Uniklinik-Chef im InterviewMaskenpflicht? „Hoffentlich nur eine überschaubare Zeit“

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Prof. Wolfgang Holzgreve, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Bonn.

Bonn – Die Zahl der Corona-Infizierten steigt nicht mehr so stark, über Lockerungsmaßnahmen wird diskutiert, die Pandemie ist jedoch noch lange nicht vorbei.

Prof. Wolfgang Holzgreve (64), Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Unikliniken Bonn (UKB), spricht im Interview über die Tücken von Sars-CoV-2, COVID-19-Fälle, den angeblichen Virologen-Streit zwischen Hendrik Streeck und Christin Drosten und erklärt, wieso er italienische Verhältnisse in Deutschland nicht (mehr) für wahrscheinlich hält. Und hoffentlich schon gar nicht am UKB.

Herr Holzgreve, das Coronavirus scheint abzuflauen. Wie beurteilen Sie derzeit die Lage? Wolfgang Holzgreve: Mit Blick auf die klassischen Parameter wie Steigerung der Virusträger in der Bevölkerung, Todesfälle oder Reproduktionszahl R können wir gerade recht zufrieden sein. Die Bevölkerung tut durch die Beachtung der Restriktionen aber auch eine Menge dafür. Die überwältigende Mehrheit versteht offensichtlich, dass es richtig ist, so zu handeln. Genau deswegen haben wir eine gute Chance, beim Sars-CoV-2-Virus die Kurve zu kriegen. Darauf können wir alle sogar etwas stolz sein. Wir dürfen uns jedoch nicht ausruhen und müssen weiter vorsichtig sein.

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UKB-Chef Holzgreve: Corona-Testkapazitäten werden von 500 auf 1000 pro Tag erhöht

Zuletzt ist die Zahl der Neu-Infizierten auf <2000 zurückgegangen, und auch R liegt seit einem Monat unterhalb von 0... Holzgreve: In der Tat machen die Zahlen Mut. Die Letalität ist zum Beispiel mit hoher Wahrscheinlichkeit auch geringer, als bislang vermutet, die Prävalenz der Sars-COV2-Infektion konnte bisher bei 0,3 gehalten werden. Aber das lässt sich nur mit einer kontinuierlichen Erhöhung von Abstrichtests genauer ermitteln. Alleine am Universitätsklinikum werden wir daher in Kürze unsere Testkapazitäten von 500 auf über 1000 ausbauen.

Können Sie die Rufe nach Lockerungsmaßnahmen nachvollziehen? Holzgreve: Natürlich. Wir haben schließlich Rechte und Lebensfreude eingeschränkt. Es ist jetzt wichtig, über jede Einschränkung zu diskutieren. Denn eines ist auch klar: Sehr viele Menschen leiden unter den derzeit immer noch gültigen Maßnahmen.

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Also zurück zur Normalität? Holzgreve: Nein, Normalität, so wie wir sie kannten, wird es ohne Impfstoff oder effektive Therapie noch eine sehr lange Zeit nicht geben. Insofern dürfen wir die Maßnahmen auch noch nicht komplett lockern. Wir wissen derzeit zwei Dinge: Sars-CoV-2 kann eine böse Erkrankung auslösen. Und wir schaffen es im Moment, die Erkrankungszahlen niedrig zu halten. Die beiden wichtigen Botschaften lauten daher: Passt auf, dass die Zahl der Erkrankungen nicht zunimmt. Seid darauf vorbereitet, dass, wenn sie es doch tut, unser Gesundheitssystem es aushält, weil es in der Kapazität vorbereitet ist.

Maskenpflicht wegen Corona: In Asien haben sich alle daran gewöhnt

Immer mehr Bundesländer führen die Maskenpflicht ein. Sinnvoll? Holzgreve: Ja, auch dies ist eine Einschränkung, aber daran werden wir uns gewöhnen müssen. Jeder, der mal in Asien gewesen ist, kennt die Bilder von Masken tragenden Menschen im öffentlichen Raum. Das ist immer sehr auffällig, aber in Asien haben sich alle daran gewöhnt. Ich erinnere mich daran, als der Sicherheitsgurt im Auto eingeführt worden ist: Es war damals für einige unmännlich, den Gurt umzulegen. Heute ist es eine Selbstverständlichkeit geworden. So kann es auch bei den Masken geschehen, hoffentlich nur für eine überschaubare Zeit.

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Wann rechnen Sie mit einem Impfstoff? Holzgreve: Bei Impfstoffen liegt die Messlatte sehr hoch. Es werden zwar viele Prozesse beschleunigt, die Zulassungsbehörden arbeiten besonders schnell, aber ich kann mir gut vorstellen, dass wir noch ein Jahr auf einen Impfstoff warten müssen, weil ja primär gesunde Menschen geimpft werden und deswegen die Sicherheit besonders hoch sein muss.

