltigt noch misshandelt. Sie wollen sie gegen Geld von der Bundesregierung freilassen, nehmen Videos und Fotos auf, doch die Verhandlungen der „Amateurentführer“, wie Findeisen sagt, scheinen im Sand zu verlaufen. Die Wochen verstreichen, sie verzweifelt mehr und mehr, kämpft mit depressiven Stimmungen. 

Geburt des Kindes in Geiselhaft

Ein Lichtblick sind die Besuche einer syrischen Ärztin, die sie bei der Geburt betreut. Das Kind kommt gesund zur Welt. „Die Entführung hat mein Leben aus den Angeln gehoben: die tägliche Kriegshölle, der Zweifel, das Kopfkino, die Angst, die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit. Es war die bitterste Zeit meines Lebens, aber ich habe niemals aufgegeben, ich habe mich gegen die Entführung gestellt, ich habe versucht, das schwarze Loch (...) zu besiegen.“

Janina schreibt ein geheimes Tagebuch

Was sie am Leben hält, ist vor allem ihr Sohn, für den sie sich zusammenreißt, sich auf das Jetzt konzentriert. Und der ihr Stärke gibt. Aber auch Yoga, Meditation, Hollywood-Streifen und ein geheimes Tagesbuch helfen ihr. „Als Bollwerk gegen die Ungewissheit der Situation diente mir das Schreiben, es war mein geistiges Zentrum, um keinen Kontrollverlust zu erleiden.“

Das Tagebuch erfüllt einen reinen Selbstzweck, bei der Befreiung vergisst sie es. Zusammen mit dem Kuscheltier ihres Sohnes, einem Coca-Cola-Eisbären, möglicherweise aus einer Hilfslieferung. Sie hatte das Tagebuch dem Tier ins Futter geschoben, um es zu verstecken. Es ist jetzt gut zwei Jahre her, dass eine verfeindete Gruppe der Jabhat al-Nusra, der die Entführung auch angelastet wird, sie wieder befreit und der Türkei übergibt.

Als Journalistin in Berlin

Findeisen arbeitet wieder als Journalistin in Berlin, besucht ihre Mutter in Bonn. Oma, Mama, Kind – wie in tausend anderen Familien auch: „Ich bin demütiger geworden, dankbar, eine zweite Chance bekommen zu haben. Ich denke aber auch, dass wir unsere Chance nutzen müssen in unserer westlichen Demokratie mit Bildung, Sicherheit und Freiheit.“

Aber es gab auch eine Zeit der Brüche. „Manchmal fühle ich mich in den ersten Wochen und Monaten von einem auf den anderen Moment unwohl. (…) (Die Deutschen) sind selbstgerecht und engstirnig, denke ich manchmal, wenn mir die Erinnerung an das Leben in Syrien die Kehle zuschnürt.“

Konfrontation mit der Freundin

So schreibt sie in ihrem Buch. Heute ist von ihrer Wut nichts zu spüren. Und Laura? Janina Findeisen konfrontiert die Freundin nach ihrer Befreiung über einen verschlüsselten Messenger-Chat. Diese erklärt, dass sie sich habe scheiden lassen, aber sonst nichts für Janina habe tun können. Laura hat die Gruppe nie verlassen. Sie hat Janina während der Gefangenschaft nicht besucht, sich nie nach ihrem Befinden erkundigt.

Wer Laura heute für sie sei? Findeisen nennt sie immer noch „eine Freundin“. So wie damals, als sie Teenager waren am Bonner Bahnhof.

(Autorin Pamo Roth kennt Janina Findeisen seit ihrer Kindheit, da ihre Eltern befreundet sind.)

Das Buch

Janina Findeisen: „Mein Zimmer im Haus des Krieges. 351 Tage gefangen in Syrien“. Piper, 336 Seiten, 20 Euro, hier bei Amazon erhältlich.