Erschossener Polizist in BonnStaatsanwaltschaft legt Revision gegen Urteil ein

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Verteidiger Christoph Arnold bat um eine milde Strafe.

Bonn – Muss er ins Gefängnis oder kommt er mit Bewährung davon? Um 12 Uhr am Montag sprach der Kammervorsitzende Klaus Reinhoff das mit Spannung erwartete Urteil: Martin D. (23, Name geändert), der im Polizeipräsidium einen tödlichen Schuss auf seinen Kollegen Julian R. abgegeben hatte, wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt. 

Die Strafe wurde jedoch zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft hat drei Jahre Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung gefordert, der Verteidiger eine milde Strafe.

Jetzt hat die Bonner Staatsanwaltschaft Revision gegen das Urteil eingelegt, bestätigte Sprecher Sebastian Buß dem EXPRESS.

Der 23-Jährige hatte am 26. November 2018 den gleichaltrigen Kollegen auf dem Weg zum Schießtraining im Bonner Polizeipräsidium von hinten mit der schussbereiten Dienstwaffe in den Nacken geschossen. Zwei Wochen später - am 10. Dezember 2018 - starb der Kollege an den Folgen der schweren Verletzung.

Das sagten die Bonner Richter

Der Angeklagte hatte bis zum Schluss beteuert, dass der tragische Schuss ein Unfall gewesen war. Er habe die Walther P99 noch mal überprüft, weil sie nicht im Holster eingerastet war. Da habe ihn ein Geräusch erschrocken, wodurch er versehentlich den Abzug betätigt habe.

Die Bonner Richter jedoch sind überzeugt, dass der Fall sich nicht so abgespielt haben kann – die Einlassung des Angeklagten sei unglaubwürdig. Nicht auszuschließen, so die Kammer, dass der Todesschütze nach dem mehrtägigen Antiterror-Training mit seiner Hundertschaft, bei der es auch um Rettung von verletzten Kollegen gegangen war, sich durch ein Geräusch erschrocken - und die schussbereite Waffe gezogen hat. Dabei war der junge Beamte irrtümlich davon ausgegangen, noch die rotfarbene Trainingswaffe (Rotwaffe) geholstert zu haben. Als Waffenträger habe er damit, laut Urteil, seine Sorgfaltspflicht massivst verletzt.

Der Staatsanwalt hatte in der vergangenen Woche mit drei Jahren Haft eine Gefängnisstrafe gefordert, der Ankläger war davon ausgegangen, dass der Angeklagte spielerisch die Waffe auf den Kollegen gerichtet hat und dabei die Waffen verwechselt hatte. 

Es war ein treffsicherer Schuss in den Nacken

Das Drama passierte am 26. November 2018 im Kellergeschoss des Präsidiums:  Ein treffsicherer Schuss in den Nacken des 23-jährigen Kollegen, an dessen Folgen er zwei Wochen später in der Uniklinik starb. 

Der angeklagte Todesschütze Martin D. hat bis zuletzt versichert, dass der Schuss ein Unfall war und dass er keinesfalls absichtlich auf das Tatopfer gezielt habe. Auch nicht, dass er die schussbereite schwarze Dienstwaffe mit der roten Trainingswaffe (Rotwaffe) verwechselt hat, mit der er und seine Kollegen kurz zuvor noch das Retten eines verletzten Kollegen in einer Gefahrensituation geübt hatten.

Für Bonner Staatsanwalt war es fahrlässige Tötung

Von einer „tödlichen Verwechselung der Waffen“ geht Staatsanwalt Timo Hetzel weiterhin aus. In seinem Plädoyer vor der  4. Großen  Strafkammer hat er gestern wegen fahrlässiger Tötung drei Jahre Haft gefordert. Das Verhalten des Angeklagten sei „grotesk leichtfertig“ gewesen und der „Grad der Fahrlässigkeit immens“, so der Staatsanwalt.

So begann der Prozess gegen Martin D. am 15. August (hier mehr lesen)

Schließlich auch sei die Einlassung des Mannes „nicht schlüssig und in höchstem Maße konstruiert.“ Eine „große Schutzbehauptung“, weil er nicht mit der Vorstellung leben könne, dass er doch einen gezielten Schuss auf den Kollegen abgegeben habe.

Angeklagter wollte Waffe nochmals überprüfen

Der Angeklagte hatte versichert, dass er die Walther P99 noch einmal überprüfen wollte, weil sie im Holster nicht eingerastet sei. In diesem Moment habe ihn ein Geräusch – ein Türschlagen, ein Knall? – so erschrocken, dass er „unabsichtlich“ den Abzug betätigt habe. 

Warum war der Finger am Abzug?

„Es fällt schwer, zu glauben, dass ein banales Geräusch ihn so erschrecken konnte“, argumentierte der Staatsanwalt weiter. Auch, dass ein ausgebildeter Polizist innerhalb weniger Minuten wiederholt die Grundregeln im Umgang mit der Waffe so massiv verletzt haben will. Nicht zuletzt habe er - folge man seiner Einlassung - die wichtigste und goldene Regel ignoriert: „Nie den Finger am Abzug!“

Verteidiger fordert mildes Urteil

„Da wir nicht wissen, wie und warum der tragische Todesschuss gefallen ist“, könne man über die Hintergründe nur spekulieren, so Hetzel: „War es ein perfides Spiel, ein kindischer Spieltrieb, Machogehabe oder das Nachstellen einer gefährlichen Terrorlage?“ Die groteske, aberwitzige Szenerie, fasste der Staatsanwalt mit dem Satz zusammen: „Es bleibt das Geheimnis des Angeklagten, warum er nicht einfach Peng gesagt hat, als er den Raum betrat.“ Verteidiger Christoph Arnold hat in seinem Plädoyer ein mildes Urteil gefordert, eines das noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Rechtsmediziner Madea widerspricht dem Angeklagten (hier mehr lesen).

Der Angeklagte, der zu Ende September den Polizeidienst quittiert, hat sich im letzten Wort dagegen verwahrt, dass er „aus Spaß“ auf Julian R. geschossen hat. Die Anfeindungen, dass er „ein Monster“ sei, hätten ihm in den letzten Monaten sehr zugesetzt, erzählte er unter Tränen.

Eltern weinten im Prozess

Bei den Eltern des Getöteten, die ihm stumm gegenüber saßen, hat er sich entschuldigt: Er wünsche sich von ganzem Herzen, dass das nie passiert wäre und dass „Julian wieder bei uns sein könnte.“

Die Eltern weinten - wie so oft - in diesen schweren Prozessstunden ganz still. Bittere Tränen. (ucs)