Uniklinik Bonn: Kontrollierte Heilversuche bei COVID-19

Welche Alternativen gibt es? Holzgreve: Wir lernen jeden Tag etwas Neues über das Virus. Neben Medikamenten kann Blutplasma-Behandlung eine Variante sein, Antikörper-Therapien und bestimmte Medikamente werden am UKB im Rahmen kontrollierter Heilversuche bzw. innovativer Therapien eingesetzt. Am Uniklinikum haben wir eine extrem gute Transfusionsmedizin, mit z. B. dem größten Zentrum für Hämophilie in Europa, wir haben die behördliche Erlaubnis, sogenanntes Rekovaleszenten-Plasma zur Behandlung von schwer kranken COVID-19-Patienten herzustellen und anzuwenden. Ich hoffe, dass wir bald auch Erkenntnisse darüber haben werden, welche neue Therapie wirksam sein kann.

Wie geht die Universitätsklinik mit dieser besonderen Corona-Situation um? Holzgreve: Wir haben gleich zu Beginn der Pandemie im Januar damit begonnen, zu ermitteln, wie wir die Kapazität der Intensivbetten erhöhen können, für den Fall eines steigenden Bedarfs. Derzeit sind bei uns von 135 Intensivbetten 103 belegt, 13 davon sind an COVID-19 erkrankt. Neun von zwölf ECMO-Therapie-Plätzen sind z. Zt. belegt. Bis zum 27. April stocken wir um 69 Betten auf 182 auf, bis zum 30. Juni können wir nochmals 20 Intensivbetten anbieten.

Dann hätte die Uniklinik mehr als 200 Betten. Werden Sie die brauchen? Holzgreve: Man muss besonnen agieren und vorbereitet sein. Derzeit befinden wir uns in einer guten Situation, und wir tun alles dafür, dass es so bleibt.

Also nein? Holzgreve: Die Gefahr ist immer noch da, dass wir die Betten alle benötigen. Es ist alles eine Frage von Prozentsätzen. Wie viel Prozent der Träger werden krank. Wie viele von den Kranken werden intensivpflichtig? Wenn sich die Infektion weiter verbreitet, kann schnell die Situation entstehen, dass wir alle Intensivbetten benötigen.

Sie wirken gelassen. Holzgreve: Intensivmedizin ist am UKB „tägliches Brot“. Wir haben Patienten mit Herzinfarkten, Schlaganfällen, mit schweren Polytrauma… usw. Wir üben sogar ständig, mit Massenanfällen von Verletzten fertig zu werden. Wir haben da klare Vorgaben und festgelegte Ketten. Insofern sind wir auf alles gut vorbereitet.

Italienische Verhältnisse in Deutschland? Für Holzgreve ist die Sache klar

Im Intensivregister sind derzeit 33.403 Intensivbetten angegeben, 19.134 sind belegt. Italienische Verhältnisse scheinen uns nicht zu drohen… Holzgreve: In Deutschland können wir die Zahl der Intensivbetten sogar noch auf 40.000 steigern, insofern haben wir eine ganz gute Reserve. Im Vergleich zu Italien mit etwa 9 stehen in Deutschland ca. 34 Intensiv-Betten pro 100.000 Menschen zur Verfügung. Bis die mal alle belegt sind, müsste es mit der Epidemie schon schlimm kommen. Italienische Verhältnisse oder eine Triagierung sehe ich daher im Moment nicht drohen.

Müssen sie im Palliativbereich mit Blick auf COVID-19-Erkankte die Bettenzahl ebenfalls aufstocken? Holzgreve: Grundsätzlich wäre dies bei uns möglich. Schwere COVID-19 Fälle sind sehr schwer zu behandeln. Bei vielen, die sterben, kämpfen wir bis zum Schluss. Wenn mal das Stadium erreicht wird, dass kein Sauerstoff über die Lunge gebracht werden kann, dann wird es schwierig. Deshalb stirbt die Mehrheit auf der Intensivstation.

„Andere Erkrankungen werden nicht weniger, nur weil Sars-CoV-2 da ist“

In ganz Deutschland gibt es rund 2800 COVID-19-Fälle, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Besteht die Gefahr, dass „normale Patienten“ benachteiligt werden? Holzgreve: Man muss aufpassen, dass trotz der Corona-Pandemie auch andere Kranke zum richtigen Zeitpunkt diagnostiziert und behandelt werden. Alle anderen Erkrankungen werden nicht weniger, nur weil Sars-CoV-2 da ist. Der richtige Weg für die Uniklinik ist, auf eine größere Nachfrage nach spezieller Behandlung vorbereitet zu sein, aber weiterhin auch für alle anderen Kranken da zu sein.

