Stau-Professor schlägt AlarmFlüster-Asphalt mitverantwortlich für Stau-Frust in NRW

An der Autobahn A40 wurde in Fahrtrichtung Essen Flüsterasphalt aufgebracht.

An der Autobahn A40 wurde in Fahrtrichtung Essen Flüsterasphalt aufgebracht.

Düsseldorf – Flüsterasphalt: Fluch oder Segen? Anwohner freuen sich über weniger Lärm. Aber es gibt auch eine Kehrseite der Medaille. Die Fahrbahndecke geht in Nullkommanix kaputt.

Michael Schreckenberg (58), „Stau-Professor“ an der Uni Duisburg-Essen, warnt: „Die Lust am offenporigen Asphalt ist eigentlich unverantwortlich. Wir müssen uns darauf konzentrieren, die Grundsubstanz der Straßen zu erhalten. Da ist Lärmschutz im Prinzip ein Luxusproblem.“

Die Baustelle auf der A 46 strapaziert in diesen Tagen die Nerven der Pendler in Wuppertal. Dort gibt es zweimal hintereinander mehrtägige Vollsperrungen, weil Flüsterasphalt verlegt wird. Bis zum Jahr 2022 soll die Fahrbahndecke auf der A 46 abschnittsweise auf einer Länge von elf Kilometern ausgetauscht werden.

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Was kaum einer weiß: Wenn die Arbeiten am einen Ende abgeschlossen sind, rollen an der anderen Seite erneut die Baumaschinen an. „Die Lärmschutzdecke hält nur acht Jahre“, sagt Alois Höltgen (57), Diplom-Ingenieur bei StraßenNRW. Herkömmlicher Asphalt soll erst nach 20 Jahren kaputt gehen.

Nerven liegen blank

Stau-Frust ist programmiert. „Die Politik sieht zu, wie sich die ohnehin angespannte Verkehrssituation durch die Verwendung von kurzlebigem Material weiter verschärft“, schimpft „Stau-Professor“ Schreckenberg.

Der Düsseldorfer Landtag hatte sich 2011 mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken dafür ausgesprochen, den Lärm an den Autobahnen deutlich zu reduzieren. Ein wichtiges Anliegen. Denn Lärm macht krank. Viele Fernverbindungen im Rheinland und im Ruhrgebiet führen durch dicht besiedeltes Gebiet und stellen eine große Belastung für die Anwohner dar.

50 Prozent weniger Lärm

Offenporiger Asphalt (OPA), der den Schall durch große Hohlräume schluckt, soll den Anwohnern die Ruhe zurückbringen. Die Euphorie war groß, schließlich werden Lärmreduzierungen von bis zu 10 dB(A) erreicht, was einer Lärmminderung von 50 Prozent entspricht. OPAs Nachteile wurden unter den Tisch gekehrt.

Professor Schreckenberg: „Die lärmmindernde Wirkung lässt schneller nach als gedacht. Die Poren verstopfen durch Dreck und den Gummiabrieb der Reifen. Dann verpufft der teuer erkaufte Lärmschutzeffekt.“

Bislang wurde in NRW an rund 65 Autobahn-Kilometern Flüsterasphalt verbaut. Geteert wird schon lange nicht mehr – Ende der 1980er Jahre wurden teer- und pechhaltige Baustoffe verboten, weil beim Einbau giftige Dämpfe entstehen. Heute schreibt die EU Umgebungslärmrichtlinie Flüsterasphalt vielerorts vor.

„Aus gestalterischer Sicht ist das im Vergleich zu zehn Meter hohen Lärmschutzwänden in vielen Fällen auch die bessere Lösung“, stellt der FDP-Politiker Christof Rasche (53) klar.

Das Material hat aber auch aus einem anderen Grund bei den Straßenbauern viele Freunde. Flüsterasphalt ist deutlich rutschfester und viel wasserdurchlässiger als herkömmliche Fahrbahndecken. In Kurven mit Fahrbahnneigungen werde der offenporige Asphalt deshalb auch aus „Verkehrssicherheitsgründen“ verwendet, bestätigt ein Sprecher von NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (58, SPD) dem EXPRESS. Der Belag kostet rund 12 Euro pro Quadratmeter – doppelt so viel wie herkömmlicher Asphalt.

A 3 bei Köln schon kaputt

Die CDU fordert jetzt, dass Flüsterasphalt nur in „besonders kritischen“ Abschnitten verwendet werden soll. „Ansonsten nehmen langfristig die Baustellen und Staus Überhand“, sagt Unions-Verkehrs-Experte Klaus Voussem (45).

An der A 3 droht den Autofahrern schon die nächste Vollsperrung. Zwischen Köln-Ost und Mülheim ist der wenige Jahre alte Flüsterasphalt schon kaputt. Dort soll der Belag 2017 ausgetauscht werden.

Wegen der gravierenden Nachteile hat Baden-Württemberg die Verwendung von Flüsterasphalt bereits 2013 eingestellt.