Erinnerungen an den 1. Corona-Fall auf dem Venusberg in Bonn

Erinnern Sie sich noch an den ersten Coronavirus-Fall am Venusberg? Holzgreve: Ja, das war ein Studierender, der in Gangelt Karneval gefeiert hatte. Als unser Test zeigte, dass er Virusträger ist, war bei Einigen die Aufregung groß. Wir haben mitten in der Nacht im Gesundheitsamt aber sehr besonnen reagiert, ihn nicht bei uns aufgenommen, sondern ihn in strikte Quarantäne geschickt. Es gab nur ein Problem…

Und zwar? Holzgreve: Der Infizierte hatte Kontakt zu ca. 180 Schülern. Die mussten wir auch alle untersuchen. Es gab die Vorstellung, diese alle auf den Venusberg kommen zu lassen, wir haben das aber schnell verworfen. Am Ende haben wir die sehr guten Feuerwehrmänner für Abstriche trainiert. Die sind dann morgens ausgeschwärmt und haben bei den Familien nach entsprechender Information an der Haustür geklingelt.

Holzgreve: Virologenstreit zwischen Hendrik Streeck und Christian Drosten ist Quatsch

Themenwechsel: Wie beurteilen Sie die Auftritte von Hendrik Streeck und Christian Drosten? Gibt es einen Virologenstreit? Holzgreve: Nein, das ist Quatsch. Beide sind gute Typen, absolute Experten, gehen aber auch kritisch miteinander um und sprechen unklare Punkte offen an. Die Anmerkungen von Christian Drosten zur Heinsberg-Studie waren nachvollziehbar, für uns aber auch nicht neu, da unsere Leute darauf genauso hingewiesen haben, dass hier wegen der großen Bedeutung über vorläufige Ergebnisse berichtet wird. Christian Drosten war übrigens zehn Jahre am UKB, und beide Virologen leisten in der augenblicklichen Krise Enormes. Beide leisten mit ihren Teams einen wertvollen Beitrag, mehr über das Virus zu erfahren, so dass wir dadurch auftretende Erkrankungen irgendwann heilen können.

Influenza und Corona im Vergleich: Auch eine Influenza kann tödlich verlaufen

Das Robert Koch-Institut hat noch Anfang März erklärt, dass die Influenza als bedrohlicher eingeschätzt wird als Sars-CoV-2 und auch die WHO hat sich mit der Ausrufung der Pandemie Zeit gelassen. Auch Hendrik Streeck hat diese Meinung lange Zeit vertreten. Was stimmt denn nun? Holzgreve: Beide Virus-Infektionen haben Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Bevor WHO und RKI eine Pandemie ausrufen, müssen sie 100 Prozent sicher sein. Glauben Sie mir, deren Experten haben lange Zeit mit sich gerungen. Ich bin davon überzeugt, dass alle ihren Job gemacht haben und nach bestem Wissen und Gewissen Einschätzungen abgegeben haben. Vor ein paar Tagen mussten bei uns zwei Influenza-Patienten auf der Intensivstation mit ECMO behandelt werden, auch die Influenza kann tödlich verlaufen. Mittlerweile wissen wir aber eindeutig, dass die durch das Coronavirus verursachte COVID-19-Erkrankung in einigen Aspekten gefährlicher ist.

Was ist das Gefährliche an Sars-Cov-2? Holzgreve: Das alte Sars war bei weitem nicht so aktiv im Rachenraum. Daher war diese Infektion besser über die Isolierung der Lungenerkrankten zu beherrschen. Beim neuartigen Coronavirus ist das Tückische, dass es anfängt, schon infektiös zu sein, wenn die Person noch gar nicht weiß, dass sie mit dem Virus infiziert ist.

Fußball-Bundesliga? Genug Test-Kapazitäten sind vorhanden

Zum Abschluss: Sie gelten als durchaus Fußball-interessiert. Halten Sie es für sinnvoll, Geisterspiele in der Bundesliga stattfinden zu lassen? Holzgreve: Ich habe gelesen, dass für die Durchführung von „Geisterspielen“ angeblich 20.000 Tests bis Saisonende notwendig sein sollen. Rein mit Blick auf diese Zahl, die ein mehrmaliges Testen pro Woche ermöglichen würde, wäre die Durchführung machbar. Die Bundesliga würde nicht signifikant Testkapazitäten weggenehmen. Aber ob ein Fußballspiel, bei dem Spieler z.B. in Zweikämpfen intensiven Kontakt haben, ein wünschenswertes Ziel ist, stelle ich in Frage. Als Spieler würde ich mich fragen, wieso ich beim Bäcker einen Zwei-Meter-Abstand einhalten muss, auf dem Rasen dann aber nicht. Von nahem oder direktem Körperkontakt, außerhalb des eigenen Haushaltes ist eben beim Bekämpfen der Pandemie z. Zt. noch abzuraten.